Zum Schluss wird es doch noch versöhnlich. Der Weihnachtsmarkt im Dezember sei wieder ein voller Erfolg gewesen, lobt ein älterer Herr. Aus dem Gesicht von Welzows Bürgermeisterin Birgit Zuchold weicht die Anspannung: In zwei Stunden Bürgersprechstunde an diesem Dienstagabend war es die erste positive Wortmeldung. Es ging um das neue Dach der Kegelbahnhalle, Straßenausbesserung, den Weihnachtsmarkt – Welzow mit seinen 3.600 Einwohnern im Südosten Brandenburgs könnte eine Kleinstadt wie viele andere sein. Wäre da nicht die Braunkohle.
Welzow liegt im Herzen der Lausitz. Mit knapp 60 Millionen Tonnen jährlich bildet die Region das zweitgrößte Abbaugebiet für Braunkohle in Deutschland. Rund 17 Prozent des hiesigen Stroms werden mit der hier abgebauten Braunkohle erzeugt – noch, muss man hinzufügen. Denn wenn Deutschland seine Klimaziele erreichen will, muss es eher früher als später aus der Kohleverstromung aussteigen.
Welzow grenzt an einen der vier noch verbliebenen Tagebaue in der Lausitz, in der etwa 8.000 Menschen in der Branche arbeiten; indirekt sollen weitere 16.o00 Jobs von der Braunkohle abhängen. Viele hier treibt deshalb eines um: Was kommt nach der Kohle? Ein rabiater Umbruch wie nach 1989 soll sich nicht wiederholen.
Vor bald einem Jahr hat Bürgermeisterin Zuchold mit anderen Kommunalpolitikern die „Lausitzrunde“ gegründet, um in dieser die wirtschaftliche Transformation auf kommunaler Ebene politisch zu begleiten. Nicht ohne Stolz erzählt sie vom Besuch im Bundeswirtschaftsministerium, letzten September war das, bei Sigmar Gabriel, der wenig später 7,3 Millionen Euro für den Strukturwandel in der Lausitz zusicherte.
Ausweg Tourismus?
Das Geld soll in den Aufbau länderübergreifender Arbeitsstrukturen sowie eines gemeinsamen Standortmarketings und in Energieeffizienz- oder Tourismusprojekte fließen. Die Lausitzrunde soll einen „Leitbildprozess“ vorantreiben, um Felder für einen Strukturwandel zu definieren, sagt Zuchold, und den Status als „Europäische Modellregion für den Strukturwandel“ mit Fördergeldern beantragen.
Strukturen, Prozesse, Förderungen – an Begriffen mangelt es nicht in der Lausitz. Allein auf Konkretes aus dem Mund von Zuchold warten die Welzower an diesem Abend vergeblich. „Ich würde mir mal wünschen, dass jemand diese Strukturfelder definiert“, beschwert sich ein Einwohner. „Als Bürger wird man hier wieder nur verarscht“, sagt ein anderer. Zuchold ist nicht zu beneiden. Als Kommunalpolitikerin hat sich nur begrenzt Einfluss. Das wissen auch die Anwesenden. Doch hier kommen sie zu Wort. Zuchold versucht, die Wogen zu glätten. In Forschung und Entwicklung werde viel investiert, auch der Tourismus sei sicher ein Markt mit vielen Potenzialen. Doch dass sich die Lausitz über den Spreewald hinaus zu einem Touristenmagnet entwickeln kann, der das wirtschaftliche Potenzial hat, den Kohleausstieg aufzufangen, glaubt hier niemand. Versucht wird es trotzdem. Bei Cottbus soll bis 2018 durch die Flutung stillgelegter Tagebaue die größte Seelandschaft Europas entstehen.
Rund 30 Kilometer westlich von Welzow betreibt André Speri das Besucherbergwerk F60. Anstatt die riesige Förderbrücke nach der Stilllegung des Tagebaus Anfang der 90er Jahre zurückzubauen, hat Speri sie mit einem Förderverein einfach zu einer Touristenattraktion umfunktioniert. Mit erstaunlichem Erfolg: 65.000 Besucher kommen pro Jahr, um die Förderbrücke zu besichtigen. Darüber hinaus nutzt Speri die eindrucksvolle Kulisse, um Konzerte und andere Veranstaltungen herzulocken.
„Wohl eher nicht“
Doch die Tourismuspotenziale haben ihre Grenzen: 13 Menschen beschäftigt Speri im Service- und Gastronomiebereich. Mehr braucht er nicht, um den Betrieb am Laufen zu halten. Als die Förderbrücke noch aktiv war, fanden hier 1.500 Menschen einen Arbeitsplatz. Die meisten Besucher seien Tagesausflügler, viele aus dem nahen Berlin. Immerhin: Ein Café im Dorf konnte wiedereröffnen. Ansonsten würden wohl vor allem die umliegenden Tankstellen von den Touristen profitieren. Eine Branche, um den Strukturwandel zu stemmen? „Wohl eher nicht“, sagt Speri.
In Welzow ist man ähnlich skeptisch. „Dann können Sie ja einfach ein Disneyland bauen“, blafft einer der Anwesenden Zuchold an. Doch was soll sie machen? Der Strukturwandel für eine ganze Region wird weit mehr als 7,3 Millionen kosten. Und noch ist ja nicht einmal entschieden, wann genau Deutschland aus der Kohle aussteigt. In Welzow steht sogar die Erschließung eines neuen Braunkohlefeldes zur Debatte.
Gegen Ende der Versammlung fällt der Bürgermeisterin dann doch noch etwas Konkretes ein. Man habe ein Projekt unterstützt, bei dem das Material ausrangierter Fotovoltaikanlagen recycelt wird – ein Feld, auf dem sicher auch Ingenieure aus den Bergwerken neue Aufgaben finden könnten, die Idee klingt grün, nachhaltig, innovativ. Doch dann, sagt Zuchold, habe man festgestellt, dass es schon ein ausgereiftes Verfahren in Sachsen-Anhalt gibt.
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