Endlich streiten wir uns übers Geld

Demokratie Die Vollgeld-Initiative stößt in der Schweiz auf verblüffend große Unterstützung. Bankiers fürchten: Kapitalismus wäre so nicht mehr möglich
Ausgabe 21/2018
Endlich streiten wir uns übers Geld

Illustration: Jill Senft für der Freitag

Für einen Revolutionär sieht Raffael Wüthrich – trotz seines vielversprechenden Namens – ziemlich brav aus. Etwa 1,80 Meter groß. Hemd, Sakko, Rahmenbrille. Eher Gastgeber einer Polit-Talkshow als Untergrundkämpfer. Erst recht kein Che Guevara, und der war nach siegreicher Revolution immerhin kurzzeitig Chef der kubanischen Notenbank. Und dennoch: Was der Schweizer und seine Mitstreiter vorhaben, kann man ohne zu übertreiben als revolutionär bezeichnen. Denn sie legen sich mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem, so wie wir es kennen, an. Und sie wollen an die Quelle der Macht. Anders formuliert: Sie wollen den Banken ans Geld.

Wüthrich ist Sprecher der Schweizer Vollgeld-Initiative. Finanzkrisen, Bankenrettungen, Schlangen vor leeren Geldautomaten – all das kann laut den Initiatoren verhindert werden. Und zwar durch Vollgeld. Am 10. Juni steht die Volksinitiative mit dem schönen Namen „Für krisensicheres Geld: Geldschöpfung allein durch die Nationalbank! (Vollgeld-Initiative)“ in der Schweiz zur Abstimmung, alle Stimmberechtigten sind aufgerufen, darüber zu entscheiden, ob das Finanzsystem des Landes grundlegend neu organisiert werden soll. Auch das ist ein bisschen revolutionär: In der Schweiz kann jede und jeder so eine „Initiative“ lancieren und zur Abstimmung bringen, solange sich innerhalb von 18 Monaten mehr als 100.000 Unterschriften dafür finden. Kern des Vollgeld-Initiativtextes ist eine Grundgesetzänderung. Sie soll unter anderem regeln, dass „der Bund allein“ Münzen, Banknoten und – das ist entscheidend – Buchgeld schaffen darf.

Banken

Am 10. Juni könnten die Bürgerinnen und Bürger der Schweiz das Geldsystem ihres Landes auf den Kopf stellen: Eine Volksinitiative will privaten Banken die Schöpfung von Geld verbieten. Birgt diese Idee die Überwindung des Finanzkapitalismus?

Lernfähiges Finanzsystem, hihi

Was genau Vollgeld ist, sei im Grunde nicht schwer zu verstehen, sagt Wüthrich. „Die Schwierigkeit besteht eher darin, den Menschen das heutige Geldsystem zu erklären. Die Kernfrage ist ja: Woher kommt das Geld?“ Doofe Frage eigentlich. Wo soll es schon herkommen? Vom Arbeitgeber, der es durch den Verkauf seiner Produkte verdient. Vom Amt, das es von den Steuerzahlern bekommt. Oder eben von der Bank, die es einem für einen bestimmten Zeitraum leiht. Ein Kreislauf. Für einige funktioniert er besser, für viele eher schlechter. Doch Kreislauf hin oder her. Irgendwo muss er ja anfangen. Die Frage ist: Wo?

„Drei von vier Menschen glauben, Geld werde ausschließlich von der Nationalbank oder vom Staat hergestellt“, sagt Wüthrich. Ein Irrtum. Denn der Großteil des Geldes wurde und wird von privaten Banken geschaffen. Geschöpft, wie Ökonomen sagen. „Immer wenn eine Bank jemandem Geld leiht, schafft sie neues Geld. Dass Banken das Geld anderer Kunden nutzen, um es weiterzuverleihen, ist ein Mythos.“

Tatsächlich funktioniert es so: Vergibt eine Bank einen Kredit, erschafft sie Geld, das es vorher nicht gab. Dafür muss sie lediglich einen Bruchteil der Summe als Sicherheit bei der Nationalbank hinterlegen. Für 100 Franken kann eine Schweizer Bank einem Kunden zum Beispiel 1.000 Franken gutschreiben. Per Knopfdruck. Aus dem Nichts. Zahlt der Kunde den Kredit zurück, verschwindet das Geld wieder. Für die Bank bleiben die Zinsen aus dem Kredit als Gewinn. Ein lohnendes Geschäftsmodell.

Für die Verfechter des Vollgelds ist das das zentrale Problem des Geldsystems. „Eine private Bank hat großes Interesse daran, Geld herzustellen, weil sie damit Geld verdient“, sagt Wüthrich. „Gerade in Boom-Jahren tendieren Banken aber dazu, zu viel Geld herzustellen. Das führt zu Blasen, und diese Blasen platzen irgendwann.“

Ein gutes Beispiel für diese Blasenbildung ist die 2007 ausgebrochene Finanzkrise. Im Glauben an einen wirtschaftlichen Aufschwung liehen die Banken in den USA den Menschen haufenweise Geld, die sich damit Häuser und andere Immobilien kauften. Allerdings achteten viele Banken nicht darauf, ob ihre Kunden auch genügend Sicherheiten für die Kredite hatten. Eine Immobilienblase entstand. Als das Wirtschaftswachstum schwächer wurde und die Zinsen stiegen, platzte die Immobilienblase. Die Hauspreise sanken, Kredite konnten nicht mehr zurückgezahlt werden, die Banken, die in Kreditverbriefungen investiert hatten, gerieten unter Druck und begannen, Vermögenswerte abzustoßen, das große „deleveraging“ begann. Lehman Brothers ging pleite. Und weil Banken und Schattenbanken weltweit die gebündelten und immer weiter verpackten Kredite gehandelt hatten, löste die Pleite eine Kettenreaktion aus. Auf die Finanzkrise folgte eine globale Wirtschaftskrise, deren Folgen zum Teil bis heute spürbar sind.

Damit eine solche Krise in Zukunft unwahrscheinlicher wird, wollen Wüthrich und seine Mitstreiter den Banken das Privileg zur Geldschöpfung nehmen. Alles Geld soll zukünftig vom Staat kommen. Zurzeit gilt das nur für rund zehn Prozent aller Schweizer Franken. Es handelt sich um das Bargeld, welches schon heute ausschließlich von der Zentralbank herausgegeben wird. Der Rest, sprich alles Geld, das nur als elektronische Zahl auf unseren Konten existiert, wurde zum Großteil ursprünglich von den Banken erschaffen. Es ist das im Initiativtext angesprochene Buchgeld.

Revolutionär Wüthrich will, dass auch dieses Geld direkt von der Zentralbank kommt. Auf zwei Wegen soll es zukünftig zu den Menschen gelangen. Zum einen über eine direkte Ausschüttung an den Staat oder die Bürger – und zwar ohne dass dieses Geld zurückgezahlt werden müsste. Es würde sich also um eine „schuldfreie“ Ausschüttung handeln. Zum anderen können auch private Banken weiterhin Kredite vergeben. Mit dem Unterschied, dass sie nun tatsächlich das Geld von anderen Kunden weiterverleihen oder es sich von der Zentralbank leihen müssten. Die Geldmenge, so die Theorie, könne so vom Staat gesteuert, Blasen und somit Finanzkrisen könnten verhindert werden.

Wüthrich führt schließlich noch ein weiteres Argument für das Vollgeld an: Das Geld auf unseren Konten sei zurzeit nur ein besserer Gutschein. Da das elektronische Buchgeld nicht vom Staat kommt, sei es im Grunde kein gesetzliches Zahlungsmittel, sondern lediglich ein Anspruch auf Geld, der am Bankautomaten gegen Bargeld eingetauscht wird. Das ist kein Problem, solange Banken vernünftig wirtschaften. Geht eine Bank jedoch pleite, ist auch das Geld auf den Konten in Gefahr. Mit Vollgeld wäre das laut Wüthrich anders. Die Banken wären gezwungen, sogenannte Vollgeld-Konten anzubieten. Selbst bei einem Bankrott der Bank wäre das Geld dann nicht weg, da die Vollgeld-Konten getrennt von der restlichen Bilanz der Bank geführt werden müssten. Die Kundinnen hätten dann die Wahl: Entweder sie legen ihr Geld auf einem sicheren Vollgeld-Konto ohne Verzinsung an oder sie nutzen weiterhin Sparkonten, die variabel verzinst werden und von der Bank für die Kreditvergabe genutzt werden können.

Universität Zürich, ein Donnerstagabend Anfang März. Martin Hess sorgt zunächst unfreiwillig für Gelächter. „Das Finanzsystem hat aus seinen Fehlern gelernt“, sagt der Chefökonom der Schweizerischen Bankiervereinigung. Doch so richtig nehmen ihm die rund 200 Zuhörer in dem fensterlosen Hörsaal das nicht ab.

Was Hess eigentlich sagen will: Die Vollgeld-Initiative ist überflüssig. Und gefährlich. „Die Vollgeld-Initianten zielen zwar im Kern auf die Banken, treffen aber vor allem die Gesamtwirtschaft und die Bankkunden“, warnt er. Die Universität Zürich hat zu einer Diskussion über die Vollgeld-Initiative geladen. Eben noch hat Raffael Wüthrich versucht, deren Idee unters Volk zu bringen. Nun versucht Hess dagegenzuhalten. „Die Banken gründen ihr wirtschaftliches Interesse nicht auf dem System der Geldschöpfung“, sagt er, „sondern auf ihrer Funktion als Dienstleister für ein funktionierendes Wirtschaftssystem.“

Alle Banken sind dagegen

Kritiker wie Hess glauben, dass die Schweizer Wirtschaft unter dem Vollgeld-System einbrechen würde. „Wir würden bei einer zentralisierten Kreditvergabe landen. Das kann nicht im Sinne eines liberalen und gut funktionierenden Geld- und Wirtschaftssystems sein.“ Besonders befürchtet Hess, dass kleine und mittlere Unternehmen bei der Kreditvergabe zu kurz kämen, wenn die Banken kein Geld mehr erschaffen dürften. Darüber hinaus würden auf Privatkunden höhere Gebühren zukommen, da den Banken ein Teil ihres bisherigen Geschäftsmodells genommen würde.

Auch das Argument, Finanzkrisen zukünftig verhindern oder abschwächen zu können, hält Hess für Quatsch. Die Finanzmärkte seien international zu sehr vernetzt, als dass eine Reform in einem einzelnen Land für Sicherheit sorgen könne.

Nun ist die Bankiervereinigung zugegebenermaßen nicht der objektivste Ansprechpartner, wenn es um die Frage geht, ob den Banken ein Privileg genommen werden soll. Doch sie steht mit ihrer Ablehnung nicht alleine da. Der Dachverband der Schweizer Wirtschaft und auch alle im Schweizer Bundesrat vertretenen Parteien lehnen die Vollgeld-Idee ab. Und selbst die Nationalbank, für die die Reform einen enormen Machtzuwachs bedeuten würde, stellt sich gegen die Initiative. „Vollgeld ist ein unnötiges und gefährliches Experiment, das unserem Land großen Schaden zufügen würde“, sagte der Präsident der Schweizerischen Nationalbank, Thomas Jordan, Anfang Mai bei einer Rede an der Universität St. Gallen. Der Nationalbank würde durch die herausragende Rolle, die sie im Vollgeld-System bei der Kreditvergabe einnehmen würde, eine „unnötige Verantwortung“ übertragen, der sie nicht gerecht werden könne. Jordan teilt zwar das Ziel der Initianten, den Finanzmarkt möglichst stabil zu gestalten. Aber: „Eine liberale Wirtschaftsordnung ganz ohne Krisen ist eine Illusion. Krisen komplett zu vermeiden, bedeutete letztlich, die Wirtschaft derart einzuengen, dass unser Wohlstand längerfristig stark geschmälert würde.“

Wissenschaftliche Untersuchungen zum Vollgeld gibt es bislang kaum. Was auch daran liegt, dass die Folgen einer Vollgeld-Reform so gravierend wären, dass sie in wirtschaftswissenschaftlichen Modellen nur schwer erfasst werden können. Urs Birchler und Jean-Charles Roche, zwei Professoren an der Universität Zürich, haben dennoch versucht, Vor- und Nachteile des Vollgelds herauszuarbeiten. In ihrem, wie sie es nennen, „Leitfaden für jedermann“ kommen sie zu dem Schluss, dass sowohl manche Heilsversprechen der Befürworter als auch manche Schreckensbilder der Gegner überzogen sind. Am Ende, so die beiden Wirtschaftswissenschaftler, hänge die Entscheidung vor allem von politischen Präferenzen ab. Mehr Kontrolle durch den Staat oder Vertrauen in den Markt? Viele Menschen haben genau dieses Vertrauen in den Finanz- und Bankenmarkt nicht mehr, was sich daran zeigt, dass laut einer Umfrage des Forschungsinstituts gfs.bern sage und schreibe 39 Prozent der Stimmberechtigten am 10. Juni mit Ja stimmen wollen. Das reichte noch nicht zum Sieg, wäre aber ein durchaus beachtliches Ergebnis.

Revolutionär Wüthrich will im Fall einer Niederlage nicht aufgeben. Er verweist auf Altersvorsorge und Frauenwahlrecht, die ebenfalls mehrere Anläufe gebraucht hätten, bevor sie angenommen wurden. Die Vollgeld-Reform, so Wüthrich, sei „vernünftig und notwendig“ und werde daher „immer mehr Befürworter gewinnen“.

Daniel Böldt hat im März in der Schweiz recherchiert. An der Deutschen Journalistenschule in München wird er derzeit zum Redakteur ausgebildet

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