Arlo Parks erzählt Musik

Pop Die Songs der Londonerin beginnen als Gedichte und werden mit musikalischen Mitteln zu TV-Serien
Ausgabe 06/2021

Irgendwas muss mit diesen Gitarren sein. Vor 14 Jahren, auf dem Album In Rainbows von Radiohead, ist der Song Weird Fishes/Arpeggi erschienen. Drei E-Gitarren wickeln sich darin in melodischer Selbstvergessenheit umeinander, filigran und unverzerrt. Um nicht zu sagen: soulful. Die britische Songwriterin und Sängerin Lianne La Havas coverte Weird Fishes im vergangenen Jahr auf ihrem dritten Album und arbeitete den Soul des Stücks noch eindeutiger heraus. Und jetzt kommt auch noch Arlo Parks hinzu.

Die 20-jährige Songwriterin aus London hat Weird Fishes nicht gecovert, aber den Song Caroline geschrieben, der sich um eine ähnlich elegante Gitarrenfigur herumwindet. Dazu läuft ein Drumcomputer, der ebenso leichtfüßig konfiguriert scheint wie das Spiel des Radiohead-Schlagzeugers Phil Selway auf In Rainbows (und allen späteren Alben). Sogar eine entfernte textliche Verwandtschaft besteht zwischen den Songs. Während Radioheads Thom Yorke einen Protagonisten besingt, der sich auf nicht näher definierter Flucht befindet, beobachtet Parks ein streitendes Pärchen an der Bushaltestelle. Auch ihre Geschichte endet herzzerreißend mit einem Fluchtversuch.

Es entstehen Bilder

Womit wir bei den Unterschieden wären. Schon in Caroline stecken mehr erzählerische Details und konkrete Beschreibungen als in allen Radiohead-Texten zusammen. Parks erwähnt die Londoner Straße, auf der ihre Geschichte spielt, sie definiert das besungene Pärchen als „artsy“ und seine geröteten Wangen als „strawberry cheeks“. Kaffee wird verschüttet und Halsketten klimpern im Hin und Her der Streitenden. Man muss sich noch nie durch die Menschenmassen auf der Oxford Street gequält haben und an ihren Bookmakers-Wettbüros, Boots-Filialen und Pret-a-Manger-Cafés hängengeblieben sein, um sofort ein komplettes Bild im Kopf zu haben. Das ist das besondere Talent von Arlo Parks.

Die Songs der Künstlerin, die eigentlich Anaïs Oluwatoyin Estelle Marinho heißt, beginnen immer als Gedichte. Erst wenn der Text fertig ist, setzt sich Parks mit Laptop und billigem Mikrofon hin, um Musik daraus zu machen. Auf ihrem Debütalbum Collapsed In Sunbeams haftet dieser Musik etwas Schablonenhaftes an. Das macht sie jedoch nicht austauschbar, sondern umso rätselhafter. Stammen Parks’ Melodien aus Gitarre und Klavier oder lässt sie die Aufnahmesoftware ihres Computers wie Gitarre und Klavier klingen? Ist die Geradlinigkeit ihrer Drumbeats ein Produkt der technologischen Limitierung? Oder doch ein Verweis auf das ebenso verlässliche Trip-Hop-Schlagzeug der frühen Portishead?

Collapsed In Sunbeams verheddert sich nicht in solchen Fragen, es ist ohnehin in erster Linie eine Textplatte. Die britische Presse schreibt Parks bereits zur Generation-Z-Ikone hoch und lobt die Künstlerin dafür, wie selbstgewiss sich ihre Geschichten zwischen digitaler und analoger Welt bewegen und wie modern ihr Umgang mit Themen wie sexueller Uneindeutigkeit und geistiger Gesundheit sei. Tatsächlich ist das Modernste am eigentlich doch sehr bodenständigen Indie-Pop auf Collapsed In Sunbeams die Erzählweise. Wie die Showrunnerin einer Fernsehserie jongliert Parks mit Charakteren, Namen, Orten und narrativen Details. Es wimmelt von Menschen und, yes, es menschelt auch ganz schön. Nicht nur im zweiten Corona-Jahr kommt diese Wohltat wie gerufen.

Info

Collapsed In Sunbeams Arlo Parks Pias/ Transgressive

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