Nur Schweine übrig

Dokumentation Das Fyre-Festival lockte reiche junge Amerikaner ins Nichts. Gleich zwei Filme berichten von ihm
Ausgabe 10/2019

Spätestens beim Anblick der Amazon-Pakete hätten die Besucher des Fyre-Festivals misstrauisch werden müssen. An einem Aprilwochenende im Jahr 2017 waren etwa 1.000 überwiegend junge, überwiegend reiche oder mit spendablen Eltern gesegnete Nordamerikaner auf der Bahamas-Insel Great Exuma gelandet, um ein Musikfestival der Superlative zu feiern. Für vier- bis fünfstellige Dollarpreise hatte man ihnen Auftritte von angesagten Rappern und DJs versprochen, außerdem luxuriöse Unterkünfte, ausgesuchte Verpflegung und einen weißen Sandstrand mit sonnenbadenden Supermodels und frei laufenden Schweinen.

Ob es einen Zusammenhang geben sollte zwischen den Tieren und der ausgesuchten Verpflegung, ist nicht überliefert. Wohl aber dies: Am Ende blieben von all den Versprechungen nur die Schweine übrig. In Schulbussen wurden die Fyre-Besucher nach ihrer Ankunft auf der Insel zu einem Festivalgelände gekarrt, das aussah, als hätte jemand eine Notunterkunft für Flutbetroffene auf einer Mülldeponie errichtet. Eingeschweißte Matratzen lagen in klammen Zelten herum, es gab kein Bettzeug, kein Wasser, keine Toiletten. Und natürlich auch keine Rapper oder DJs. Stattdessen lagen aus irgendeinem Grund zahllose Amazon-Pakete auf dem ebenso unbeleuchteten wie ungesicherten Gelände herum.

Der Anblick dieser zu Bergen angehäuften Kartons ist nur eine von vielen symbolträchtigen Szenen, die sich aktuell in gleich zwei Filmen über das Fyre-Festival wiederfinden. Beinahe zeitgleich haben konkurrierende Streamingdienste im Januar die abendfüllenden Dokus Fyre: The Greatest Party That Never Happened (Netflix) und Fyre Fraud (Hulu) veröffentlicht. Beide konnten sich nicht zuletzt deshalb als Überraschungserfolge und Gesprächsthema verselbstständigen, weil zwischen den Studios hinter den Filmen eine Schlammschlacht tobt, die dem chaotischen Festival angemessen erscheint. Hulu beschwert sich über Beschönigungen im Netflix-Film. Netflix beschwert sich über teuer erkaufte Interviews im Hulu-Film. Als ob es nicht genügend genusssüchtige Millennials für beide Streamingdienste gäbe.

Der grinsende Hochstapler

Fyre: The Greatest Party That Never Happened rekonstruiert das Geschehen um die verunglückte Veranstaltung im Stil eines Katastrophenfilms, der die Hilf- und Fassungslosigkeit (sowie das Social-Media-Material) der Besucher geradezu diabolisch auskostet. Fyre Fraud führt ein Exklusivinterview ins Feld, mit dem sich der Konzertveranstalter Billy McFarland spektakulär um Kopf und Kragen redet. McFarland stammt aus New Jersey, ist heute 27 Jahre alt und sitzt eine sechsjährige Haftstrafe wegen Überweisungsbetrugs ab. Reichtum auf Pump erlangte er als dauergrinsender Hochstapler, der Investoren Geld aus der Tasche zog und in Start-ups steckte, die sich als nicht einmal besonders originelle Abzocke mit Musical-, Super-Bowl- und sonstigen Großevent-Tickets erwiesen.

Beide Dokus lassen ehemalige Geschäftspartner und Angestellte von McFarland für dessen Macherqualitäten bürgen. Außerdem erfreuen sie sich ausführlich am einfachen Gemüt des Rappers Ja Rule, der als Mitinitiator des Fyre-Festivals nicht müde wird, die visionäre Denke seines Kollegen und Saufkumpans zu betonen. Darüber kann man sich nur wundern, denn was die Filme von McFarland zeigen, ist ein „Bro“, wie er im Buche steht: großmäulig und ungehobelt, besoffen, verkatert und dann wieder besoffen. Auch beim allerbesten Willen bleibt unvorstellbar, was dieser Kurzzeitstudent am College gelernt haben soll.

McFarlands himmelschreiende Dummdreistigkeit allein macht beide Dokumentarfilme sehenswert. Fyre ist jedoch besser als Fyre Fraud, weil es die wichtigeren Schlüsse aus der männlich-weißen Überprivilegierung des Veranstalters zieht. Die Hulu-Doku verschwendet zunächst ärgerliche Minuten darauf, McFarland durch Kindheitsfotos zu vermenschlichen, bevor sie ihn zum Paradebeispiel eines Millennials gone wrong stilisiert. Gibt der Typ nicht einfach seinen Altersgenossen, was sie verlangen und verdienen? Wir alle jedenfalls wollen beschissen werden, das ist die Botschaft von Fyre Fraud. Hauptsache, es springt ein Instagram-Post dabei heraus.

An Influencer-Irrsinn und Geltungsbewusstsein der Generation Internet arbeitet sich auch Fyre ab. Bei aller Schadenfreude versteigt sich der Netflix-Film jedoch nicht dazu, den Besuchern des Festivals eine Mitschuld an ihrer Verarschung zu geben. Stattdessen lässt er mehrere Bewohner von Great Exuma zu Wort kommen, die große Hoffnungen in McFarland gesetzt hatten und bis heute auf bezahlte Rechnungen warten – oder wenigstens darauf, dass jemand den Müll wegräumt. Vor diesem Hintergrund eröffnet sich eine weitere Dimension des Fyre-Debakels. Sieht man McFarland breitbeinig über den Strand stapfen, auf Jet-Skis herumspringen oder mit Models und Berufsberühmtheiten bechern, während er die Bedenken und Einwände der Einheimischen ignoriert, erweist sich Fyre auch als Lehrstück über modernen Kolonialismus. Früher trugen dessen Vertreter gezwirbelte Schnurrbärte und hatten das Christentum als Begrüßungsgeschenk dabei. Der Kolonialherr von heute kommt in Flip-Flops um die Ecke. Und verteilt erst mal ein paar Amazon-Pakete.

Info

Fyre: The Greatest Party That Never Happened Chris Smith USA 2019, 97 Minuten (Netflix)

Fyre Fraud Jenner Furst, Julia Willoughby Nason USA 2019, 96 Minuten (Hulu)

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