Heidelbeere, Salbei, Tonka, warmer Waldboden. So riecht die Musik von Ariel Oehl, zumindest, wenn es nach ihm und den Nasen des Designbüros Es geht. Gemeinsam haben der Liedermacher und die „brand builder“ aus Wien im vergangenen Jahr ein Parfüm gemischt, das als aromatisches Begleitprogramm zu den Songs von Oehl gedacht ist – und natürlich auch einen Hauch von Extravaganz und Stilbewusstsein versprühen soll, weil die im Pop noch immer als Zeichen besonderer Distinktion gelten. Die richtige Jacke, der passende Haarschnitt und nicht zuletzt ein betörender Duft: Wer all das hat, braucht sich um richtige, passende oder betörende Songs schon fast keine Sorgen mehr zu machen.
Schön aber, dass Oehl das trotzdem tut. In Interviews spricht der Künstler mit dem eigenartig antrainiert erscheinenden Künstlerduktus darüber, wie knochig und behäbig er die deutsche Sprache findet, welchen Ärger sie ihm macht, wenn er die Worte und Zeilen für seine Texte in Form bringt. Über Nacht heißt das Debütalbum von Oehl, die ein Duo sind, zu dem auch der multiinstrumentale Isländer Hjörtur Hjörleifsson gehört. Es geht um Sanftes und Sachtes, eine Art Vorahnungspop, der einige Zentimeter über Erdboden und einfacher Einordnung zu schweben scheint. Trotzdem soll man hören, dass jeder Song ein Kraftakt war. Für ihre Leichtigkeit haben Oehl schwer gekämpft.
Ein Hauch von Schubert
Es gibt offensichtliche Verbindungen zwischen Zeitgeist und Oehl, den Liedern des Songwriters und dem Bilderbuch-R’n’B seiner Heimatstadt Wien. Gekonnt verschluckt Oehl die unnützen Silben in seinen Texten oder verschnörkelt sie mit Autotune. Geschickt beschwört er eine Stimmung herauf, die sich nach einem letzten kleineren Aufbäumen vor der völligen Entleerung von Lebenssinn oder Smartphoneakku anfühlt. Menschen ohne Ohr für so etwas werden Über Nacht wahrscheinlich schläfrig finden, monoton und ausgepowert. Ein paar wenige andere aber werden ihr Leben darin wiedererkennen, den süßen Schmerz und ihren täglichen Kampf mit der Traurigkeit oder dem Datenvolumen.
Für diese Leute hat Oehl erst das Parfüm gemacht und jetzt auch noch ein Album. Schumann, Schubert und Kunstlied: Das alles, sagt er selbst, stecke zumindest als Andeutung in den Songs. Ein Hauch von Ambitionen, der ganz absichtlich nur ein Hauch bleibt – es geht schließlich immer noch um Popmusik. Wie eine solche Zusammenkunft der Einflüsse aussehen kann, zeigt ganz konkret der wunderbar unkonkrete Song Neue Wildnis. Oehl zitiert Rilke, spielt dazu aber Musik, die an den britischen Hipster-Pop-Produzenten Jai Paul erinnert. Sein Protagonist irrt durch den Wald und steht plötzlich vor einem „Handymastgestell“, das alle Bäume überragt. Die neue Wildnis, wähnt ihm nun, trägt er längst in der Hosentasche mit sich herum. Natürlich ist es kein neuer Konflikt, um den sich das Debütalbum herum organisiert, und natürlich finden auch Oehl keine Auswege oder gar Lösungen. Dafür aber mit Songs wie Tausend Formen zu einer Sinnlichkeit, die in deutschsprachiger Popmusik nur selten vorkommt. Die Verweise sind wieder klar: R’n’B-Stillstand für die Aftershowparty und Autotune als Sexspielzeug, aber auch romantische Dichtung, nicht im Mark-Forster-Sinn, sondern ganz ohne Ironie im Sinne der Literaturepoche. Oehl klauen also auch nicht weniger als andere Bands, aber sie klauen originell.
In gewisser Weise tun das auch Die Sterne auf ihrem neuen Album, das den Namen der Band mit Sternchen trägt. 25 Jahre lang waren Frank Spilker und Mitstreiter für den Soul in der Hamburger Popmusik zuständig. Dann gingen Spilker die Leute verloren, weshalb er sich für Die Sterne* in eine verheißungsvolle Position begeben konnte. Mit neuem Personal (eine Art vierfache Supergroup aus Mitgliedern von The Düsseldorf Düsterboys, Kaiser Quartett und Von Spar sowie Carsten „Erobique“ Meyer) spielt er die Ideen seiner Karriere noch einmal durch – um nicht zu sagen: Er klaut bei sich selbst.
Auch das ist natürlich eine völlig legitime Popstrategie, doch mit Die Sterne* stößt Spilker an ihre Grenzen. Disco, Krautrock, Deutschfunk und Italo-Pop leben auf diesem Album in Zweckgemeinschaften miteinander, nur ein kurz aufstampfendes Bluesstück über neue Rechte und kleine Bürgerlichkeit tanzt so originell aus der Reihe, dass die neuen Sterne wirklich wie eine neue Band klingen. Andere Songs handeln die Buzzthemen aus einem Vierteljahrhundert im Dienste des sogenannten Diskurspops ab: neoliberale Verführungen und Eingriffe in den Alltag, Könige ohne Reich und Abgesänge auf die Demokratien des Westens. Die Kuhglocke läutet dazu auf Hochtouren.
Spilker kann natürlich darauf pochen, dass Songs gegen die krankhafte Selbstoptimierung des Menschen so lange nötig sein werden, wie auch die entsprechenden Zwänge und Drills weiterexistieren. Die Zitate sitzen auf Die Sterne*, die experimentier- und kritikfreudigen Teile der deutschen Rockgeschichte schwingen mit wie ein weiteres Instrument. Niemand aber käme auf die Idee, einen Begleitduft zu diesem Album herzustellen, denn wie sollte er riechen, wenn nicht ein kleines bisschen abgestanden?
Lieber verfängt man sich derzeit in den großzügig einparfümierten Songs von Oehl. Nichts an ihnen deutet auf eine 25-jährige Karriere hin. Dafür klingt Über Nacht zu vage und verzagt, dafür bleiben auch die musikalischen Einflüsse zu nah bei einem Popzeitgeist, der sich nicht für langfristige Planungen interessiert. Wie Ariel Oehl sich aber durch dieses Album murmelt, wie er die Worte in sich zusammenfallen lässt oder gleich ganz neue erfindet und dabei die eigene Ungewissheit mitsingen lässt als wäre sie ein zweifelnder Duettpartner: Das erfasst den aktuellen Moment so genau, wie es auch der traditionell momentfixierten Popmusik nur selten gelingt.
Info
Über Nacht Oehl Ink Music
Die Sterne* Die Sterne Pias Germany (Rough Trade)
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