Armdrücken

Berliner Abende Kolumne

"Können wir nicht einfach Pfandflaschen vor dem Olympiastadion sammeln? Was ist das überhaupt für eine Idee? Damit kann man doch kein Geld verdienen."

Ich war skeptisch.

"Doch, na klar, überleg doch mal: 10 Euro Einsatz, 20 Kämpfe am Abend, da kommen gut und gern 1.000 Euro im Monat zusammen. Und dazu noch steuerfrei."

Felix war von seiner Idee nicht abzubringen.

"Ich weiß nicht", sagte ich. "An deiner Rechnung stimmt doch was nicht. Schau dir mal meine Oberarme an."

"Das ist doch gerade der Clou, sonst würde ich es ja selber machen." Felix hatte Statur und Oberarme eines Kugelstoßers. "Bei dir denkt jeder, dass er dich locker schlagen kann, so streichholzdünne Oberarme wie du hast."

Danke, Felix, dachte ich, sagte es aber nicht.

Felix erklärte mir, dass ein guter Armdrücker gar nicht besonders kräftig sein müsse. Dass sogar Frauen Männer besiegen können. Dass es einzig und allein auf die richtige Technik ankomme. Er habe das alles im Internet recherchiert.

"1.000 Euro im Monat. Da müsstest du doch bestimmt einen Haufen Kolumnen für schreiben, oder?"

Da hatte er allerdings Recht. Eine Menge Kolumnen wären das. Vielleicht war seine Idee ja doch nicht so schlecht.

Ich willigte also ein und funktionierte mein Arbeitszimmer in ein Armdrücker-Trainingslager um. Ich räumte meinen Schreibtisch leer und schob ihn in die Mitte des Zimmers. Ich holte zwei Stühle aus der Küche und stellte sie einander gegenüber an den Tisch. Es war ungewohnt, den Schreibtisch so leer und nackt, ohne Stifte und Papier und ohne mein aufgeklapptes Notebook zu sehen. Aber entweder ich nahm die Sache ernst oder ich ließ es bleiben.

In den folgenden Tagen führte mich Felix in die taktischen Finessen einer mir bisher völlig unbekannten Sportart ein. Jeden zweiten Abend saßen wir uns an meinem Schreibtisch gegenüber und Felix erklärte mir, wie ich die Hand meines Gegners umgreifen musste und mit welcher Armstellung ich die beste Hebelwirkung erreichte. Er machte Aufnahmen mit einer Videokamera, die wir anschließend gemeinsam auswerteten, um gezielt an meinen Schwächen arbeiten zu können. Ich besorgte mir auch einen Handexpander. Er war klein, er passte in die Jackentasche, und ich konnte ihn überallhin mitnehmen. In der S-Bahn las ich jetzt nicht mehr Zeitung, sondern trainierte meine Handmuskulatur. Wochen später, nach vielen Trainingseinheiten und einigen Sparringskämpfen gegen Freunde, die ich fast alle gewann, fühlte ich mich bereit.

Felix hatte mittlerweile eine Route zusammengestellt. Zum Auftakt, am Freitagabend, die Eckkneipen von Neukölln. Am Samstag stand dann Wedding auf dem Programm. Und das Wochenende darauf sollte es durch die Bierbars von Moabit und Treptow gehen.

Im Bienenkorb lief alles nach Plan. Ich setzte mich in eine Ecke, machte meine Aufwärmübungen, beugte und streckte meinen Arm ein paar Mal, bis er sich geschmeidig und gut durchblutet anfühlte und rollte ihn anschließend zum Warmhalten in einen Pullover ein. Im Kopf ging ich noch einmal alles durch, was ich in der letzten Zeit gelernt hatte. Felix machte in der Zwischenzeit drei Kämpfe für mich klar. Die meisten Kämpfe entscheiden sich in den ersten zwei Sekunden, erinnerte ich mich. Ich musste also hellwach sein. Auf Zeit spielen brachte sowieso nichts, da ich die Kraft noch für den nächsten und übernächsten Gegner brauchte. Dann ging es los.

Ich setzte mich breitbeinig auf den Stuhl und nahm den Arm mittig vor meine Brust. So hatte ich die bestmögliche Hebelwirkung. "Dreh seinen Arm ein und zieh ihn in deine Richtung", hörte ich Felix flüstern. "Und quetsch seine Hand zusammen, damit er den Griff nicht mehr halten kann."

Ich machte mit meinem ersten Gegner kurzen Prozess. Wir hatten zehn Euro verdient. In weniger als fünf Sekunden.

Auch die beiden folgenden Kämpfe gewann ich, ebenso einen vierten und fünften. Danach wollte niemand mehr gegen mich antreten, und wir wechselten in die nächste Kneipe, den Bierbaum 3. Hier gewann ich sogar sieben Kämpfe. Wir waren euphorisiert.

Doch dann gab es den ersten Dämpfer. Im Blauen Affen setzte es nicht nur eine, sondern gleich drei Niederlagen hintereinander. Aber nach zwölf Siegen in Folge war das zu verkraften, und wir machten für diesen Abend Schluss, weil wir den Bogen nicht überspannen wollten.

Am nächsten Abend und auch an den folgenden Wochenenden tingelten wir weiter durch die Eckkneipen Berlins. Im Wedding lief es noch sehr gut, auch in Moabit und Treptow, doch im Friedrichshain schienen sie auf uns vorbereitet zu sein. Selbst zartestgebaute Studentinnen hatten eine so ausgefeilte Hebeltechnik, dass ich ohne Chance war. In Paules Metal Eck verloren wir fast das komplette Geld, das wir zuvor gewonnen hatten. Wir zogen die Reißleine.


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