Der Checkpoint Eretz zwischen dem Süden von Eretz Yisrael und dem Gazastreifen ist in diesen Tagen einer der einsamsten und am besten bewachten Orte der Welt. Der Abfertigungsgelände erstreckt sich über eine Distanz von mehr als einem Kilometer und beginnt mit einem israelischen Postenhäuschen, in dem der Pass geprüft wird. Die Soldaten sind jung und schwer bewaffnet. An die Wand ihres Betonbunkers haben sie mit roter Schrift "Give peace a chance" und "Make love, not war" geschrieben. Als ich auf den Abfertigungscontainer zugehe, entfernt sich langsam ein Hund, der auf dem Asphalt gedöst hat. Vor dem Schalter brennen Chanukka-Kerzen, und neben mir sagt einer: Wenn alle Kerzen brennen, wird Frieden sein.
Doch es ist kein Frieden, die israelischen Soldaten haben mit schwerem Gerät vor dem palästinensischen Polizeiposten die Landschaft planiert. Eine Provokation. Die jungen palästinensischen Polizisten schießen herüber - und ein Israeli schießt so gut zurück, dass ein Palästinenser stirbt.
Eigentlich wollen sie nicht schießen. Abends, wenn die Vorgesetzten fern sind, hören die Israelis - Mädchen und Jungen - in ihrem Container Popmusik, aber sie haben Angst und müssen sich wehren ...
Nach Gaza-Stadt kommt man vom Checkpoint für 30 bis 40 Mark mit dem Taxi. Ich fahre mit dem dreißigjährigen Kamal, seine Familie hat für den Mercedes, Baujahr 1972, zusammengelegt - jeden Monat muss das Auto repariert werden, aber das ist kein Problem. Alles, was Kamal verdient, gehört ihm. Er spricht ein gutes Englisch und möchte deutsch lernen, um später einmal Reiseführer zu sein, wenn die deutschen Touristen kommen.
Das Beach-Hotel in Gaza direkt am Mittelmeer ist fast leer. Nur die beiden österreichischen Piloten des Präsidenten Arafat warten auf den nächsten Anruf. Dann geht es nach Kairo oder Amman. Einer raucht Wasserpfeife. Ich bekomme eines der besten Zimmer mit Blick auf den kleinen Fischereihafen, in den morgens die vielen Boote einfahren. Kleinere werden von Kuttern in den Hafen geschleppt. Und zuletzt paddeln die Fischer sie stehend zum Strand.
Das Hauptquartier des Präsidenten Yassir Arafat ...
... ist ein "Weißes Haus" wie in Washington. Es liegt direkt am Mittelmeer und macht die Küstenstraße unpassierbar. Alle müssen es in großem Bogen umfahren. Die beiden Zufahrtswege sind schwer bewacht, Betonblöcke versperren den direkten Zugang. Mit Mühe gerate ich zum Wachhaus, in dem Mister Abuali sitzt, der keine Fremdsprache spricht, aber einst zusammen mit Arafat gekämpft hat. Ein großes schwarz-weißes Bild an der Wand beweist es: Arafat und Abuali zeigen - beide schwer bewaffnet - mit großer Geste in die gleiche Richtung. Es fällt auf, dass die Männer im Hauptquartier ihre Büros fast ausnahmslos mit Bildern geschmückt haben, die sie bei Begegnungen mit Yassir Arafat zeigen. Bei Mohamed Adwan - seinem jungen Sprecher - steht nur ein kleines Foto in der Schrankwand: Arafat und Adwan auf einer Konferenz - Adwan, der stets Zugang zum Präsidenten hat, ist bescheiden. Er hat in der DDR studiert, er zeigt mir die Bilder der in den vergangenen Wochen erschossenen Kinder und Jugendlichen - die Aufnahmen werden von der Autonomiebehörde gesammelt. Ich lese jeweils auf der Rückseite den Namen und den Todestag.
Die russischen Piloten von Arafats Hubschrauber wohnen zusammen mit den arabischen Kollegen in weißen Bungalows auf dem Hügel des Hauptquartiers gleich neben dem Hangar. "Dieses schöne warme Wetter", schwärmt mein Bekannter, Bordmechaniker aus Moskau. Das Geld stimmt und bald geht es nach Hause. Wir trinken Tee und diskutieren über die russische Politik. Alexander Lebed sollte Präsident werden, höre ich, die anderen würden nur reden, aber nichts tun - was wird dann mit Wladimir Putin? - "Keine Ahnung".
Vom Hügel aus kann man das Privathaus des Präsidenten Arafat sehen, das nicht auf dem Gelände des Hauptquartiers liegt. Es ist von einer hohen weißen Mauer umgeben und soll einen schönen Garten haben. Dort patrouillieren schwer bewaffnete junge Palästinenser, die Order haben, bei jedem Angriff sofort zu schießen. Jeder weiß noch, wie der Premier Rabin durch einen jungen Juden getötet wurde.
Mein Bekannter, der russische Bordmechaniker ...
... ist von einem Plan überzeugt, der einst nach Lazarus Goldschmidt benannt wurde - einem deutschen Juden, der Koran und Babylonischen Talmud ins Deutsche übersetzte, bevor ihn Hitlers Diktatur ins Exil zwang. Nach diesem Plan ist Jerusalem eine Stadt, die nicht geteilt werden kann. Nur der Tempelberg und das muslimische Viertel der Altstadt könnten Hauptstadt eines Staates Palästina sein. Das hätte Arafat zu geben. Im Gegenzug müsste die jüdische Seite erklären, dass sich die israelische Armee vollständig aus Westbank und Gazastreifen zurückzieht und die Sicherung der jüdischen Siedler dort einer UN-Schutztruppe überlässt. Und die palästinensischen Flüchtlinge müssten natürlich zurückkehren dürfen. Arafat soll von diesem Plan im Herzen bewegt worden sein. Seit Tagen würde er von nichts anderem mehr sprechen als der Ausrufung des Staates Palästina auf dem Tempelberg.
Die Flüchtlinge wohnen jetzt zum Beispiel im "Beach-Camp", nur wenig nördlich vom Beach-Hotel direkt am Mittelmeer, teils in ärmlichen Bretterverschlägen - aber mit dem gleichen wundervollen Blick auf Strand und Meer. Gegen Abend trifft man sich am Strand, wo zwei Pferde angepflockt sind. Eine Palästinenserin nimmt die Wäsche von der Leine, und zwei alte Männer spielen Schach - so als gäbe es nicht anderes auf der Welt. Fünf Flüchtlingslager gibt es im Gaza-Streifen - und wohl ebenso viele jüdische Siedlungen, die durch israelisches Militär teilweise mit Panzern schwer bewacht sind. Eine stete Provokation für den Stolz der Palästinenser und ein Fingerzeig für den Präsidenten Arafat.
Wenn er die 45 Minuten von Gaza-Stadt zum Airport Gaza gefahren wird, muss er an den Panzern vorbei. Da hilft es auch nichts, dass auf der Strecke fast alle hundert Meter ein palästinensischer Polizist oder Paramilitär grüßt - Israels Panzer sind eine Realität.
Auf den weiten Hirtenfeldern von Bethlehem ...
... hatte sich bei Regen und Wind am Heiligen Abend eine kleine internationale Gemeinschaft versammelt. Wir standen unter den Felsen, in der Höhle, die schon den Hirten Schutz geboten hatte, sangen und hielten die brennenden Kerzen in der Hand. "Am Anfang war das Wort" liest der lutherische Propst Ronecker auf deutsch und englisch den Beginn des Johannes-Evangeliums. Und alle warteten auf das erlösende Wort des Präsidenten Arafat und des Generals Barak. Am Heiligen Abend durfte Yassir Arafat nach der Mitternachtsmesse in der Bethlehemer Geburtskirche zum ersten Mal nach Jahren wieder nach Jerusalem. Und dann wurde am letzten Weihnachtstag sogar noch ein Treffen zwischen Arafat und Barak verabredet unter der Schirmherrschaft des ägyptischen Präsidenten Mubarak. Nur Gott weiß, warum General Barak es abgesagt hat.
Zum Abschied von Gaza sitze ich im schweren Ledersessel beim "palästinensischen Intelligenzgeneral", dem Chef von Arafats Geheimdienst, in seinem von einem Star-Architekten entworfenen Hauptquartier bei arabischem Kaffee und Wasser. Auch der General ist einer von jenen, die besser deutsch als englisch sprechen. Er wartet auf eine Initiative Europas oder einen letzten Befreiungsschlag Clintons, was die einfachere Lösung wäre. Schließlich wissen die Insider, dass Barak Clinton mehr vertraut als sich selbst.
Vom Gebäude schaut man auf einen Vergnügungspark und ein Zigeuner-Lager. Nein, sagt man mir, das seien keine palästinensischen Flüchtlinge aus Jaffa oder anderswo her - nur Zigeuner, die fühlten sich hier wohl, und das solle auch so bleiben.
Daniel Kollmar ist freier Autor und Journalist, er veröffentlichte u.a. den Roman Müllers Sommer.
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