Zwei Menschen und ein Bier

Eventkritik Protest als Pop und der Kampf um ein Territorium, das eher symbolisch für einen Konflikt steht: Wie die Besetzung des stillgelegten Flughafens Berlin-Tempelhof scheiterte

In der Abendsonne ziehen Hunderte den Berliner Columbiadamm entlang. Angetrunkene Punks sind dabei und ein paar Altlinke mit grauen Haaren. Eine Frau mit rosa Kleid und Schirm spielt Musik aus den 60ern über ein Megafon ab. Protesttouristen sprechen Italienisch, Französisch, Spanisch. Die meisten Teilnehmer sind Studenten und Neugierige, die sehen wollen, ob die Besetzung der Festung Tempelhof tatsächlich gelingt. Im Internet hatte eine Aktivisten-Gruppe unter dem Slogan „Squat Tempelhof“ zur Besetzung des brachliegenden Flughafens aufgerufen.

An der Nordseite des riesigen Geländes suchen die Demonstranten nach Sicherheitslücken im Zaun, der mit Stacheldraht nachgerüstet wurde. Auf der Innenseite stehen alle paar Meter Polizisten und private Sicherheitsleute. Einer der Demonstranten faucht am Zaun wie eine Katze, der Wachhund auf der Innenseite reißt sich von der Leine und bellt zurück.

„Schießt doch!“

Dann machen sich drei, schnell sind es fünf, sechs Demonstranten am Zaun zu schaffen. Mit bloßen Händen ziehen sie an den Maschen. Von links kommen drei Polizisten angelaufen. Als die Gruppe zur Straße flüchten will, rennt ein Polizist wie beim Football einen jungen Mann über den Haufen. Gerangel, Handschellen. Ein Mädchen schreit. Die Polizisten ziehen ihren Kreis um die kleine Gruppe, doch ein größerer Kreis von Demonstranten bildet sich nun um sie selbst. „Schämt euch, schämt euch!“, ruft die Menge. In den Gesichtern der Beamten kann man Angst erkennen. Ein Demonstrant ruft zynisch: „Schießt doch!“ Die Jungs neben ihm lachen.

„Jeder Zaun, jede Mauer wird aus Blumen sein“, singen einige, während ein Zaunangreifer abgeführt wird. Die Szenen wiederholen sich: Einzelne Demonstranten werden festgenommen, die Uniformierten bilden einen Ring um den Gefangenen und ziehen ihn in den nächsten Polizeiwagen. „Wo sie zum Teil weiter geschlagen werden“, wie zumindest der „Ermittlungsausschuss“, die Rechtsberatung der Aktivisten, behauptet. Der „Ermittlungsausschuss“ zählt am späten Abend 128 Festnahmen, klagt über harsche und zum Teil grundlosen Attacken durch die Polizei.

Die Pressesprecherin der Polizei spricht später von Stein- und Flaschenwürfen, auch am Platz der Luftbrücke sei dies der Ausgangspunkt für Polizeiaktionen gewesen. Davon ist aus nächster Nähe jedoch nichts zu sehen. Zwei Wasserwerfer und ein Räumwagen fahren vor die Demonstranten und fast reflexhaft nehmen diejenigen, die doch eigentlich den Flughafen erobern wollen, Platz zur Sitzblockade. Als sich die Aufregung wieder legt, geht ein fiepsiges Hupen durch die Luft. Ein Eiswagen fährt in die Szenerie und öffnet kaum 100 Meter Luftlinie vom Wasserwerfer seinen Laden. Vieles erinnert an diesem Samstag an den G8-Gipfel in Heiligendamm – die Protagonisten, der Zaun als Grenze zwischen Haben und Wollen, Protest als Pop und der Kampf um ein Territorium, das doch nur symbolisch für einen Konflikt steht.

Also, was soll das Ganze? Mehrere tausend Demonstranten und 1.800 Polizisten, die eine Fläche von 400 Hektar und acht Kilometern Umfang bewachen? Die Aktivisten wollen ein Zeichen setzen gegen die Gentrifizierung des Stadtteils Neukölln, der an das Flughafengelände grenzt. Die Möchtegern-Besetzer befürchten, dass auf dem Gelände eine Luxusanlage für Besserverdienende entstehen könnte. Mit der gescheiterten Besetzung wollten sie gegen die Privatisierung des städtischen Raums, rapide Mietsteigerungen und die Verdrängung von Anwohnern protestieren.

Von den Parteien fühlten sich die Organisatoren im Stich gelassen, wie in der verteilten Broschüre mit dem Titel „Wir bleiben alle“ zu lesen ist. Dabei gab es auch Sympathiebekundungen aus etablierten Organisationen. Die Jungsozialisten der SPD hatten vorab ihre Unterstützung für die Besetzung zugesagt, ernteten aber sofort parteiinterne Schelte. Als wohl einziger Politiker vor Ort zeigte sich der Grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele auf seinem obligatorischen Fahrrad. Er kritisierte ein „unverhältnismäßig brutales Vorgehen“ der Polizei.

Regierung und Opposition

Auch die Linke hatte sich mit den Besetzern solidarisch erklärt, hielt parallel aber ihren Bundesparteitag im gründlich gentrifizierten Bezirk Prenzlauer Berg ab. Linkspartei-Politiker waren in der Tempelhofer Demonstration nicht auszumachen. So zeigte sich an der geplanten Flughafen-Besetzung auch das Dilemma der Partei – in Berlin selbst mitzuregieren, aber irgendwie auch Opposition auf der Straße sein zu wollen.

Den Ausklang der Proteste konnte man dann am Samstagabend ganz zeitgemäß bei Twitter nachlesen. 23:46 Uhr: „Es sind noch 600 Leute am Schwimmbad am Columbiadamm“, 23:55 Uhr „Die Bullen haben den Lautsprecherwagen vorm Schwimmbad gezwungen, abzubauen“, Und dann doch noch: „Na endlich, 2 Menschen und 1 Bier haben Tempelhof besetzt! Mehr Bier und Menschen benötigt!“

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