Joker: Verführung und Selbstoffenbarung

Debatte Ein Debattenbeitrag von Susanne Gaschke zum Film „Joker“ auf Welt.de lässt tief blicken und offenbart vielleicht mehr, als von der Autorin beabsichtigt.

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Film- und Theaterkritiken sind oft etwas sehr persönliches. Eine rein sachliche Analyse über Kameraführung, Auswahl der Schauspieler und Gestaltung der Geschichte allein, mehr etwas für Hartgesottene und Filmwissenschaftler. Susanne Gaschke geht in die Vollen, liefert eine Kritik der Kategorie „launischer Verriss“ ab und hegt nach dem selbstgewählten vorzeitigen Ende des Kinoabends nun Gewaltfantasien gegen Feuilleton und Kritiker.

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Kann man so machen, gehört zum Geschäft, ist eben auch „Meinung“ und dazu noch als „Debattenbeitrag“ gedacht. Also los geht‘s, Genossin Gaschke!

„Er heult herum über seine schwere Kindheit und seine Traumata“ ätzt Gaschke über Arthur Fleck, dessen Verwandlung in den „Joker“ die Geschichte des Films ist. Das Konzept „Sympathy for the Devil“ ist nicht besonders neu, aber in der Umsetzung wirklich exzellent gelungen, wie viele Kritiker meinen.

Wichtiger ist die Frage, warum Gaschke so gar keine Anknüpfungspunkte in der Handlung gefunden haben will und sich langweilte.

Warum schauen Sie weg, Frau Gaschke?

Die Zuschauer verfolgen, wie Arthur Fleck vom Leben gebeutelt wird. Erst spät im Laufe des Films – vermutlich, als Susanne Gaschke schon vorzeitig das Kino verlassen hat – erklärt sich der Grund für die neurologische Beeinträchtigung von Arthur Fleck. Was auf den ersten Blick wie eine rein psychische Erkrankung wirkt, stellt sich später als Verletzung aus Kindheitstagen heraus.

Arthur Fleck arbeitet als Clown in Gotham City, einer Stadt, die von Streiks gebeutelt an der Schwelle zu sozialen Unruhen steht. Der Auslöser: Ein Bürgermeisterkandidat, der die streikenden und protestierenden Menschen als „Clowns“ bezeichnet, die es im Leben einfach nur deswegen zu nichts gebracht hätten, weil sie arbeitsscheu und faul sind. Eine unerträgliche neoliberale Weltsicht. Susanne Gaschke hätte sich durchaus positionieren können, denn schließlich kandidierte sie 2012 als Oberbürgermeisterkandidatin für die SPD in der Stadt Kiel.

Arthur Fleck wird mehrfach Opfer von Gewalt. Jugendliche stehlen ein Werbeschild, das Fleck in seinem schlecht bezahlten Job im Clownskostüm durch die Gegend wirbeln soll. Die Bande verprügelt ihn in einer Seitengasse. Fleck bleibt ruhig, erträgt die Schmerzen und geht weiter seiner aussichtslosen Arbeit in einer noch trostloseren Stadt nach.

Die Zuschauer begleiten Fleck bei seinen Terminen mit einer Sozialpsychologin. Fleck ist auf die Medikamente die er dort erhält ebenso angewiesen, wie auf die wöchentlichen Konsultationen. Doch die Stadtverwaltung von Gotham City streicht die Mittel für die Sozialeinrichtung. Arthur Fleck bleibt fortan ohne Medikamente, ohne Therapie und seine Verwandlung zum Joker beginnt.

Als Genossin könnte Susanne Gaschke Stellung beziehen. Die Frage nach sozialer Verantwortung, bezahlbarer Krankenversicherung oder eben auch der Mangel an Psychotherapeuten sind gesellschaftliche Dauerthemen, die in „Joker“ sehr deutlich aufgegriffen werden. In ihrer Kritik beklagt Gaschke aber lieber den Aufpreis für den Film, der mit 122 Minuten nur knapp die Kriterien für eine Überlänge erfüllt.

Gewalt erzeugt Gegengewalt

Arthur Flecks Gewaltausbrüche beginnen, als die Wirkung seiner Medikamente nachlässt und seine Verzweiflung über die nicht mehr stattfindende Therapie zunimmt. Auf den Verlust des Jobs folgt dann noch die Diffamierung seines Lebenstraums durch einen Fernsehentertainer.

Längst belegen Studien, dass Jobverlust und Sozialbezüge oft mit psychischen Erkrankungen einher gehen. Das Ärzteblatt berichtet, rund ein Drittel der Bezügeempfänger leide unter affektiven und neurotischen Erkrankungen. Auch Depressionen und Angstzustände würden häufig festgestellt. Doch auch das ist kein Thema für die Journalistin.

Die Gewaltexzesse, die manche bereits zum Verlassen des Films veranlassten, sind weder wahllos, noch ideologisch motiviert. Arthur Fleck tötet, als er erneut zum Opfer eines Angriffs wird. Fleck ist danach nicht etwa im Machtrausch, sondern hadert zunächst mit seiner Tat.

Regisseur Todd Phillips gibt in Interviews an, dass er das Publikum bewusst mit der Frage konfrontieren wollte, wie viel Gewalt wir bereit sind zu tolerieren und an welcher Stelle die Empathie für Arthur Fleck in die Ablehnung des Jokers übergeht.

„Jedenfalls, der Rotwein war alle, Joaquin Phoenix tat sich immer noch leid, ich trat hinaus auf die schmutzige Straße am Berliner Zoo, voller Gewaltfantasien gegen das deutsche Feuilleton: Künftig würde ich nur noch Filme ansehen, die absolut nirgends besprochen worden waren“ beschließt Susanne Gaschke ihre Kritik.

Offenlegung und Persönliches

Susanne Gaschke war mir bis dato unbekannt. Es war ihr empathieloser Satz „Er heult herum über seine schwere Kindheit und seine Traumata“, der mich dazu veranlasste Stellung zu ihrem Verriss zu beziehen. Da ich von einer Posttraumatischen Belastungsstörung betroffen bin, kenne ich die Einschränkungen und gesellschaftlichen Reaktionen, die damit einhergehen können.

Als Basismitglied der SPD verfolge ich die Debatte über den Markenkern der Partei und wie dieser wiederbelebt werden kann. Solidarität mit den Schwächsten der Schwachen wäre angebracht. Insbesondere, nachdem die Agenda 2010 als SPD-Werk viel sozialen Zündstoff geschaffen hat. Zündstoff, wie er in der Fiktion Gotham City und in der Person des Jokers steckt.

Der von Susanne Gaschke gezeigt Mangel an Empathie für psychische Erkrankungen erreicht mich noch auf einer weiteren Ebene. Sie ist Ehegattin des amtierenden Wehrbeauftragten des Bundestages Hans-Peter Bartels, dem ich des öfteren in Eingaben über Mängel berichte, wo es um die Versorgung von einsatzgeschädigten Soldaten geht.

Anders als Susanne Gaschke, verließ ich das Kino nicht mit Gewaltfantasien. Am Vortag hatte das Attentat von Halle stattgefunden. Mittlerweile ist bekannt, dass der Attentäter seine Motivation aus rechtsradikalen und antisemitischen Verschwörungstheorien bezog und zurückgezogen bei seiner Mutter lebte, die in Interviews seine Ansichten über „die Reichen“ verteidigte.

Keine gute Zeit für einen Film über soziale Unruhen und Gewaltexzesse, der Menschen im Zwiespalt zurücklässt, ob Gewalt nicht einfach eine Folge äußerer Umstände sein kann.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Daniel Lücking

Journalist - verfolgt den 1. Untersuchungsauschuss des Bundestags zum Attentat am Breitscheidplatz vom 19.12.2016

Daniel Lücking

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