Liebe Robin

Depressionen Schreihälse fordern Berufsverbote für Depressive und täuschen über die Auslöser der Erkrankung hinweg. Verschwiegen wird auch,das die Gesellschaft keine Lösungen bietet.

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Ihre Freitag-Redaktion

Als Betroffener sehe ich in deinen letzten beiden Artikeln die ersten, die der nötigen Debatte wirklich nützen. Nicht die Erkrankung selbst ist das Problem, sondern die Art und Weise, wie die Gesellschaft und das Gesundheitssystem damit umgehen.

Richtig absurd wird es, wenn wir ein etabliertes, gesellschaftlich anerkanntes Gesundheitsproblem einmal genau so behandeln, wie derzeit Depressionen und psychische Erkrankungen angegangen werden.

Brechen wir uns doch mal das Schienbein

Ein glatter Bruch auf dem Weg durch die Stadt - wir sitzen heulend am Rand und finden sicherlich schnell Hilfe und Menschen, die den Weg in die Notaufnahme möglich machen. Doch weil der Beinbruch in diesem Beitrag die Depressionen sind, kommt einfach mal keine Hilfe. Die Menschen um uns herum fordern uns stattdessen auf, doch einfach weiter zu gehen. Zu funktionieren.

Humpelnd und unter Schmerzen werden wir abgewiesen, rumgeschickt und erreichen irgendwann den Punkt, an dem die Menschen um uns herum mit der Lage überfordert sind und sagen: "Also echt, ich glaube, du simulierst nur. Beinbruch ist doch so ein Modeding. Irgendwann ist es auch mal gut - du willst doch nur Aufmerksamkeit."

Gesellschaft und Mob

Auch im beruflichen Umfeld gibt es keine Rücksichtnahme. Mobbing und Psychoterror sind die Eisenstangen unter den Beinbruch-Gründen. Ein Mensch drischt mit der Eisenstange auf die Schienbeine von anderen Menschen in seinem Umfeld ? Über Tage und Wochen ? "Unvorstellbar - der gehört eingesperrt!" schreit der Mob.

Ein tyrannischer Chef ? "Ja, aber dem gehört doch das Unternehmen. Dann such dir halt einen anderen Job..."

Zu hohe oder unmenschliche Arbeitsanforderungen führen irgendwann zum Ermüdungsbruch. Um im Bild zu bleiben schickt uns das Krankensystem heute mal nicht zum schienen, eingipsen und anschließend in die Erholung. Die Monate des Wartens während der Therapeutensuche sind so absurd, wie mit dem Beinbruch aufs Trampolin geschickt zu werden.

Das Trampolin ist aber nicht nur die Krankenkasse, sondern auch die Sorgen um die Existenz, denn wir sehen, dass wir nicht funktionieren und sich das Bein mit jedem Sprung unter großen Schmerzen weiter verbiegt, krümmt und laut kracht.

Zeit heilt alle Wunden?

Glatter Bruch? Das Schienbein heilt und es wird gut sechs Wochen dauern. Es dauert acht? "Naja gut, war ja ein Beinbruch, das schmerzt. Aber schone dich bitte - fang nicht zu früh wieder mit dem Sport an."

Rücksichtnahme auf psychisch Erkrankte oder eine Vorstellung, welche Belastung eine Therapie mit sich bringt fehlt. Mehrwöchige stationäre psychosomatische Behandlung? Kommentare und Unterstellungen, wie "Na, da konntest du dich ja mal erholen" oder der Anspruch "Dann ist ja nun alles wieder gut" begegnen den Betroffenen eher, als helfende Worte, wie " Das war bestimmt anstrengend - brauchst du Urlaub oder willst du erst einmal nur halbtags arbeiten?"


Verständnis?


Das ein unbehandelter Beinbruch mit dem so absurd umgegangen wird nicht heilen kann verwundert nicht. Wann begreifen wir endlich, dass unsere Inkompetenz im Umgang mit Depressionen und deren Auslösern (Stress, Arbeitsdruck, Überforderung, Mobbing, Existenzangst) mehr Leben kosten, als in ein Flugzeug passen?


Robins Worte:
Eure Awareness kotzt mich an!

Awareness. Und jetzt?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Daniel Lücking

Journalist - verfolgt den 1. Untersuchungsauschuss des Bundestags zum Attentat am Breitscheidplatz vom 19.12.2016

Daniel Lücking

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