Salonlöwen im Terrorabwehrzentrum

Untersuchungsausschuss Weitgehend ohne öffentliches Interesse fand die dritte öffentliche Sitzung des Untersuchungsausschusses zum Attentat am Breitscheidplatz statt

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Zwischen Bundes- und Inkompetenzen.
Zwischen Bundes- und Inkompetenzen.

Foto: Michele Tantussi/Getty Images

Die Besucherränge sind kaum gefüllt und leeren sich zusehends über den Sitzungsverlauf. Zugegeben, sich entlang des Themas „Förderale Sicherheitsarchitektur“ acht eingeladene Experten anzuhören, ist nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig, obgleich Professor Doktor Heinrich Amadeus Wolff von der rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth eine faktenreiche und pointierte Analyse liefert und sich am Ende der Sitzung „am liebsten die Haare raufen würde, wenn ich denn welche hätte“.

Neben den Rechtswissenschaftlern sollen Jürgen Maurer als Vizepräsident a. D. des Bundeskriminalamtes und Heinz Fromm als ehemaliger Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz aus der Praxis berichten.

Eingebetteter Medieninhalt

Für und gänzlich im Sinne der AfD argumentiert aus der Praxis Otto Dreksler. Der leitende Polizeidirektor a. D. ist mit seinen Ansichten mehrfach Anlass dafür, dass sich die Rechtsexperten in der Runde bei nächster Gelegenheit noch einmal explizit für die förderalen Strukturen der Bundesrepublik aussprechen.

Strukturen, die für Dreksler ein „Bremswirkung“ haben. Strukturen, die laut Dreksler so viele Informationen angehäuft haben, dass relevante Erkenntnisse angeblich nicht mehr zu finden seien. Schuld an dem Informationsüberfluss wären die Flüchtlingsströme und eine Polizei könne natürlich nur deswegen nicht richtig arbeiten, weil Racial Profiling verboten sei, wie Thomas Seitz (AfD) durch seine Fragestellung insinuiert. Eine Fragestellung, die zu einer kurzen Beratungssitzung führt, an deren Ende Seitz jedoch in gleicherweise fragen darf, wie zuvor.

Heil dürfte in einer zentralistischen Struktur kaum zu finden sein. Schon der Blick nach Frankreich genüge als abschreckendes Beispiel, wie die Experten entgegenhalten.

Förderalismus: Ja!

In der Kritik der Experten steht vor allem das gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAz). Eine im Jahr 2004 oberhalb der Strukturen der Länder geschaffene Institution, die bisher nur mit wenigen Befugnissen ausgestattet ist, aber auf sämtliche Daten der Geheimdienste und Polizeien der Bundesländer zugreifen kann. Theoretisch.

Im Verlauf der Sitzung entsteht allerdings der Eindruck, dass es sich beim GTAz eher um einen sicherheitspolitischen Salon handelt, in dem der Attentäter vom Breitscheidplatz bis zum November 2016 zwar sieben Mal auf der Tagesordnung stand und diskutiert wurde – aber in dem eben auch nicht mehr passierte.

„Der Kern, über den wir reden, ist, dass beim Attentäter vom Breitscheidplatz von 50 Warnlampen schon 60 brannten“, konkretisiert der Obmann der Grünen Konstantin von Notz den Grund der Expertenanhörung.

Interessenkonflikte

Unverständlich ist vor allem, warum der Attentäter zahlreiche Delikte in mehreren Bundesländern begehen konnte, während er bereits auf dem Radar der Geheimdienste der Bundesländer war.

Dr. Benjamin Rusteberg von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg bringt mit einem Eisenhower-Zitat auf den Punkt, warum der Attentäter unter den Augen des GTAz Straftaten begehen konnte, aber nicht weiter sanktioniert wurde: „Es sind zwar Schweinehunde, aber es sind unsere Schweinehunde.“ So dürfte schlicht das Informationsinteresse der Geheimdienste vor dem Strafverfolgungsinteresse der Landespolizeien gestanden haben – ein Dilemma, das auch in den NSU-Untersuchungsausschüssen die Parlamentarier von Bund und Ländern beschäftigt.

Darüber hinaus sieht auch Rusteberg Probleme bei der Datensammlung der Behörden. Daten könnten nicht ohne Medienbrüche ausgetauscht werden, weil die Datenbanken der Länder nicht zueinander passten .

Hausaufgaben für die Parlamentarier

In ihren Schlussstatements legen die Experten den Abgeordneten eine Liste an Aufgaben dar. Geht es nach Prof. Dr. Wolff, sollten sich die Obleute unter anderem ein genaueres Bild von der Arbeit des GTAz machen und an den Schnittstellen des Informationsaustausches arbeiten. Wolff fordert auch mehr Transparenz in der geheimdienstlichen und polizeilichen Arbeit und rät zum Einbau institutioneller Störenfriede, wo dies nicht möglich sei. „Aber auf mich hört ja keiner“, ist sich Wolff sicher.

Dr. Rusteberg thematisiert noch einmal den immer wieder skandalträchtigen Umgang mit V-Leuten, macht aber wenig Hoffnung, dass dieser Bereich durch Regelungen in den Griff zu bekommen sei. „Wenn es so regelwidrig läuft wie da, dann kann man auch sagen: Warum soll man überhaupt etwas regeln?“ Als abschreckendes Beispiel aus der in den letzten Jahren stetig wachsenden Zahl an Vorfällen mit V-Leuten nennt Rusteberg die Überwachung linker Studenten in Heidelberg.

Seine Forderung dürfte auf wenig Gegenliebe bei den Geheimdiensten stoßen, denn dort seien gesetzliche Regelungen eher verpönt, wie Rechtsanwalt Dr. Nikolaos Gazeas mit einem anonymen Zitat eines Geheimdienstlers belegt: „Das kriegen die in Berlin sowieso nicht hin, ein Gesetz so zu formulieren, dass wir so effektiv weiterarbeiten können.“

Mit der dritten öffentlichen Sitzung ist nun die Auftaktrunde der Expertenanhörungen vorbei. Die Videoaufzeichnung der Sitzung ist in der Bundestagsmediathek zu finden. Ab der nächsten Sitzung am 7. Juni 2018 beginnen die Zeugenvernehmungen, von denen keine Videoaufzeichungen verfügbar sein werden. Besucher können sich über die Ausschussseite für die Teilnahme an der öffentlichen Sitzung anmelden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Daniel Lücking

Journalist - verfolgt den 1. Untersuchungsauschuss des Bundestags zum Attentat am Breitscheidplatz vom 19.12.2016

Daniel Lücking

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