Siegreiche Rückzüge und Rommel rückwärts

Verteidigungspolitik Was ist dran an den Meldungen über den fatalen Zustand der Bundeswehr? Welche Aussagen sind überhaupt noch verlässlich? Auf den Zahn fühlen wäre dringend wieder dran!

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Seit Monaten, gar Jahren folgte auf eine irr-witzige Meldung zum Zustand der Bundeswehr die nächste. Waffen, die nicht richtig schießen. Drohnen, deren Entwicklung inkompetent begleitet wird, sodass das Endprodukt zwar fertig ist, aber nicht fliegen darf. Kasernen, die schimmeln – Kleidung, die nicht mehr solide finanziert ist von Zulieferern, die eine Pleite hinlegen und deren Verluste der Steuerzahler auffängt.

Zuletzt dann nun Hubschrauber für die Marine, die über Nord- und Ostsee nicht mehr fliegen dürfen. Das tragisch komische Milliardengrab ist mein ehemaliger Arbeitgeber.

Nichts läuft, wie es soll. Milliarden verschleudert – Ziele verfehlt. Weitere Milliarden müssen ran, um Ziele doch noch zu erreichen. Ausgang ungewiss und die Rechnung wächst.

Begleitet wird die Peinlichkeit von einer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die nur als Realitätsverweigerung bezeichnet werden kann. Je mehr der Ausreden ich höre, desto häufiger fühle ich mich an Zeiten erinnert, die eigentlich nicht zu den zulässigen und anerkannten Traditionslinien der Bundeswehr gehören.

Weite Teile der Bundeswehr sind rechtskonservativ geprägt. Soldaten, die einem Kämpferkult huldigen, Sprüche, wie „Treue um Treue“ wiederbeleben und am liebsten in aller Herren Länder per Fallschirm einfallen würden präsentieren sich teils unverblümt mit den soldatentypischen Werten „Kameradschaft“ in den solzialen Netzwerken.

Romane über Gefechtserlebnisse in Afghanistan mögen nicht auf dem Niveau der Landser-Hefte liegen – doch die feuchten Militaristen-Träume dürften auch in den kommenden Jahren weiter gefüttert werden.

Alles, was nicht in das Bild dieser Menschen passt, wird totgeschwiegen oder weg argumentiert.

Narrative der PR-Maschinerie

Alles nicht neu – Ausrüstungsmängel habe es schon immer gegeben. Material nicht einsatzbereit ? Ach, das war doch nur eine Übung. Da reicht auch ein Besenstiel. Selbst die alljährliche Ansprache des Wehrbeauftragten im Rahmen seines Mängelberichtes führt nicht zu Änderungen oder Abhilfe. Die Nachwuchswerbung steht in der berechtigten Kritik über die Risiken des Berufes zu schweigen. Die Fürsorge nach der Dienstzeit ist derzeit schlecht und ineffektiv organisiert.

Die Pressestatements und öffentliche Darstellungen der Bundeswehr sind vor allem für aktive und ehemalige Soldaten mit Hintergrundwissen kaum noch auszuhalten. Wir sehen einen offenkundig „dampfenden Haufen Scheiße“. Nicht nur wir, denn auch die Öffentlichkeit nimmt die Mängel wahr.

Die PR-Maschinerie von Bundeswehr und Bundesregierungen stellt hingegen klar, dass es sich doch eher um eine „minder angenehm duftende Hinterlassenschaft mittelharter Konsistenz handelt“ und dass wir den Aspekt des „dampfens“ doch bitte als „Potential“ wahrnehmen sollten, denn schließlich „expandiert da ja was.“

Zugegeben – das ist sehr bildlich gesprochen und kein Vollzitat. Doch immer öfter gehen Realität und Bundeswehrdarstellung so sehr auseinander, dass ich Analogien zur verzweifelten Kriegspropaganda zu Zeiten des längst verlorenen zweiten Weltkrieges sehe.

Kürzlich stolperte ich in einem Buch über Alltags-Widerstand im dritten Reich über ein Göbbels-Zitat. Die Propagandamaschinerie sprach von einem „siegreichen Rückzug“ der deutschen Armee. Deratig verzerrte Wahrnehmungen wohnen auch der heutigen Öffentlichkeitsarbeit inne.

Rommel und der Nachschub

Was von den fatalen Meldungen, die uns derzeit aus dem Verteidigungsministerium erreichen zu halten ist, ist nicht klar. Wird hier übertrieben, um erhöhten Finanzbedarf bei der Behebung der Mängel zu veranlassen, oder ist es wirklich so schlimm?

Immer drängender auch die Frage: wer hat eine realistische Einschätzung, wenn im „Weißbuch“ neue Ambitionen neidergelegt werden. Luftschlösser und Hirngespinste – doch weil sie aus Händen der Regierung kommen, gelten sie als „Leitlinie“.

Es liegt mir fern, die Wehrmacht und deren Akteure zu glorifizieren oder zu loben. Doch eine Interessante Feststellung machte Rommel zum Thema Materiallage in Kriegszeiten.

Um handlungsfähig zu sein, müsse in Kriegszeiten vier mal so viel an Nachschub gefordert werden. Die Regel sei, es käme grundsätzlich so wie so nur die Hälfte an. Aber mit dieser Taktik habe man dann immer noch doppelt so viel, wie man eigentlich brauchen würde.

Gut – wir wissen, wie das letztlich ausgegangen ist.

Sind die Horrormeldungen also tatsächlich Realität oder nur Grundlage, um mehr Geld zu fordern ? Sei es drum: die Kadenz der Meldungen steigt – wöchentlich neue Desaster und natürlich muss dringend gehandelt werden. Doch wie?

Mein Plädoyer: „Rückwärts … MARSCH!“

Da der Wahrheitsgehalt einer Bundeswehrmeldung über den Zustand des Materials nur noch bis zum notwendigen Dementi reicht, dass nach Spiegel oder anderen Presseenthüllungen publiziert werden muss, zweifele ich an, dass es noch irgendeine Person in der Bundeswehr gibt, die überhaupt einen Überblick hat.

Ich plädiere daher für eine schonungslos Bestandsaufnahme des IST-Stands und darauf folgend dann den Ableitungen, welche Ziele sich im Rahmen von „Weißbüchern“ überhaupt noch gesetzt werden dürfen. Der Politik wird mehr Militär angeboten, als einsatzbereit ist, um auch morgen noch nach mehr Geld jammern zu können.

Im Rahmen einer „Rommel-Rückwärts-Rolle“ sollte zunächst der Bestand an funktionsfähigem Material und ausgebildetem, einsatzfähigen Personal erfasst werden. Im Bereich des Materials dürfte dann z.B. ein Waffensystem erst dann als funktionsfähig gelistet werden, wenn es mindestens vierfach vorhanden ist. Getreu dem Rommel-Prinzip hätten wir dann sogar doppelt so viel, wie eigentlich benötigt.

Gleiches gilt für den Bereich des Personals. Der überlastete Personalkörper wurde durch häufige Einsatzentsendung an die Grenze der Leistungsfähigkeit gebracht. Im Bereich des Personals dürften auf der Angebotsliste demnach nur fertig ausgebildete Soldaten stehen, die nach ihrem Einsatz eine ausreichend lange Regenerationsphase gehabt haben.

Reality bites, Mrs von der Leyen – aber das Hirngespinst „Weißbuch“ und die Falschmeldungen rund um die Bundeswehr nehme ich nicht mehr hin.

Zum Autor:

Durch Überlastung während der Afghanistaneinsätze gelte ich nach fast zwei Jahren des Feststellungsverfahrens als 30% einsatzgeschädigt.

Das ist eine Folge aus zu wenig Ausbildung, zu häufige Einsatzentsendung und dem auferlegten Druck, über eine Falschmeldung der Bundeswehr zu schweigen, die mittlerweile als Vertuschung entlarvt werden konnte. Die vergangenen zwei Jahre habe ich damit verbracht, diese Belastung aufzuarbeiten. In der Zusammenarbeit mit der Linksfraktion im Bundestag konnte die Grundlage geschaffen werde, die Kollegen des Tagesspiegels im Rahmen der „Afghanistan-Connection“ dann veröffentlichten.

Seelisch und moralisch war das eine große Entlastung für mich und ein wichtiger Schritt, mit dem Krankheitsbild „Depression“ klar zu kommen. Ich reagiere auf Stress leider nicht mehr in jeder Lebenslage souverän – aber ich lerne derzeit mühsam, damit umzugehen.

Lerneffekte

Teil der zweijährigen Aufarbeitung war vor allem die Analyse, wie ich in die verfahrene Situation gekommen bin. Welche Halbwahrheiten waren über meine zehnjährige Dienstzeit ins Unterbewusstsein gesickert? Wo war der Wunsch Vater des Gedanken und Taktgeber für die Wahrnehmung ?

Je mehr ich mich mit der Bundeswehr und dem Bild auseinandersetzte, desto mehr bröckelte die Fassade der Werbewelt, der ich schon zu Dienstzeiten immer weniger Glauben schenken konnte und die auch nach meiner aktiven Dienstzeit durch zahlreiche ernüchternde Erkenntnisprozesse begleitet war.

Immernoch habe ich Kontakt zu ehemaligen Wegbegleitern aus der aktiven Zeit. Mein öffentlicher Umgang mit der Erkrankung stößt dabei nicht auf Gegenliebe. Die rechtskonservative Prägung, die bei einigen dieser Menschen vorherrscht, begegnet mir in zahlreichen Kommentaren. Ich solle doch nicht alles schlecht reden, schließlich würde mir geholfen. Doch dass bisher lediglich nur Hilfe angekündigt wurde – die notwendige Therapie gerade erst begonnen hat und von einer Entlastungsphase nicht die Rede sein kann, das soll unerwähnt bleiben.

Mängel dürften nicht kritisiert werden, denn schließlich seien es ja Freiwillige Fallmanager, die sich gerade für mich engagierten und kein hauptamtliches Personal, welches die Veteranenbegleitung durch die undurchsichtigen Verwaltungswege gewährleistet.

Selbst geschädigte Ex-Soldaten, die um die Probleme im Anerkennungsverfahren wissen, gehen mich offensiv an. Ich solle „arbeiten“ und mir nicht „Hobbies“, wie den Journalismus und die Themen setzen, an denen ich arbeite. In jedem Fall aber soll ich über die Missstände schweigen, die im Bereich der Einsatzgeschädigten vorherrschen.

Nicht öffentlich einsehbar, doch mit wissendem Auge und bestehender Vernetzung ist die Nähe dieser Menschen zur Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für mich deutlich zu erkennen. Für Mitleser wirken meine Facebook-Kommentare mitunter harsch – das Hintergrundwissen über Verbandelungen und die Struktur der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, sowie die Netzwerke aus denen heraus agiert werden fehlt.

Mache ich in Kommentaren Aspekte, wie bestehende aktive Dienstverhältnisse für die Leser sichtbar, dann ernte ich meist vernichtende Kritik. Es würde sich um private Details handeln. Ich würde Grundrechte verletzen und viele andere Begründungen werden herangeführt.

Doch Staatsdiener, die nicht offen zu den Arbeitsbereichen stehen, mit denen sie verbunden sind nehme ich nicht mehr hin. Steht zu dem, was ihr macht. Und macht kenntlich, wenn ihr aus dem Werbebereich der Bundeswehr kommt – oder lebt damit, das ich es tue.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Daniel Lücking

Journalist - verfolgt den 1. Untersuchungsauschuss des Bundestags zum Attentat am Breitscheidplatz vom 19.12.2016

Daniel Lücking

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