Transatlantisches Stockholmsyndrom

Spionage Eine Sommerpause in der NSA-Affäre? Die scheint noch nicht begonnen zu haben. Spätestens nach der Sendung Anne Will wird die Verschärfung deutlich.

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Talkshows folgen in der Regel einer absehbaren Dramatik mit klar verteilten Rollen und fördern meist nichts zu Tage, was nicht ohnehin schon bekanntgewesen sei.

Das Podium der Sendung Anne Will war mit Constanze Kurz (Sprecherin des Chaos Computer Clubs), Georg Mascolo (Leiter des Rechercheverbundes WDR, NDR & SZ), Katrin Göring-Eckhardt (Grüne MdB) mit Snowden-Befürwortern recht gut bestückt.

Die Gegenposition vertraten Andrew Denison (US-Politologe) sowie Clemens Binninger (CDU).

Kriegsrethorik ?

Selbstbewusstes Auftreten? Nein - das trifft das Verhalten von Andrew Denison nicht annähernd. Als Vertreter der amerikanischen Position stellte er sogleich jegliche Äußerung in den Schatten, die in den letzen Tagen als vermeintliche klare Worte aus Reihen der CDU-Regierungspolitiker zu hören war.

Deutschland sei klein, würde in den nächsten Jahren weiter schrumpfen, kooperiere mit den Russen und sei ähnlich unberechenbar, wie der Iran und Russland. Dies ist nur ein Auszug aus dem, was Denison so als amerikanische Haltung gegenüber Deutschland präsentierte.

#AnneWill Die Position von #Denison: Klar macht die USA Spionage.Klar macht die #NSA weiter.Er findet es normal, das in DEU spioniert wird.

— Daniel Lücking (@DanielLuecking) 16. Juli 2014


Das Verhalten der US-Dienste sah er nicht als kritikwürdig an. Schließlich würden doch alle - inklusive der Deutschen - davon profitieren. Und Saddam habe man damit ja schließlich auch zur Strecke gebracht.

Auch gesellschaftlich sei die Überwachung Deutschlands in den USA gewünscht:

#AnneWill #Denison Obama würde (metaphorisch) aufgehängt, wenn er #NSA Überwachung in DEU stoppen würde.(Anm: Ist das schon Kriegsrethorik?)

— Daniel Lücking (@DanielLuecking) 16. Juli 2014


Die Überwachung der Welt durch die USA ist sozusagen alternativlos.

Alle dumm, außer ich

Dieser Art von Rethorik noch mit Fakten begegnen zu wollen, bleibt ohne Wirkung. Die Frage nach dem Erfolg der Kriege im Irak und in Afghanistan, die Katrin Göring-Eckhardt zwischenzeitlich stellte, verhallte ebenso wirkungslos, wie die Anmerkung von Constanze Kurz, dass es durchaus auch Amerikaner gebe, die sich mit Protestbriefen an die US-Regierung wenden.

Gegen Argumente sperrte sich dann auch Clemens Binninger. Seine Linie: als Mitglied im parlamentarischen Kontrollgremium sei er kompetent in der Beurteilung der Arbeit der Dienste.

Als Anne Will ihn mit abweichenden Einschätzungen des Parteikollegen Wolfgang Bosbach konfrontierte, wischte er auch diese Beiseite.

Druck auf die USA erhöhen? Für Binninger so undenkbar, dass er auch gar nicht weiter zuhörte, als Katrin Göring-Eckhardt diesen Vorschlag als mögliche EU-Initiative darstellen wollte. Deutschland sei zu klein und unbedeutend gegenüber den USA - da war sich der CDU-Mann wohl mit dem US-Politologen einig. Warum das für ihn eine EU-Initivative gegen Überwachung ausschließt, wird wohl sein Geheimnis bleiben.

Binninger war im März 2014 zunächst der Vorsitzende des NSA-Ausschusse, zog sich dann aber aus der Arbeit zurück, weil die Oppositionsparteien auf die Vernehmung von Edward Snowden bestanden.

Die Mantras, die er in der Sendung vertrat, glichen der Parteilinie:

Snowden habe kein Material mehr verfügbar, habe sich auch gegenüber der EU nur nebulös geäußert und keine neuen Fakten präsentiert. Eine Videovernehmung sei ausreichend.

Spätestens mit der Forderung, die Überwachungsangelegenheit mit den Amerikanern hinter verschlossenen Türen zu klären wurde deutlich, wie sehr das transatlantische Wohlgefallensbedürfnis auch bei diesem CDU-Politiker den Blick für andere Aspekte der Realität verstellt.

Constanze Kurz reagierte prompt, fragte, wie denn andere Staaten reagieren würden, wenn Deutschland auf einmal in Geheimverhandlungen mit den USA gehen würde. Schließlich bestehe die Möglichkeit, dass bei künftigen Enthüllungen auch die Überwachung anderer europäischer Staatsoberhäupter auffliegen könnte.

Für Clemens Binninger war all das schon seit Beginn der Sendung kein Argument.

#AnneWill #Binninger von der @cducsubt will von der Spionage nichts gewusst haben, weil man vertrauensvoll zusammengearbeitet habe.

— Daniel Lücking (@DanielLuecking) 16. Juli 2014

Machterhalt - alles andere kümmert uns nicht

Bedrückend war, dass Clemens Binniger ausblendete, dass Edward Snowden in Russland keine Zeugenaussage geben kann. Doch woher soll Binninger als ehemalige Führungskraft aus Polizeikreisen ein Gespür für Aspekte des Zeugenschutzes haben?

Für Binninger scheint klar, dass keine neuen Erkenntisse aus Snowdens Aussage zu erwarten sind. Oder ahnt er nur, was auffliegen würde, falls Edward Snowden offen reden darf?

Angesichts der heiß diskutierenden Damen und Herren auf dem Podium wirkte Georg Mascolo gelassen, fast farblos.

Ob dem Verlauf der Affäre sehe er die Beziehungen zwischen den USA und Deutschland derzeit auf den Weg in den freien Fall, Überwachung zerstöre Vertrauen, Spionage sei ein Spiel alter Männer.

#AnneWill #Mascolo Gegen die sich-sperrende Regierung wird wohl das Bundesverfassunggericht entscheiden müssen.

— Daniel Lücking (@DanielLuecking) 16. Juli 2014

Ein Satz, der schon in der letzten Legislaturperiode mehrfach zur Anwendung kam - wie lange werden wir diesen noch gebrauchen müssen?

Verzögerungsgefecht

Der nächste Schritt in der NSA-Affäre drängt sich immer mehr auf: die Rolle des BND und der eigenen Telekommunikationsunternehmen muss aufgeklärt werden.

Aspekte des Ringtausches, den die Dienste praktizieren sowie der Umfang der technischen Überwachungsmaßnahmen durch das ehemalige Staatsunternehmen Telekom wurden bisher auf der politischen Ebene kaum diskutiert.

All das in Geheimverhandlungen verlagern zu wollen entlarvt Binninger und das transatlantische Stockholmsyndrom, das offenbar weit verbreitet unter CDU-Politikern ist. TTIP aussetzen? Undenkbar. Protest auf EU-Ebene? Aber nicht doch.

TV-Tipp:

Am 17.07. wird ab 22:15 Uhr in der ZDF-Sendung Maybritt Illner unter anderem mit Peter Altmaier diskutiert, der als Kanzleramtsminister auch die Verantwortung für den Geheimdienstkoordinator und zahlreiche andere Gremien trägt, die in dieser Affäre eine Rolle spielen.


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Geschrieben von

Daniel Lücking

Journalist - verfolgt den 1. Untersuchungsauschuss des Bundestags zum Attentat am Breitscheidplatz vom 19.12.2016

Daniel Lücking

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