Warum ich kein Hardliner beim Datenschutz bin

Überwachung Datenschutz fordern derzeit viele.Sie ahnen und vermuten die Auswirkungen, die die NSA-Überwachung auf uns hat.Meine Motivation ist anders: ich erlebte den Zensurversuch.

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Gestern drehten allerorten wieder viele Techblogger frei. Grund war eine gewisse Produkt- und Entwicklerpräsentation eines weltweit bekannten IT-Unternehmens. Dieses ist einerseits dafür bekannt haptisch hochwertige Produkte zu liefern, für die der Unternehmensgründer einen ikonengleichen Status erreichte.

Zu recht, wie ich finde, denn es war der technische Vorsprung der mich 2010 zu diesen Produkten brachte.

Aber die Frage bleibt:

Können sich Tech-Journos noch kritisch zu #NSA Themen äußern, die jetzt ein Produkt mit proprietärer amerikanischer Software hypen? — Daniel Lücking (@DanielLuecking) 2. Juni 2014

Doch im vergangenen Jahr verlor ich immer mehr die Lust an den Geräten. Ich hatte akzeptiert, dass es gewisse Einschränkungen gab, die in der Tech- und Hackerszene seit jeher kritisiert werden. Dabei störte mich der Nachteil mit dem verschlüsselten Quellcode eigentlich nicht wirklich, denn es ging mir um die Nutzung der Geräte.

Spätestens seit das Ausmaß der Überwachung der NSA offen liegt ist jegliches positive Gefühl bei der Nutzung dieser Geräte verflogen und ich suche nach Ausweichlösungen.

Mit viel Aufwand war diese Ausweichlösung für mein Laptop schnell gefunden. Ein Linuxsystem vollverschlüsselt installieren – wenn nicht die Hardware im Produktionsprozess kompromittiert wurde, dann habe ich in der Tat ein sicheres Gerät.

Grenzen der Sicherheit

Die Lösung lag nur scheinbar schnell auf der Hand und ich war schon im Oktober mit einem Linux-Gerät unterwegs. Doch nicht vom „Hochglanzhersteller“ sondern auf einem eigens gekauften Netbook. Grund dafür: ich arbeitete mit einer durch meine damalige Redaktion angepassten Installation.

Für eine Linux-Installation hätte ich einmal quer durch die Republik zur Einrichtung reisen müssen und ich war mir nicht einmal sicher, ob ein Linux für die Arbeit mit den Redaktionssystemen konfiguriert worden wäre.

Im März war dieser Job dann nicht mehr im Spiel, so dass mein Arbeitsgerät auf Linux gebracht wurde – die beste Entscheidung seit langem.

Und das Tablet?

Im Tabletbereich bleibt das Unbehagen. Erste Entwickler sind mir bereits bekannt, die ein anderes als das vom Hersteller vorgesehene System auf dem Gerät laufen lassen. Doch leider: es ist ebenfalls ein amerikanisches proprietäres System.

Funktionierende Lösungen im Linux-Bereich sind mir bisher nicht bekannt. Allein für diesen Wunsch erfahre ich Kritik und bekomme unterstellt, ich würde „teilweise am Rad drehen“. Nun gut – der kritisierende Nutzer ist befangen, denn er verkauft(e) diese Geräte. Meine Probleme beim Tablet:

1. eMail
Ich traue mich journalistisch an Themen, die heikel sind und ich will ein zuverlässiger Ansprechpartner für Informanten sein. Die Technik sollte mir dabei eigentlich helfen, ist aber der Feind in der eigenen Tasche. Laufen meine Daten über ein proprietäres – also Herstellereigenes geschlossenes – System kann ich nicht für die Sicherheit meiner PGP-verschlüsselten eMails garantieren.

Es fallen Meta-Daten an, die schon den halben journalistischen Arbeitsprozess kompromittieren. Wer arbeitet wann mit wem zusammen – meine Recherche ist kompromittiert, sobald ich eMails auf dem Tablett eintreffen lasse.

2. Anonym Surfen
Der private Modus im Browser ist beim derzeitigen Kenntnisstand der Überwachung gelinde gesagt ein Witz. Alternativlösungen, wie TOR oder das surfen über Freifunknetzwerke sind auf dem Tablet nicht verfügbar und auch hier greift wieder das Totschlagargument Backdoor im Gerät.

3. Schnelligkeit
Ich nutze das Tablet oft für Veranstaltungen von denen ich Live via Twitter tickere. Auch das macht im Bewusstsein der Überwachung immer weniger Spaß. Noch dazu, weil der kritische Blick der sachkundigen Techies um mich herum zurecht auf das Gerät fällt, dessen Kameras, Mikrofone und Ortungsdienste alle Informationen liefern, die Dienste so wünschen.


Irrwitzige Forderungen?

Mein Wunsch, das Tablet mit Linux betreiben zu können um wenigstens einen sicher nutzbaren mobilen Device zu haben empfinden viele als überzogen. Derzeit fehlt mir leider das Geld, das Tablet gegen ein Linux-Tablet (gibt es da überhaupt?) auszutauschen.
Ich vertrete auch die Auffassung, dass das eigentlich gar nicht notwendig ist, denn das Kernproblem ist nicht das Gerät, sondern die unrechtmäßige, missbräuchliche und unethische Nutzung durch die Dienste. Traurig:momentan ist kein Wille auf Seiten der Regierung zu erkennen, uns wirksam dagegen zu schützen.

Dabei sind durchaus Mittel vorhanden. Ich sehe politisch folgende Möglichkeiten:

Schritt 1: Handelsbeschränkungen für proprietäre Software
Geräte, deren Quellcode nicht durch unabhängige Instanzen geprüft werden können, sollten mit Preisaufschlägen belegt werden.

Schritt 2: Handelsbeschränkungen für nicht abschaltbare Geräte
Immer mehr Handies und nahezu alle Tablets sind schon vom Geräte-Design her nicht mehr abschaltbar. „Aus“ ist schlicht etwas, das uns die Software suggeriert, denn sie spielt eine Shut-Down-Fanfare ab.
Snowden bestätigte kürzlich, was Entwickler, Techies und Hacker längst wissen: die Dienste können selbst auf ausgeschaltete Geräte zugreifen und unbemerkt Kameras, Mikrofone und Ortungsdienste aktivieren. Für Journalisten der Tod einer jeden sensiblen Recherche.
Die Forderung muss daher lauten nur noch Geräte im europäischen Handel zuzulassen, die einen physikalischen Ausschalter besitzen, der die Hauptplatine vom Akku trennt.

Schritt 3: Handelsbeschränkungen für nicht abschaltbare Ortungsdienste
Auch das GPS-Modul sollte durch einen Hardwareschalter zu deaktivieren sein. Gleichzeitig sollte die Betätigung des Hardware-Schalters dazu führen, das Apps mit Ortungsdiensten diese Daten nicht mehr übermitteln: IF „GPS-OFF“ DO NOT FORWARD „LOCATION“

Schritt 4: Handelsbeschränkungen für Geräte ohne Privacy by Design
Die Neueinrichtung eines Tablets wird durch einen speziellen Prozess begleitet. Dieser sollte erst einmal so gestaltet werden, dass das Gerät frei von unbemerkten Benutzeraktionen ist. Besonders das Gerät über das ich ohne Namens- und Herstellernennung spreche wird jedoch so dermaßen gehyped, das die Mitarbeiter in den Filialen quasi darauf drängen, das Gerät noch im Laden auszupacken und in Betrieb zu nehmen.
Und auch beim Auspacken daheim: der Nutzer will mit dem Gerät arbeiten und eilt durch den Einrichtungsdialog. Aufgabe von Verantwortungsbewussten Herstellern muss sein, zu jederzeit die Privatheit und Nutzerautonomie zu garantieren.
Keine App von Drittanbietern darf das umgehen. Spätestens seit einem bekannten, kompromitierten Spiel mit wütenden Vögeln liegt auch hier das Problem offen.

Fazit: Technisch lösbar – aber der politische Wille fehlt

Ich werde immer noch oft belächelt, wenn ich all das fordere. Ich höre von Politikern, dass meine Forderungen utopisch seien, denn es handelt sich ja um ein amerikanisches Unternehmen. Unsere Gespräche enden meist nach meiner Antwort, dass wir doch auch regulieren, welche Autos auf deutschen und europäischen Straßen fahren – warum nicht auch im IT-Bereich?

Ich werde oft belächelt, weil ich die Möglichkeit eines Zugriffs der Dienste als so belastend empfinde. Hier entgegne ich meist, dass ich als ehemaliger Bundeswehroffizier schon 2007 in Afghanistan aufgefordert wurde, Akku und Handy zu trennen.
Dumm wie ich war, dachte ich dabei immer nur an Abhörtätigkeiten der gegnerischen Dienste, nicht aber an die Möglichkeit, dass ich in einem abgehörten Raum sitze, in dem jedes Wort aufgezeichnet und ausgewertet wird. Die Paranoia der Dienste geht leider soweit.

Spätestens seit einem Anbahnungsgespräch im Dezember 2013 mit ernstzunehmenden Drohungen hat mich die Überwachung im Alltag erreicht. Es kontaktierte mich ein Mensch, der mich zunächst in einer Geprächsituation hielt, dann mit unangenehmen Fragen aushorchte und sich quasi unaufgefordert durch den „Truppenausweis“ (= Dienstausweis für Soldaten) authentifizierte. Später erfolgte durch eine eMail aus einem „anderen Bundesministerium“ eine zweite Authentifizierung.

All das war so angelegt, dass ich die von ihm kommunizierten Drohungen ernst nehmen muss. (Link zur Gesprächsbeschreibung und ersten Schutzmaßnahmen)

Nicht zuletzt ist es meine Erfahrung aus 10 Jahren Militärdienst als Offizier die mir sagt: „Menschen neigen auf allen Ebenen dazu ihre Machtbefugnisse zu missbrauchen und auszudehnen.“ All das sah ich an vielen Beispielen im Tagesdienst – all das steckt nun auch in der NSA-Affäre.

Ohne Panikmache – ganz rational. Und es fühlt sich nicht gut an.

In Kenntnis all dessen liegt die Frage nah, die ich gestern bereits auf Twitter und Facebook stellte. Für mich verbieten sich positive Worte über jeden Hersteller von Hard- und Software, die unsere Freiheitsrechte aufweicht.

Die Forderung „Dann benutz es halt nicht“ empfinde ich als diskriminierend und sie führt zu sozialer Ausgrenzung sich komplett aus dem Netz zurück zu ziehen.

Lasst uns diese Fehlentwicklung endlich stoppen.

In drei Afghanistaneinsätzen betrieb der Autor Medienarbeit für die Bundeswehr. Seit 2012 hinterfragt er als Onlinejournalist die Hintergründe eines Vorfalls, dessen Augenzeuge er wurde. Ebenfalls kritisiert er die Informationspolitik der Bundeswehr rund um die Berufskrankheit Posttraumatische Belastungsstörung als Reaktion auf Auslandseinsätze in seinem Blog unter Wir.Dienten.Deutschland . Neben dem Engagement in Vereinen, wie dem militärkritischen Darmstädter Signal und dem Whistleblower-Netzwerk beteiligt er sich an Gründung und Aufbau von "Veterans for Peace Deutschland".
Die bestehenden Mitgliedschaften in Berufsverbänden mit journalistischen und teilweise soldatischem Bezug dient der Informationsgewinnung und Vernetzung und beinhaltet im soldatischen Bereich keinerlei Abhängigkeit oder PR-Interesse.
Derzeit finanziert sich der Autor durch eine Eingliederungshilfe die das Bundesamt für Personalmanagement noch bis 1.8.2014 zahlt, sowie einen Job als Pressereferent der Piratenfraktion Lichtenberg. Wenn politische Äußerungen die Positionen der Piraten beinhalten sind diese überwiegend, aber nicht immer auch als Meinung des Autors zu werten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Daniel Lücking

Journalist - verfolgt den 1. Untersuchungsauschuss des Bundestags zum Attentat am Breitscheidplatz vom 19.12.2016

Daniel Lücking

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