Als Peter Jennings, der Anchormann des amerikanischen TV-Senders ABC, in der vergangenen Woche an den Folgen einer Lungenkrebserkrankung starb, fühlten sich Medienkollegen wie Fernsehzuschauer, als hätten sie einen guten Freund verloren. Amerikas Öffentlichkeit war von der Todesnachricht eines seiner prominentesten Fernsehgesichter der letzten Jahrzehnte wie elektrisiert. Selbst die TV-Konkurrenz leistete noch viele Tage später umfassenden Sendezeit-Tribut für den großen Journalisten. Freunde, Kollegen, ehemalige Rivalen, Hollywoodstars und sogar George W. Bush traten vor die Kameras, um an ihn zu erinnern. Tausende von Rauchern gaben die Suchtgewohnheit auf, die zum Tod des Anchormanns geführt hatte.
Anders als bei den Todesfällen von Terry Schiavo u
Schiavo und Johannes Paul II., die in den letzten Monaten durch die Schlagzeilen gezerrt worden waren, war dieses Mal weder eine hintergründige, politpopulistische Agenda noch ein vordergründiger, für die Einschaltquoten förderlicher Voyeurismus zu bemerken. Die Berichterstattung ging würdevoll vonstatten - allerdings auch relativ hilflos. Selbst als Larry King von CNN in memoriam Peter Jennings seine zweite Sondersendung über den Äther jagte, konnten die höflich plauschenden Celebrity-Gäste aus den TV-Nachrichten keine befriedigende Antworten darauf geben, warum die Öffentlichkeit vom Tod des 67-Jährigen so betroffen war.Jennings gehörte zusammen mit Tom Brokaw von NBC und Dan Rather von CBS zur Troika der Anchormänner, die die amerikanische Newslandschaft seit den frühen achtziger Jahren dominiert hatten. Seit 1983 führte Jennings mit einem leichten kanadischen Akzent durch ABCs World News Tonight. Zu Beginn der neunziger Jahre, als seine Popularität ihren Höhepunkt erreichte, schauten ihm dabei jeden Abend rund 11 Millionen Zuschauer zu. Er präsentierte die großen historischen Ereignisse der Zeit - immer mit Seriosität, professioneller Distanziertheit und kosmopolitischem Charme. Letzterer bezauberte vor allem Frauen im mittleren Alter und brachte ihm gänzlich unironische Vergleiche mit James Bond ein. Als 1963 die Berliner Mauer gebaut wurde, war er als Auslandskorrespondent in Deutschland tätig. Als sie 1989 fiel, war er einer der ersten, die nach Berlin reisten. Mit beeindruckender journalistischer Expertise berichtete er aus Vietnam und Irak, aus Beirut und Sarajevo. Am 11. September 2001, als Amerika in Panik versank, moderierte er mit beruhigender Stimme für lange 11 Stunden ohne Unterbrechung.Nachdem Dan Rather und Tom Brokam anfangs diesen Jahres von ihren Anchor-Jobs zurückgetreten waren, blieb Peter Jennings als letzter Vertreter jener glorreichen Anchorman-Epoche im Amt. Selbst nach seiner fatalen Krebs-Diagnose, die er mit kampfesmutigen Worten am 19. April zum Ende seiner abendlichen Sendung verkündete, blieb er Chef der ABC-Nachrichten und rechnete offensichtlich fest mit seiner baldigen Rückkehr vor die Kamera.Doch selbst seine Professionalität, die in Episoden wie diesen zum Ausdruck kommt, konnte den beständigen Verfall der Abendnachrichten nicht aufhalten. Denn der Medienmarkt Amerikas hat sich seit dem Karrierebeginn Jennings grundlegend verändert. Immer mehr Umfragen zeigen zum Beispiel, dass die Zuschauer das Vertrauen in die Mainstream-Medien verloren haben. Nur noch 34 Prozent der Amerikaner glauben noch, dass sie in den Abendnachrichten der drei größten TV-Sender wahrheitsgemäß, unparteiisch und aktuell informiert werden. Bei der Daily Show mit Jon Stewart, einer nächtlichen "Fake-News"-Sendung auf dem Kanal Comedy Central, die mit bissigem Sarkasmus von den Nachrichten des Tages berichtet, fühlt man sich oft besser aufgehoben.Der Grund für diesen Vertrauensschwund liegt zum Teil im Wandel der Nachrichten-Formate, die sich immer mehr zu einer tragikomischen Persiflage ihrer selbst entwickelt haben, auch wenn einflussreiche Journalisten wie Jennings versuchten dem etwas entgegen zu setzen. Von Intellektuellen werden die Abendnachrichten heute meist abfällig "Ersatz-News" genannt, wobei der Klang des deutschen Präfix dem Label für amerikanische Ohren eine besonders harsche Wirkung verleiht. Die Berichterstattung aus dem Ausland, zum Beispiel, ist in den letzten Jahren auf erschreckende Weise gesunken. Immer weniger Kanäle sind bereit, teure Kamerateams und Produzenten in dem Maße nach Übersee zu senden, wie es früher der Fall war oder etwa noch heute bei den britischen BBC World News der Fall ist. Im Kampf um Gewinnspannen und Einschaltquoten sind Nachrichtensendungen, die einst mit der deutschen Tagesschau vergleichbar waren, zu RTL-haften Entertainmentprogrammen geworden, die in erster Linie von obskuren Alltagsgeschichten und zu Medienblasen gehypten Un-Themen, von Pseudo-Skandalen und Celebrity-News berichten.Amerikanische Medientheoretiker wie Richard A. Posner erkennen darin eine zwar zunächst beunruhigende, aber dennoch gesunde Entwicklung, die von den selbstregulativen Prinzipien des freien Nachrichten-Marktes bald hinreichend organisiert werden würde. Dieser Optimismus ist allerdings nur schwer zu teilen. Zu Beginn des Fernseh-Mediums war die Vergabe der Sendelizenzen in den Vereinigten Staaten noch an einen verpflichtenden Bildungsauftrag im Dienst der Öffentlichkeit geknüpft. Heute geht es um die Profite von ein paar Medienkonglomeraten wie Viacom, Disney oder TimeWarner. Lukrative Kabelprogramme wie CNN und Fox News machen dabei den klassischen, unrentablen Formaten Konkurrenz. Von der Konsumentenseite zieht das Internet mit seinen politischen Bloggern den herkömmlichen Nachrichten den Boden unter den Füssen weg. Die Medienlandschaft besteht heute nicht mehr aus verbindlichen, internationalen und um politische Objektivität bemühten Nachrichten, sondern ist zu einer unüberschaubaren Diversität angewachsen, in der sich kleinere Medienoutlets an abgegrenzte und genau kalkulierte Zielgruppen wenden und diese durch attraktive Präsentatoren mit einer skrupulös abgestimmten Themenwahl bedienen lassen - verkaufsfördernd wirken dabei vor allem politische Stimmungsmache, patriotisch-erbauliche Geschichten, einfache und nach bekannten Mustern erzählte Storys wie Kriege, Kindesentführungen oder Flugzeugabstürze und natürlich jede Menge Klatsch und Tratsch.Die Epoche der Anchormänner in den Achtzigern und Neunzigern war in diesem Kontext bei weitem nicht nur die glanzvolle Episode, als die sie heute erscheint. Zwar lässt sich retrospektiv feststellen, dass die Qualität der TV-Nachrichten in jenen Jahrzehnten mit ihren vielen Auslands-Auftritten, ihren substantielleren Analysen und ihren investigativen Verfahren sehr viel besser war als heute. Andererseits aber waren es gerade die drei Model-Männer Jennings, Brokaw und Rather, die der heutigen Entwicklung einen Weg bahnten. Weniger aufgrund ihrer professionellen Erfahrungen als wegen ihrer filmreifen TV-Auftritte ausgewählt, leiteten sie eine Ära des Fernsehens ein, in der Anchormänner neben Journalisten auch gutaussehende, millionenschwere Entertainment-Stars sein mussten. Jennings, der ohne einen High-School- oder Collegeabschluss zum Fernsehjournalismus kam und dem zu Beginn seiner Karriere Spitznamen wie "Glamourcaster" oder "Anchorboy" verliehen wurden, war da keine Ausnahme.Was in der Trauer um Peter Jennings mitschwingt, aber in den meisten Sondersendungen, Talkshows und Nachrufen unausgesprochen bleibt, ist die Trauer um den Verlust jener Medien-Epoche, in der die Nachrichtenwelt noch übersichtlich war, eine auktoriale, vertrauenswürdige Stimme vom Bildschirm sprach und die Welt erklärend in Perspektive rückte. Die große Trauer um den Tod des ABC-Manns liefert das bis dato mächtigste Symbol für den irreversiblen Strukturwandel in den amerikanischen Medien - und ist Ausdruck einer tief empfundenen Nostalgie, die dem Gefühl Worte verleiht, dass die Welt durch die Diversifizierung der Medien nicht größer und zugänglicher, sondern paradoxerweise kleiner und provinzieller geworden ist. Man denkt wehmütig an eine kulturelle Institution zurück, die heute nur noch Mediengeschichte darstellt.
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