Alle Bürger sind aufgerufen, sich zu widersetzen

Initiative(n) Aber Widerstand allein genügt nicht

Nach Ausbruch eines nicht nur überflüssigen und rechtswidrigen, sondern auch hoch gefährlichen Krieges konkurrieren die Gefühle von Ohnmacht und Wut. Wieder müssen wir Bilder und Geräusche detonierender Bomben ertragen und unser Vorstellungsvermögen darüber, welche Grausamkeiten sie am Zielort unter der Bevölkerung anrichten. Haben die vielen Millionen Menschen in aller Welt ihren Friedenswillen umsonst bekundet? Muss auf den mehrheitlichen Willen der Völker und ihrer Vertretungen in der UNO tatsächlich keine Rücksicht mehr genommen werden?

Welcher neuen Weltordnung gehen wir entgegen? Werden wir künftig aufrüsten für Abrüstungskriege? Entdemokratisieren für Demokratisierungskriege? Ölfelder abbrennen, weil die Reserven knapper werden?

Müssen wir - wie mit Picassos Guernica-Bild in New York geschehen - Kunst verhüllen, um Kriegsbereitschaft zu entblößen? Wann wird auch bei uns, wie in den USA bereits geschehen, die Meinungsfreiheit so eingeschränkt werden, dass auf schwarzen Listen gefordert wird, kritischen Schauspielern keine Rollen zu geben, Leser oppositioneller Bücher zu registrieren, ja missliebige Personen von öffentlichen Verkehrsmitteln auszuschließen?

Das Jüngste Gericht der Weltöffentlichkeit, in dem wir alle einen Sitz haben, darf sich weder einschüchtern, noch durch geistige Mobilmachung beeindrucken lassen. Stellen wir klar: Wer sich unter Verzicht auf den Kern des Völkerrechts an die Weltherrschaft bomben will, dem kündigen wir die Freundschaft. Aber die Geschichte möge notieren: Nicht wir waren Anti-Amerikaner, sondern Bush und Rumsfeld und Powell. Und wer es wagt, mit dem möglichen Einsatz von Atombomben zu drohen, der wird bla(ir)miert bis auf die Knochen.

Noch verteidigen die meisten alten Europäer die amerikanischen Gründungswerte: Freiheit und Demokratie. Mit seinem frühen und trotz aller Angriffe beibehaltenen Nein zu einer Kriegsbeteiligung im Irak hat Kanzler Schröder vielen Menschen aus der Seele gesprochen. Das verlangt Respekt. Doch nun genügt es nicht mehr zu sagen, der Krieg ist eine falsche Entscheidung. Man muss den Mut haben, darauf zu bestehen, dass er eine verbrecherische Entscheidung ist. Es genügt nicht, seine Hoffnung auszudrücken, dass er nicht lange anhalten möge, und gleichzeitig Überflugrechte und andere logistische Unterstützung zu gewähren.

Politik ist immer Machtkalkül. Reicht der Männerstolz vor Königsthronen nicht bis zur letzten Konsequenz, genügt es auch nicht zu klagen und alle jetzt nötige Courage an die Regierung zu delegieren. Alle Bürger, die sich der Friedensbewegung verbunden fühlen, sind aufgerufen, sich zu widersetzen. Laut Art. 26 des Grundgesetzes sind »Handlungen, die geeignet sind... das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören«, nicht nur verfassungswidrig, sondern auch unter Strafe zu stellen. Also kann sich jeder nicht nur legitimiert, sondern sogar verpflichtet fühlen, an der Besetzung amerikanischer Militärbasen teilzunehmen, Hilfsleistungen durch Streik zu boykottieren oder zu Kriegsdienstverweigerung und Desertion aufzurufen.

Wem die Straße gehört - das demonstrieren uns die Leipziger schon seit Wochen wieder. Fordern wir, dass sich die Regierung für eine Sondersitzung der UNO einsetzt, in der das rechtsverachtende Vorgehen der USA verurteilt wird. Ein amerikanisches Veto würde einem solchen Wort der Völker nicht die Bedeutung nehmen.

Aber Widerstand allein wird nicht genügen. Bomben sind phantasielos. Der Frieden braucht ein Übermaß an Phantasie. Die Waffeninspektoren waren der Abrüstung durchaus dienlich. Dienlicher als Krieg. Vielleicht müssen Diktatoren künftig auch Demokratie-Auflagen bekommen. Wahlinspektoren, die unter Androhung »ernster Konsequenzen« darüber wachen, dass wirklich freie Wahlen durchgeführt werden. Auch dies könnte unter »Ausschöpfung diplomatischer Mittel« verstanden werden.

Wir sind aufgerufen, ganz undiplomatisch der Diplomatie auf die Sprünge zu helfen. Erst unsere permanente Einmischung berechtigt uns zu der Forderung: Demokratie darf sich künftig nur das System nennen, das dem herrschenden Volk in der Frage über Leben und Tod, über Krieg und Frieden, ein Vetorecht einräumt.

Der Text wurde als Protest gegen den amerikanischen Einmarsch im Irak auf der Leipziger Buchmesse vorgetragen.

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