Nein, niemand will den totalen Krieg, vor dem François Hollande warnt. Und dennoch scheint dieser rhetorisch bereits existente Wahn nicht ausgeschlossen. US-Senator McCain warnt vor gewaltsamem Zerfall der Ukraine, falls nicht noch mehr Gewalt angewendet wird. Wer der Verlierer einer solchen Eskalation wäre, das ist neben den bedauernswerten Ukrainern: Europa, daher die überhöhten Erwartungen an den Gipfel in Minsk. Haben wir die Chance, etwas Neues zu erleben, nämlich das Ende einer unilateralen Welt, in der auch Europa ein Protektorat der USA zu werden drohte? Mit Hilfe einer NATO, die sich eingeschossen hatte auf die Vertretung von US-Interessen weltweit. Und die sich nach Osten ausgeweitet hat mit einer neuen, dem Völkerrecht widersprechenden Doktrin: Prophylaktische Gefahrenabwehr in Out-of-Area und Out-of-Defence-Einsätzen ohne UN-Mandat, also mit kriegerischer Parteinahme in Konflikten auch dann, wenn davon kein Mitgliedsstaat betroffen ist. Reine Machtpolitik.
Wie in Jugoslawien, wo es einen NATO-Krieg gab, über dessen angebliche Notwendigkeit die Welt genauso belogen wurde wie bei zahllosen Militäreinsätzen zuvor. Ein Krieg ohne Sinn und Verstand, der nur Unheil brachte und für den die Verantwortlichen nie zur Rechenschaft gezogen wurden. Der Haager Gerichtshof konnte kein Unrecht darin erkennen, dass erstmals nach dem II. Weltkrieg ein Land gewaltsam zerschlagen wurde (schon vergessen, Mr. McCain?). Serbien, dem das Kosovo genommen wurde, war ja nur ein traditionell mit Russland verbundenes Land. Man hatte darauf gesetzt, dass es zu solchen gewaltsamen Grenzverschiebungen künftig kommen würde – zugunsten des eigenen Machtbereichs, versteht sich. Auch das war der Fehler des Westens und seiner kaum friedensbewegten Bürger. Die interessierte Elite der USA, sekundiert von europäischen Partnern wie der Adenauer-Stiftung, standen hinter der Orangenen Revolution in Kiew und protegierten einen Pluralismus der Oligarchen. Die später auf fünf Milliarden Dollar bezifferten Gelder für den Regime Change flossen in Stiftungen wie Arsenij Jazenjuks Open Ukraine, dieseit 2010 Besuche von NATO-Generalsekretären in Kiew oder Video-Konferenzen mit dem NATO-Hauptquartier ermöglichte.
Der Krieg in der Ukraine hatte seinen Ausgangspunkt – und daran kann nicht oft genug erinnert werden – im gewaltsamen Sturz eines Präsidenten, der sich dem „Entweder Europa oder Eurasien“ nicht beugen wollte. Obwohl er den Rat des einstigen US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzeziński gekannt haben wird: Auf dem eurasischen Kontinent dürfen keine Allianzen entstehen, die den US-Führungsanspruch in Frage stellen. Diese mit nichts zu rechtfertigende Anmaßung glaubte der Westen wie gewohnt durchsetzen zu können.
Doch plötzlich gab es Kräfte, die sagten: Njet! Und sie bedienten sich der westlichen Muster. Pro-russische Aufständische besetzten wie zuvor die Maidan-Aktivisten Plätze und Verwaltungen in der Ostukraine. Sie wurden von Kiewer Truppen, darunter rechten Milizen, unter Beschuss genommen. Russland nahm für sich die Responsibility to Protect in Anspruch, die Schutzverantwortung. Seine Marineeinheiten in Sewastopol liefen Gefahr, früher oder später in NATO-Hand zu geraten. „Die unblutige, auf dem Weg einer Volksabstimmung vollzogene Ablösung der Krim aus dem Staatsverband der Ukraine war aus russischer Sicht ein Akt sicherheitspolitischer Notwehr“, schreibt der Publizist Friedrich Dieckmann.
Nachvollziehbar, wenn sich Präsident Petro Poroschenko in der Neuen Zürcher damit brüstet, täglich 6,5 Millionen Dollar für Verteidigung auszugeben und für das Militär „ein sehr effektives Programm der technischen Zusammenarbeit mit fast der ganzen Welt“ zu haben. Derek Chollet, Staatssekretär im Pentagon, hat schon im Sommer dargelegt, wie US-Berater in die Ukraine geschickt werden. Augenzeugen haben im Kiewer Verteidigungsministerium immer wieder US-Uniformierte gesehen.
Nun versucht Russland, mit den gleichen Methoden gegen zu halten. Putins nationalistischer, antiliberaler Kurs ist kein unterstützenswertes Projekt. Doch hat es ihm bei Kritikern von Neoliberalismus und Neokolonialismus Respekt verschafft, dass er die chaotischen Zustände nach dem Gemeineigentum an Oligarchen verschenkenden Boris Jelzin so geordnet hat, dass Russland nach einer Phase der politischen und militärischen Demütigung in Europa wieder gefragt werden muss.
Russland gehört zu Europa. Glaubst du, die Europäer wollen Krieg? Diesmal, so der einstige NATO-General Harald Kujat, kann Westeuropa ihn nicht gewinnen. Also muss es Zugeständnisse machen, ohne Rücksichten auf Interessen im US-Wahlkampf. Es geht um Realpolitik und Kooperation im NATO-Russland-Rat und in der Wirtschaft. Seit 1990 sind Grenzen gefallen oder verändert worden, die innerdeutsche, die der Sowjetrepubliken, die zwischen Tschechen und Slowaken, die in Jugoslawien. Nun also wird die Ukraine eine andere Staatsform bekommen. Wenn beide ukrainischen Seiten so unversöhnlich sind, wie man hört, wird eine demokratisch legitimierte Grenzverschiebung unvermeidlich. Es dürfte nicht die letzte im nächsten Vierteljahrhundert sein. Die Welt ist aus den Fugen – sie fügt sich anders. Dafür einen friedlichen Rahmen zu schaffen, ist oberstes Gebot.
Kommentare 4
"Wie in Jugoslawien, wo es einen NATO-Krieg gab, über dessen angebliche Notwendigkeit die Welt genauso belogen wurde"
Könnte es sein, dass Ihr Kopf etwas aus den Fugen ist....?
"Der Krieg in der Ukraine hatte seinen Ausgangspunkt – und daran kann nicht oft genug erinnert werden – im gewaltsamen Sturz eines Präsidenten"
Ich zweifle nicht an diesem Sachverhalt. Dennoch hätte ich gerne die Einzelheiten nachgelesen, wie dieser Putsch durchgeführt worden ist. Schon einmal versuchte ich diesbezüglich hier im "Freitag" an konkrete Links zu kommen und erhielt den Hinweis, das Netz sei voll davon. Dies ist nicht so! Auch nach langem Suchen fand ich keinen Bericht, der diesen Sachverhalt - den verfassungsverletzenden Sturz des Präsidenten - zum Thema hat. Mag sein, dass ich ungeschickt beim Suchen bin.
Gleiche Frage stellte ich auch vor kurzem bei den Nachdenkseiten - und erhielt keine Antwort.
Würde mich freuen, wenn mir jemand helfen könnte, entsprechende Dokumente zu finden.
M.f.G
AndyC
"Der Krieg in der Ukraine hatte seinen Ausgangspunkt – und daran kann nicht oft genug erinnert werden – im gewaltsamen Sturz eines Präsidenten,..."
Dies erscheint mir ein wichtiger Punkt.
Der Ausgangspunkt des Sturzes J.s war das Abrücken von der Unterzeichnung des Ass.-Vertrages.
Die Absage (J. hatt mit dem Versprechen, dass Ass- Abkommen auszuhandeln und zu unterschreiben, die Wahl gewonnen) erfolgte nach Beratungen im Kreml und aus Sorge um die nationale Sicherheit!
Der Schritt erfolge aus "Gründen der nationalen Sicherheit", teilte die ukrainische Regierung nach einer Kabinettssitzung mit. Die EU und die Ukraine sollten die Folgen des Abkommens zunächst gemeinsam mit Russland besprechen, hieß es. Genau dies hatte der russische Präsident Wladimir Putin vorgeschlagen. (Deutschlandfunk)
Hieraus hat sich die Maidan-Revolution entwickelt.
Unhaltbar wurde J. durch das bisher nicht aufgeklärte Massaker auf dem Maidan am 20.02.1914.
Man muss, oder kann zumindest, annehmen, dass bei dieser finalen Aktion die Befehlskette J. nicht mehr zu 100% unterstand, denn jedem, auch ihm selbst, hätte von vornherein klar sein müssen, dass diese Aktion mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu seinem Sturz führen würde.
Festzuhalten ist, dass mit J., der mit seiner Partei der Regionen seine Basis besonders im Donbass und auf der Krim hatte und dort bestens vernetzt war, es sehr schwierig bis unmöglich gewesen wäre, dort Aufstände gegen die Zentralregierung zu entfachen.
Musste er deshalb stürzen, um den Weg für den "separatistischen Bürgerkrieg" freizumachen?
Ich vermute, dass die Erweiterungspläne der EU nach Osten anfänglich auch von Russland begrüsst wurden (Vorschlag Putins einer Wirtschaftsunion mit EU und eurasischer Wirtschaftsunion). Das war aber für die USA eine Bedrohung (Angst vor dem nicht mehr existierenden Kommunismus). Die Herauslösung der Ukraine aus dem russischen Wirtschaftsverbund ist nun für Russland beinahe der Todesstoss (Kornkammer und Schwerindustrie). Putin als ehemaliger Geheimdienstmann reagiert mit allen ihm zur verfügung stehenden Mitteln. Er möchte aber sein Land in den Westen führen, zu Europa, wo es kulturell hingehört. Die Politik der EU und der USA verhindert das. Wenn Russland sich China anschliesst, wird es für den Westen ein böses Erwachen geben.
Diese Meinung habe ich etliche Male bei SPON geäussert, es wurde immer abgeblockt.