Wir entscheiden uns jetzt für Menschenleben, gegen die Wirtschaft, heißt es allenthalben stolz in Politik und Medien. Das ist das eigentlich Atemberaubende an dieser Corona-Situation, denn in der bisherigen Menschheitsgeschichte und bis vorgestern lief es immer umgekehrt. Wie war es mit einem Mal möglich, im Namen der Humanität alle bisher geltenden Spielregeln außer Kraft zu setzen? Selbst die des Profits und die der Ignoranz? Auch die Freiheitsrechte, weil sie jetzt angeblich eine tödliche Gefahr sein können? Woher die plötzliche und, ja, löbliche Ehrfurcht vor dem Leben? Man hatte sie bisher in der Politik, der Wirtschaft, selbst in Teilen der Medizin schmerzlich vermisst. Für dieses Phänomen hat es noch keine plausible Erklärung gegeben, nur Staunen. Und Angst.
Es geht hier also um anhaltende Wahrnehmungsprobleme von uns Verunsicherten, nicht um Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Medizin. Obwohl wir plötzlich herausgefordert werden, uns mit kausalen Zusammenhängen von Krankheit und Tod zu beschäftigen, sie zum Verständnis statistisch einzuordnen. Dabei wird man oft ganz schwindlig von Zahlen, zu denen jedes Koordinatensystem fehlt. Die hehre Absicht, sich für Menschenleben und gegen die Wirtschaft zu entscheiden, begann mit dem Lockdown im chinesischen Wuhan. Einem Riesenreich, in dem die normale tägliche Sterbezahl schon bei über 42.000 liegt. Die Sorge, die von Mensch zu Mensch übertragbare Epidemie hätte Millionen dahinraffen können, musste ernst genommen werden, bei diesem aggressiven Virus. Anfang Januar gaben chinesische Wissenschaftler das vollständig diagnostizierte Genom an die WHO, damit global Maßnahmen ergriffen werden können. Seither hat ein Staat nach dem anderen das Primat der Politik zurückerobert und im Namen der Humanität dirigistisch durchgegriffen.
Erstaunlich bleibt, dass seit Jahr und Tag, von der Gesellschaft ignoriert und unbetrauert, Millionen sterben, die mit ähnlich konsequenten Zugriffen zu retten gewesen wären. Da meine ich nicht mal die Krankheiten, die von der westlichen Medizin unzureichend erforscht werden, weil sie hauptsächlich die Entwicklungsländer betreffen. Ich meine uns. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sowohl 2013 wie auch 2018 übereinstimmende Studien veröffentlicht, nach denen pro Jahr sieben Millionen Tote allein durch verschmutzte Luft zu beklagen sind. Die Medien haben es unaufgeregt gemeldet: Die Menschen sterben an giftigen Partikeln in der Luft, an Sulfat, Nitrat, Ruß, Feinstaub – den Hinterlassenschaften der Wirtschaft und des Auto- und Flugverkehrs. Diese Stoffe sind für einen Großteil aller chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen und Lungenkrebs verantwortlich, aber auch für ein Viertel der Todesfälle durch Herzkrankheiten und Hirnschlag. „Luftverschmutzung bedroht uns alle“, wurde WHO-Chef Ghebreyesus zitiert. In Europa sterben an verdreckter Luft jährlich 550.000 Menschen – das wurde schon seltener erwähnt. In keiner Zeitung fand ich den Hinweis, dass die Lebenserwartung jedes Europäers durch verschmutzte Luft im Schnitt mindestens um ein Jahr gesenkt wird. Könnte, wenn man selbst unmittelbar betroffen ist, nicht endlich Erschrecken einsetzen? Keine Zeitung vermerkte die Todesopfer in Deutschland.

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Luftkurort Deutschland
Man kann aber in Bonn, beim WHO-Regionalbüro für Europa, nachfragen. Die zuletzt veröffentlichte Studie geht davon aus, dass in Deutschland jährlich über 37.000 Menschen an den Folgen vergifteter Luft versterben. Ist Wundern noch erlaubt? Bei solchen Angaben ist man jetzt hellhörig geworden. Ich will von den Experten wissen, ob die Betroffenen an oder mit vergifteter Luft gestorben sind, ob die Kausalitäten so eindeutig feststellbar sind. Mir wird versichert, dass zwar nicht Individualfälle ausgewertet wurden, dass aber über längere Zeiträume repräsentative Rückmeldungen und ein besseres Verständnis der biologischen Mechanismen, die einsetzen, wenn man verschmutzter Luft ausgesetzt ist, ein nachweisbares Quantifizieren ermöglichen. Meine illustrierende Nachfrage, ob man davon ausgehen könne, dass diese verfrühten Todesfälle nicht eingetreten wären, wenn die Menschen in einem Luftkurort gelebt hätten, wurde eindeutig bejaht.
Jetzt hat der Lockdown aus dem ganzen Land einen Luftkurort gemacht. Doch die Ehrfurcht vor dem Leben galt nicht den 37.000 Klima-Opfern des Jahres 2020. Auch wurde dem Robert-Koch-Institut im vorigen Jahr kaum Beachtung geschenkt, als es seine Studie vorstellte, nach der in Deutschland jährlich bis zu 20.000 Menschen an Infektionen sterben, die sie nicht bekommen hätten, wenn sie nicht ins Krankenhaus gekommen wären. Die Gesellschaft für Krankenhaushygiene geht von weit höheren Zahlen aus. Eine Freundin wurde bei der Entbindung mit Salmonellen infiziert und hat seither ein chronisches Darmleiden. Ungezählte kommen krank aus Krankenhäusern zurück. Muss im 21. Jahrhundert wirklich noch an Krankenhauskeimen gelitten und gestorben werden? Dort, wo Infektionsschutz den Kliniken kein Geld bringt und deshalb an Hygienepersonal und Laboren gespart wird, allemal. In den Niederlanden hat der Kampf gegen Keime einen ganz anderen Stellenwert – dort gibt es dieses Problem kaum.
Halten wir fest: Wir haben in Deutschland durch versiffte Luft und versiffte Krankenhäuser, also durch von Menschen verursachte Übel, etwa 60.000 Todesfälle im Jahr. Da haben wir noch nicht über die überschrittenen Grenzwerte von Nitrat im Grundwasser gesprochen, für die Deutschland vom Europäischen Gerichtshof verurteilt wurde, oder das undurchsetzbare Tempolimit. All das wird hingenommen, ohne sich für das Leben, gegen die Wirtschaft zu entscheiden. Keine Katastrophe des Humanitären? „How dare you?“ wurde zur Anklageformel gegen die Verantwortlichen in Politik und Konzernen.
Sicher, immer schon haben neue, ansteckende Epidemien mehr Aufmerksamkeit erfahren als die nicht übertragbaren schweren Gesundheitsschäden durch verseuchte Umwelt. Dabei fängt mit dem Begriff Umwelt die Verharmlosung schon an. Als seien wir der unangreifbare Fels, der zusieht, wie die Welt um ihn herum Schaden nimmt. Als seien vor allem Bäume, Bienen und Korallen gefährdet. Nein, Umweltschaden ist ein Euphemismus, der unterschlägt, dass wir Teil des Geschehens sind. Der Mensch selbst ist der personifizierte Umweltschaden. Mit unseren entzündeten Atem- und Verdauungstrakten, den geschwächten Immunsystemen, sind wir die perfekten Wirte für Keime und Viren aller Art. Eine vorbeugende Impfung gegen Klimaschäden wird es nie geben. Eine Pille auch nicht. Und Intensivtherapie kommt erst, wenn intensive Prävention versäumt wurde.
Das Geschäft mit dem Leid
Die WHO bemüht sich seit Jahren, ein Bewusstsein für diese Zusammenhänge zu schaffen. Doch die Betroffenen waren bisher ohnmächtig gegen eine Wirtschaft, die ein Geschäft aus dem Leid macht. Allein die Kosten zur Behandlung derjenigen, die noch nicht an vergifteter Luft gestorben sind, schätzen die WHO-Experten in ihrem Bericht zur Klimakonferenz in Kattowitz auf mehr als fünf Milliarden Dollar im Jahr. Der Preis des Klimawandels schlägt sich in den Hospitälern nieder. Wenn EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen fordert, man müsse nun den Unternehmen helfen, „angesichts der von ihnen unverschuldeten Corona-Krise“, übersieht sie, dass den Bürgern schon immer die Rechnung für den Naturverschleiß der Wirtschaft auferlegt wurde. Die Staaten mit dem höchsten Ausstoß an krankmachenden Gasen müssen etwa vier Prozent ihrer Wirtschaftsleistung aufbringen, um die Schäden ihrer Unternehmen einzudämmen. Dabei würde es nur ein Prozent der globalen Wirtschaftsleistung kosten, den Pariser Klimavertrag zu erfüllen. Und so auf Dauer Millionen Menschen vor dem Tod zu bewahren. Warum greifen hier die humanistischen Werte nicht?
Die WHO ist nicht erst jetzt ins Gerede gekommen, wo der oberste Welt-Sündenbock-Finder ihr ausgerechnet in größter Not die US-Beiträge streicht. Zwar konnte sie die Pocken ausrotten und durch Aufklärung den Verbrauch von Nikotin stark senken. Und die Lebenserwartung ist in den meisten Ländern trotz allem gestiegen, auch wenn die gewonnenen Jahre oft mit Einschränkungen verbunden sind. Aber angesichts ihrer auf das Überleben der Menschheit gerichteten Aufgabe, war die WHO immer unterfinanziert. Letztlich ist diese UN-Organisation in Forschung und Betreuung nicht leistungsfähiger, als es der Wille ihrer 194 Mitgliedstaaten zulässt. Das macht sie abhängig von privaten Sponsoren, die inzwischen zum Hauptgeldgeber geworden sind. Man muss einem Bill Gates nicht jeglichen Altruismus absprechen. Aber Unternehmer verbinden ihren Edelmut am liebsten mit Geschäftemacherei. Die Gates-Stiftung hat Kinder und Frauen insbesondere aus Afrika zur Feldforschung benutzt, ihre Impfungen haben geholfen und geschadet. Jetzt wartet alle Welt auf den Messias, der Erlösung durch Corona-Impfung bringt. Also nicht nur eine vorübergehende, sondern die ultimative Lösung. Wieso sollte es gelingen, einen Stoff zu entwickeln, der schneller da ist als die Mutation von Covid-19? Wir kennen das Hase-und-Igel-Rennen von den Grippeimpfungen. Heilsversprechen ist zu misstrauen, erst recht, wenn sie von Privatfirmen kommen.
Der Machtkampf in der WHO spielt sich nur vordergründig zwischen den USA und China ab. Der eigentliche Konflikt besteht zwischen denjenigen, die das Übel an der Wurzel packen wollen, also an der Armut, den maroden privatwirtschaftlichen Gesundheitssystemen und der vergifteten Natur, deren Teil wir Menschen sind. Und denjenigen, die gegen das Gift vor allem ein Gegengift verkaufen wollen. Medikamente, Impfungen, Intensivtherapien, Apps. Diese Wirtschaft tötet, hat Papst Franziskus angeklagt, ohne dass sich etwas verändert hätte. Erst als das tödliche Virus kam und mit ihm die tägliche Katastrophen-Berichterstattung ein intransparentes Gefährdungsgefühl verbreitete, bebildert auf den Smartphones der Welt erstmals mit als Marsmenschen verkleideten Medizinern, mit überfüllten Leichenhallen, Särgen und gespenstisch leeren Städten, musste und durfte die große Wirtschaft vorübergehend aufhören zu töten. Während die kleine mitgeopfert wurde.
Der Autor der Pest, Albert Camus, wusste: „Es ist die natürliche Neigung des Menschen, sich und alle Welt mit sich zu ruinieren.“ Ist, was wir gerade erleben, mit der Logik des Absurden besser zu beschreiben als mit der des Rationalen? Denn die würde die Ursache als Prämisse nehmen und die Folge in Relation zu vergleichbaren Folgen setzen. Wer die Ängste und Entbehrungen der letzten Wochen mit der Hoffnung entschädigt, so bald wie möglich zu seinem gewohnten Leben zurückzukehren, hat die Botschaft des Virus nicht verstanden..
Kommentare 34
Schöner Artikel. Für mich ist das aber überhaupt kein Rätsel, warum beispielsweise beim Theme Luftverschmutzung nichts passiert, obwohl mehr Menschen jährlich daran sterben.
An der Luftverschmutzung leiden ja nicht alle gleich. Wer an einer Hauptstraße zur Miete wohnt, oder die Autobahn repariert leidet um ein vielfaches mehr. Selbst in der dreckigen Autostadt Stuttgart kann man saubere Luft atmen, wenn man in eines der Villenviertel geht. Ach ja, die CDU/SPD Regierung ist der Autolobby hörig, noch fragen?
Wenn im Krankenhaus Menschen an Keimen sterben, juckt das die Menschen nicht, die sich ohnehin in Privatkliniken behandeln lassen, wo ganz andere Standards gelten. Wen wählen die noch gleich?
Beim Virus ist es aber nicht so leicht sich zu schützen. Es kann jeden treffen, egal wie dick der Geldbeutel ist. Auch vor der Villa muss jemand das Gras mähen und bei dem kann man sich anstecken, oder beim Lieferservice. Die eingenen Kinder sind in der Privatschule ebenfals nicht mehr sicher.
Deshalb wird etwas dagegen unternommen und dabei was von "Menschlichkeit vor Wirtschaft" gefaselt. Wie weit man dem glauben kann wird schön in dem Artikel erläutert.
Ach ja, und wer stirbt an dem Virus noch mal am leichtesten? Etwa der Teil der Bevölkerung der noch CDU wählt?! Gibt es da vielleicht auch einen Zusammenhang?
Liebe Daniela Dahn,Sie fragen in Ihrem Artikel: "Wie war es mit einem Mal möglich, im Namen der Humanität alle bisher geltenden Spielregeln außer Kraft zu setzen? Selbst die des Profits und die der Ignoranz?" Und letztlich "Warum greifen hier die humanistischen Werte nicht?" Und verbleiben ohne Antwort. Vielleicht darf ich unternehmen, Ihnen einen Antwortansatz vorzuschlagen: Meine Freunde und ich haben uns diese Fragen regelrecht baff bereits Mitte März gestellt und sind, um mein großes Vorbild Käpt'n zu zitieren, durch "bloßes Nachdenken" auf folgenden Erklärungsansatz gekommen: Würden sich die Corona-Opfer übers Jahr verteilen, würde dies kein Lockdown, keine Schutzmasken, keine Absage von Veranstaltungen nach sich ziehen - es würde, so wie viele andere Todes- und Leidensursachen (die ökonomische Gründe haben) billigend in Kauf genommen werden. Das exponentielle Wachstum zeitigt ungebremst aber die Folge, dass sich der Peak der Sterberate in einem relativ kurzen Zeitraum ereignet. Sprich, jedes Gesundheitssystem, auch unser durch das DRG-System zusammengespartes Gesundheitssystem, wäre mit solch einer Rate überlastet. Es geht bei dem Ganzen um das Sichtbare, das nicht mehr "unter den Tisch zu kehrende" . Daher, sagen z. B. auch alle Ministerpräsidenten, die bei Markus Lanz eingeladen sind, dass es im Kern um die Anzahl der Intensivbetten geht und dass die Zahl der Infizierten so gering zu halten ist, dass ausreichend Intensivbetten zur Verfügung. Es also vor allem um eins geht: eine Triage unter allen Umständen zu vermeiden. Denn das wird m. E. als Bankrotterklärung des Staates, der Regierung und damit des Systems verstanden. Denn der Deal zwischen Staat und Bürger wird so gesehen: Der Bürger tritt alle möglichen Rechte an den Staat ab und der Staat garantiert dafür im Gegenzug bestimmte Infrastrukturleistungen im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge, bestimmter öffentlicher Güter und Rechtssicherheit. Sprich, es geht im Kern um die Legitimation der Macht. So, ist mein Blick auf die Sache in der von Ihnen gestellten Frage. Ich denke aber, dass das den meisten Politikern nicht bewusst ist, respektive von denen nicht so gesehen wird. Angela Merkel, so mein Gefühl, hat dafür aber einen ausgesprochenen "Riecher", welche Bilder sie in der öffentlichen Wahrnehmung zulassen darf und welche nicht. So sehe ich z. B. auch ihr zeitweiliges Handeln in der Flüchtlingspolitik ("Willkommenskultur) motiviert - und nicht als ethisch motiviert.
Mit Ihren letzten Absatz mag ich mich gar nicht anfreunden. Ich habe alle Bücher von Camus gelesen, eine "Logik des Absurden" gibt es bei Camus nicht. Im "Mythos von Sisyphos" geht es um andere existentielle Kategorien, und vor allem sollte man "Der Mensch in der Revolte" und dessen essenziellen Ansatz rezipiert haben, wenn man sich zu Camus äußert. Eine Analogie von Camus Roman "Die Pest" (in meinen Augen sein literarisch schlechtester Text) zur jetzigen Pandemie finde ich wohlfeil. Camus "Pest" sollte zudem immer auch als Allegorie auf totalitäre Systeme gelesen werden. Und ob es eine Botschaft eines Virus gibt, habe ich bereits bei HIV und damit einhergehenden Konnotationen bezweifelt.
Viele GrüßeStefan Eichardt29221 Celle
Sehr guter Artikel!
Der Kommentar von gsyme gibt schon gute Antworten darauf, warum bei Covid-19 plötzlich die Gesundheit wichtiger ist als der Profit. Es liegt aber auch an der Unberechenbarkeit dieser Epidemien. Die Gefahr ist einfach zu groß, dass wesentlich mehr auch für die Erzielung weiterer Profite benötigte Menschen daran zugrunde gehen könnten. Außerdem wird die Gefahr gesehen, dass das Versagen des Systems für viele Menschen zu deutlich werden könnte und der Staat komplett die Kontrolle verlieren könnte. Schließlich läuft auch eine Art Generalprobe für verschiedenste "Ernstfälle", die zukünftig eintreten könnten infolge der Instabilität unseres Systems. Die meisten von Daniela Dahn aufgeführten gesundheitlichen Bedrohungen betreffen im Übrigen in erster Linie die Menschen, die ohnehin schon aus dem Produktionsprozess ausgeschieden sind. Da kann man doch prima an der Rente sparen, oder?
Rechtschreibfehler korrigiert:Liebe Daniela Dahn, Sie fragen in Ihrem Artikel: "Wie war es mit einem Mal möglich, im Namen der Humanität alle bisher geltenden Spielregeln außer Kraft zu setzen? Selbst die des Profits und die der Ignoranz?" Und letztlich "Warum greifen hier die humanistischen Werte nicht?" Und verbleiben ohne Antwort. Vielleicht darf ich unternehmen, Ihnen einen Antwortansatz vorzuschlagen: Meine Freunde und ich haben uns diese Fragen regelrecht baff bereits Mitte März gestellt und sind, um mein großes Vorbild Käpt'n zu zitieren, durch "bloßes Nachdenken" auf folgenden Erklärungsansatz gekommen: Würden sich die Corona-Opfer übers Jahr verteilen, würde dies keinen Lockdown, keine Schutzmasken, keine Absage von Veranstaltungen nach sich ziehen – es würde, so wie viele andere Todes- und Leidensursachen (die ökonomische Gründe haben) billigend in Kauf genommen werden. Das exponentielle Wachstum zeitigt ungebremst aber die Folge, dass sich der Peak der Sterberate in einem relativ kurzen Zeitraum ereignet. Sprich, jedes Gesundheitssystem, auch unser durch das DRG-System zusammengespartes Gesundheitssystem, wäre mit solch einer Rate überlastet. Es geht bei dem Ganzen um das Sichtbare, das nicht mehr "unter den Tisch zu kehrende". Daher, sagen z. B. auch alle Ministerpräsidenten, die bei Markus Lanz eingeladen waren, dass es im Kern um die Anzahl der Intensivbetten ginge und dass die Zahl der Infizierten so gering zu halten sei, dass ausreichend Intensivbetten zur Verfügung stehen. Es also vor allem um eins geht: eine Triage unter allen Umständen zu vermeiden. Denn das wird m. E. als Bankrotterklärung des Staates, der Regierung und damit des Systems verstanden. Denn der Deal zwischen Staat und Bürger wird so gesehen: Der Bürger tritt alle möglichen Rechte an den Staat ab und der Staat garantiert dafür im Gegenzug ausreichende Infrastrukturleistungen im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge, bestimmter öffentlicher Güter sowie Rechtssicherheit. Sprich, es geht im Kern um die Legitimation der Macht. So ist mein Blick auf die Sache in der von Ihnen gestellten Frage. Ich denke aber, dass das den meisten Politikern nicht bewusst ist, respektive von denen nicht so gesehen wird. Angela Merkel, so mein Gefühl, hat dafür aber einen ausgesprochenen "Riecher", welche Bilder sie in der öffentlichen Wahrnehmung zulassen darf und welche nicht. So sehe ich z. B. auch ihr zeitweiliges Handeln in der Flüchtlingspolitik ("Willkommenskultur) motiviert – und nicht als ethisch motiviert. Mit Ihrem letzten Absatz mag ich mich gar nicht anfreunden. Ich habe alle Bücher von Camus gelesen, eine "Logik des Absurden" gibt es bei Camus nicht. Im "Mythos von Sisyphos" geht es um andere existentielle Kategorien und vor allem sollte man "Der Mensch in der Revolte" und dessen essenziellen Ansatz rezipiert haben, wenn man sich zu Camus äußert. Eine Analogie von Camus "Die Pest" (in meinen Augen sein literarisch schlechtester Text) zur jetzigen Pandemie finde ich wohlfeil. Camus "Pest" sollte immer auch als Allegorie auf totalitäre Systeme gelesen werden. Und ob es eine Botschaft eines Virus gibt, habe ich bereits bei HIV und den damit einhergehenden Konnotationen bezweifelt.
Diese Heuchelei ist einfach unerträglich. Ich könnte hier unendliche Artikel aus den vergangenen Jahren zitieren, die genau das Gegenteil ausgesagt haben. Hier nur ein paar Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit:
Was für unerbittliche Spaltungsversuche wurden in der Rentenfrage unternommen, um Jung und Alt zum Nachteil der Alten auseinanderzudividieren? Oder wie war es mit den unerträglichen Debatten, ob man Älteren über 80 Jahre noch ein neues Hüftgelenk implantieren sollte? Oder die Armutsrenten, die täglich zigtausende zur Suppenküchen, Flaschensammeln motivieren?
Auch stellte sich Fridays for Future die Frage, warum denn die Großeltern immer noch jedes Jahr reinreden würden? Schließlich seien sie eh bald nicht mehr dabei. Oder war das nur wieder ... Satire?
Halten wir fest: In weiten Teilen der medialen Darstellung und der öffentlichen Wahrnehmung galten alte Menschen zunehmend als jene gesellschaftlichen Störfaktoren, die keinen wirtschaftlichen Mehrwert erbringen, die dem jungen Steuerzahler sowieso nur auf der Tasche liegen würden und zu guter Letzt auch noch die Welt versaut hätten, in der die heute jungen Menschen nun leben müssten.
Und jetzt auf einmal stellen wir dieser langjährigen Aversion zum Trotz das öffentliche Leben ein, um diese — Vorsicht! Ironie! — alten Säcke zu schützen? Dies passt nicht zusammen!
Die Apokalypse die vom RKI vorhergesagt wurde blieb aus, und statt bis zu 1,5 Mio. prognostizierte Todesfälle, haben wir heute Stand 24. April 2020 keine 5000 Tote, und die Krankenhäuser haben Kurzarbeit beantragt, weil die Hälfte der Betten leer steht. Und hier, weiß man bis heute nicht, ob sie mit oder an Covid19 gestorben sind. Das wollte und will man auch garnicht sogenau wissen mein Eindruck.
Und Prof. Homburg, hat sehr deutlich gezeigt, dass die Maßnahmen keinen Einfluss hatten. Bereits vor dem ersten Schritt Großveranstaltungen abzusagen, war die Kurve schon auf dem Weg nach unten, und zwei Tage vor dem sog. LOCKDOWN war die Kurve schon unterhalb der magischen eins.
Und man darf nicht vergessen, dass sich im Herbst 2019 schon abzeichnete, dass wir in eine weltweite Rezession steuern. Und da kam der Lockdown sehr gelegen um - wieder einmal - einen Schutzschirm über die Konzerne, deren Shareholder und damit über die Superreichen und Reichen aufzuspannen. Dass diesmal auch die sogenannten "Kleinen" etwas abbekommen, ist wohl nur der Befürchtung geschuldet, dass es sonst zu Unruhen gekommen wäre.
>>In Europa sterben an verdreckter Luft jährlich 550.000 Menschen…<<
Im Alltag verliert das Grauen seine Grausamkeit eben durch die Alltäglichkeit. Schon drängen allerlei Kapitallobbyisten, allen voran der Automobilindustrie auf Wiederherstellung des tödlichen Alltages. Dass der Strassenunfall, mit ca. 3500 Toten und ca. 60 000 Schwerverletzten jährlich auch elektrisch herstellbar ist: Fast vergessen, denn zuerst muss der kranke Atemluftstandard wiederhergestellt werden.
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>>Muss im 21. Jahrhundert wirklich noch an Krankenhauskeimen gelitten und gestorben werden?<<
Ich meine, das war schon mal besser. Aber für den Fortschritt muss man Opfer bringen, das ist alternativlos.
Und die Frage, ob wirklich industrielle Tierhaltung mit der Zucht von antibiotikaresistenten Keimen für die Verbesserung der Lebensqualität unerlässlich ist wird auch nicht beantwortet, oder mit: „Das ist eben der natürliche Lauf der Marktwirtschaft“.
Hauptsache irgendjemand profitiert, dafür ist kein Opfer zu gross.
>>Und man darf nicht vergessen, dass sich im Herbst 2019 schon abzeichnete, dass wir in eine weltweite Rezession steuern.<<
Tja. Wie schön, dass es nicht der Kaputtalismus ist, der seine Krisen selbst erzeugt. Nein, es ist eine Viruskrise.
Glaube nur der Statistik,die Du selbst interpretieren kannst. Prof. Homburg ist es wert in den Club "Lügen(er) mit Zahlen" aufgenommen zu werden. Prof. Bosbach kritisiert dort übrigens auch das RKI sachkundig. Homburgs Diagramme sind so durchsichtig auf falsche Wahrnehmung getrimmt, dass es verwundert, dass ihm noch Menschen hinterherlaufen. Als Professor für Finanzwissenschaft hat er Jahr für Jahr Studenten ausgebildet, die dafür verantwortlich sind, dass die Finanzkrise von 2008 weder vorhergesagt wurde noch bis heute gelöst ist. Die Probleme im Gesundheitsbereich sind großteils seiner "Wissenschaft" anzulasten. Und diesem Mann wollen Sie in der jetzigen Situation vertrauen? Konkret habe ich hier etwas dazu geschrieben.
Zur Vertiefung empfehle ich den heutigen Beitrag "Den Lockdown-Gegnern ins Stammbuch geschrieben" von Lorenz Borsche.
Ja, und "hsmicha" hat auf diesen Schund im Kommentarbereich die richtige Antwort gegeben.
Ihr Beitrag hat mich angeregt, über Ihre Fragestellung nachzudenken.
Die Infektionsschutzmassnahmen ergeben sich zwingend (!) aus dem § 2 des Grundgesetzes: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich.“ Träger dieses Rechtes ist jeder Mensch und es verpflichtet die staatliche Gewalt, es zu schützen. So muss z.B. jede Tuberkulose dem Gesundheitsamt gemeldet werden, das dafür sorgt, notfalls mit Zwangsmitteln wie psychiatrische Einweisung, dass ein Erkrankter sich behandeln lässt und keine anderen Menschen durch Ansteckung gefährdet. Jeder hat das Recht, vor einer möglicherweise tödlichen Infektionskrankheit durch die staatliche Gewalt geschützt werden. In den Ländern, wo das nicht der Fall ist, sterben weltweit ca. 1,4 Millionen an Tuberkulose und es werden dort auch Millionen wegen Covid-19 sterben.
Wie nun die staatliche Gewalt die körperliche Unversehrtheit garantiert, muss in der Demokratie ausgehandelt werden, was natürlich auch eine Frage der Machtverhältnisse zwischen den sozialen Klassen ist. So existieren für die Luftverschmutzung und viele Umweltgifte, an die alle irgendwie direkt oder indirekt beteiligt sind, eben zwischen den Klassen ausgehandelte Grenzwerte, welche der Staat einhalten muss. Und für eine möglichweise neue tödliche Infektionskrankheit müssen die Erkrankten und Kontaktpersonen in Quarantäne, damit das Recht der anderen auf Unversehrtheit gewahrt bleibt.
Der von Ihnen aufgestellte Hauptkonflikt:
"Der eigentliche Konflikt besteht zwischen denjenigen, die das Übel an der Wurzel packen wollen, also an der Armut, den maroden privatwirtschaftlichen Gesundheitssystemen und der vergifteten Natur, deren Teil wir Menschen sind. Und denjenigen, die gegen das Gift vor allem ein Gegengift verkaufen wollen. Medikamente, Impfungen, Intensivtherapien, Apps."
teile ich so nicht. Medikamente, Impfungen, Intensivtherapien pauschal als Gift zu bezeichnen, ist doch absurd. Überall da, wo diese "Gifte" fehlen, sterben die Menschen viel früher als in den Ländern, wo sie für alle verfügbar. Dass nun die medizinischen Güter ebenfalls der Profitmaximierung dienen, heisst jetzt nicht, sich gegen diese Güter zu wenden. Das wäre Maschinenstürmerei.
"Wahrnehmungsprobleme von uns Verunsicherten"
... von euch Verunsicherten, wer immer sich darunter subsummieren lassen mag; ich bin nicht verunsichert.
Eine interessante Frage, wie man sich das Leben von derzeit etwa 7 Milliarden Menschen ohne Wirtschaftskreisläufe und Lieferketten vorstellt. Es steht zu befürchten, dass die Fragestellung des Blogs darauf hinweist, dass der Autorin der Zusammenhang zwischen Wirtschaft und schierem Überleben von Milliarden nicht klar ist.
Sie sind sich schon im Klaren, dass hsmicha sehr selektiv zitiert und eine Stelle so aus dem Zusammenhang reißt, dass er sie ganz anders interpretieren kann? Mit "Da ist für die obige Behauptung und eine große Dunkelziffer einfach keine Begründung mehr zu sehen." geht es aus meiner Sicht eindeutig um Kritik an den Behauptungen des Prof. Kuhbandner und nicht um die Leugnung einer Dunkelziffer auch in D.
Aber er hat recht, wenn er fordert, dass die Bundesregierung ein realistisches Szenario und ein Kriterium für den Beginn des Ausstieges aus dem Lockdown vorlegen sollte. Das war aber nicht Thema des Beitrags. Aus meiner Sicht brauchen wir eine Größenordnung der Neuinfizierten (gemeint pos. Getesteten), deren Kontakte nachvollzogen werden können und sie dann in Quarantäne geschickt werden. So machen es bereits Weißrußland oder auch Südkorea.
>>…Impfungen, Intensivtherapien pauschal als Gift zu bezeichnen, ist doch absurd.<<
Eine Fehlinterpretation. Wie kommt es dazu? Das Begriffspaar Gift/Gegengift bezeichnet Schädliches und gegen das Schädliche angewandtes. Zur Fehlinterpretation kommt es, indem nicht der ganze Absatz (obwohl zitiert) kommentiert wird, sondern ein Begriff aus dem Zusammenhang gerissen? Zu welchem Zwecke bleibt allerdings unkar.
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Der Artikel 2 GG (der übrigens per Bundesgesetz eingeschränkt werden darf), bezieht sich nicht speziell auf Infektionsschutz, sondern auf Leben und Unversehrtheit allgemein. Würde er ernstgenommen, müsste so Einiges gedownshutted werden das dem geheiligten Privatprofit dient.
>>Es steht zu befürchten, dass die Fragestellung des Blogs darauf hinweist, dass der Autorin der Zusammenhang zwischen Wirtschaft und schierem Überleben von Milliarden nicht klar ist.<<
Nur weil sie fragt, ob man so wirtschaften muss wie gewirtschaftet wird? Man könnte ja mal über Möglichkeiten eines lebenskompatibleren Wirtschaftens nachdenken, oder?
Die Belastungen durch Lärm sind wesentlich schädlicher einzustufen, als die durch Luftverschmutzung.
Zum Verständnis:
Das gegenwärtige Gejammere können sich Alle sparen, weil sich das Rad nunmal nicht zurück drehen lässt, vereehrte Autorin. Der Schlüssel zum Verständnis der gegenwärtigen Krisen ist die Erkenntnis, das wir, die Spezies Mensch, so sind wie wir sind. Es geht nicht darum sich gegenseitig Vorwürfe zu machen - Schuldige zu bennenen. Das ist die Gesamtheit aller Menschen, wenn überhaupt.
Daher schlage ich vor, dem Leben nicht die Bedeutung beizumessen, die wir als überhebliche, arrogante Menschenmasse gewohnt sind. Würde man z.B von "unbelebt" anstatt von "Tod" sprechen, liesse sich viel Angst und Scharlatanerei vermeiden. Lieber fröhlich "unbelebt", als angstvoll "tod".
Nur ein Vorschag! Sacken lassen und drüber nachdenken.
danke für Korrektur. Dadurch dass manche die WHO und die Stiftungen von Bill Gates als weltweite Strippenzieher bei den Grundrechtseinschränkungen sehen, habe ich "Gegengift" falsch interpretiert. Ich entschuldige mich dafür bei der Autorin.
"Der Artikel 2 GG (der übrigens per Bundesgesetz eingeschränkt werden darf), bezieht sich nicht speziell auf Infektionsschutz, sondern auf Leben und Unversehrtheit allgemein."
Der staatliche Infektionsschutz basiert aber auf Artikel 2 GG. (das habe ich geschrieben und nicht das Umgekehrte. :-) )
>>Der staatliche Infektionsschutz basiert aber auf Artikel 2 GG. (das habe ich geschrieben und nicht das Umgekehrte. :-) )<<
Stimmt. Deswegen sage ich es anders: Erfordert Art.2 GG nicht auch weitere Massnahmen analog zum Infektionsschutz, um Leben und Gesundheit aller Bürger zu schützen? Zumal damit ja nebenbei immense medizinische Behandlungskosten eingespart würden, um mal ein Argument der "schwäbischen Hausfrau" zu bringen.
Wie lange, glauben Sie, würde die Umstellung des derzeitigen Systems auf ein "lebenskompatibles" System brauchen? Und wieviele Menschen dürfen währenddessen sterben?
>>Wie lange, glauben Sie,...<<
Das Glauben lasse ich in der Kirche, da ist es am richtigen Platz.
Dass ein Status quo alternativlos sei könnte allerdings ein Irrglaube sein.
Herzlichen Dank für die im Detail absolut zutreffende Analyse der humanitären Verirrungen des Homo sapiens, dem gnadenlosen systemischen Manipulator des eigentlich Natürlichen! Ich schätze Ihre Arbeit sehr und möchte ausdrücklich anerkennen, dass Sie den Finger in verschiedene Wunden legen, von denen es aber noch so unglaublich viele mehr gibt.
Allerdings ist Ihr Text auf der anderen Seite (augenscheinlich völlig unbewusst) ein leibhaftiger Ausdruck dessen, warum die Menschen permanent daran scheitern, „Humanität“ angemessen zu leben: Wie fast alle Menschen heutzutage bringen Sie Ursache und Wirkung durcheinander. In Ihrer Frage wird dieses deutlich:
Dahn: „Wie war es mit einem Mal möglich, im Namen der Humanität alle bisher geltenden Spielregeln außer Kraft zu setzen? Selbst die des Profits und die der Ignoranz? … Woher die plötzliche und, ja, löbliche Ehrfurcht vor dem Leben?“
Orientiert man sich allerdings an der historischen Wirklichkeit, dass der Mensch aus evolutionärer Sicht der Meister der Kooperation und damit (wie so viele wissenschaftliche Erkenntnisse nahelegen) ein höchstgradig soziales Wesen ist, und nicht an der eingeredeten Illusion, also an dem extrem manipulativen ökonomischen Mantra, dass der Mensch von Natur aus ein völliger Egoist sei und schon immer das Gesetz des Stärkeren gelte, dann müsste diese Frage genau andersherum lauten:
Wie konnte es in der Entwicklung der Menschen geschehen, dass ökonomisch bedingte Ignoranz und allumfassendes Profitstreben die tief im Menschen verwurzelte Humanität verdrängt hat?
Achtung: An dieser Stelle geht es in erster Linie um ökonomische Zusammenhänge und nicht um Machtmissbrauch und Unterdrückung anderer und der damit verbundenen barbarischen Gewalt.
Durch die Industrialisierung (ab etwa dem 18. Jh.) und die Ökonomisierung des Lebensalltags erfuhren die Lebensart und die geistige Haltung der Menschen einen tiefen Wandel. Hiezu die Darstellung des Soziologen Gerhard Vowinkel (geb. 1946). Er beschreibt im Folgenden – mit Verweis auf das Werk »Der moderne Kapitalismus« von Werner Sombart (1931, S. 258f) – die gesellschaftlichen Veränderungen, die die neue Wirtschaftsordnung mit sich brachte:
"Im Mittelalter war wirtschaftliche Tätigkeit personal orientiert gewesen. Menschen wuchsen – nicht als wirtschaftliche Funktionsträger, sondern als individuelle, durch ihre Abstammung in soziale Beziehungsnetze eingebundene Personen – in Lebenszusammenhänge hinein, in denen die unterschiedlichen menschlichen Lebenstätigkeiten noch nicht voneinander differenziert waren. Das heißt, ihr wirtschaftliches Handeln konnte sich niemals nach vorwiegend wirtschaftlichen Gesichtspunkten richten. Es wurde dominiert durch die verwandtschaftlich-ständischen Bindungen. Die mit ihnen verbundenen Solidaritätspflichten waren wichtiger als Gewinn und Verlust. Mehr noch, alles Handeln nach Gesichtspunkten rein wirtschaftlicher Rationalität wurde als asozial und unmoralisch angesehen. Mit der Entstehung des Kapitalismus spalteten sich die Handel und Gewerbe treibenden Personen innerlich auf in Geschäfts- und Privatleute. Der Geschäftsmann nahm nicht mehr länger Rücksicht auf die Verpflichtungen des Privatmannes. Er kannte Verwandte und Freunde nicht mehr und orientierte sein Verhalten nur noch am wirtschaftlichen Erfolg, am Gewinn. Er nahm als Geschäftsmann keine Rücksicht auf andere Leute und erwartete keine von ihnen. … Der Geschäftsmann, der seine private Person nicht aus dem Geschäft heraushalten kann, der bei Freunden kauft, statt beim billigsten Anbieter, der statt eines leistungsfähigen Fachmannes seinen Sohn zum Geschäftsführer macht, gefährdet das Unternehmen. Unternehmen, die solche Gefahren abwehren können, überleben diejenigen, die es nicht können." („Verwandtschaft und was Kultur daraus macht“, Gerhard Vowinkel, aus: „Zwischen Natur und Kultur“, Stuttgart 1994, S. 60:)
Fazit: Es sind die Menschen selber, die sich Inhumanität aus ökonomischen Gründen permanent einreden. Im Grunde ist der ökonomisch infizierte Mensch schlimmer als der „schlimmste“ Junkie, der sich eine andere Realität erst gar nicht mehr vorstellen kann. Und dann plötzlich bahnt sich das Humane völlig unverhofft doch seinen Weg: vor allem in Extremsituationen, in denen nicht der eingeredete Schwachsinn, sondern die tiefste Prägungen, ja sogar genetisch Verankertes abgerufen werden. Das sollte die entscheidende Erkenntnis in diesen Zeiten sein.
Wenn wir Menschen daraus wirklich lernen wollen, dann müssen wir erkennen, dass wir so schnell wie möglich tabulos Inhumanität fördernde Systeme verlassen und Humanität fördernde installieren.
Wenn in tausend Jahren auf uns zurückgeblickt wird, dann dürfte wohl an erster Stelle die erstaunte Belustigung darüber stehen, wie wir uns einerseits ein absolut asoziales, alles dominierendes Wirtschaftssystem geleistet und uns andererseits in humanistischen Sonntagsreden darüber empört haben, wie egoistisch und inhuman sich viele Einzelne denn verhielten.
Wer also jetzt wirklich dazu lernen möchte, dem bleibt genau nichts anderes übrig, als von jetzt an die Neuinstallation eines wesentlich klügeren Systems lautstark kompromisslos einzufordern, denn innerhalb eines auf falschen Voraussetzungen basierenden Systems, kann es auf Dauer keine „richtigen“ Maßnahmen geben.
Wir brauchen den Systemwechsel jetzt. Solidarität und Kooperation müssen das Fundament der künftigen Gesellschaft sein, in der Eigen-, Fremd-, Gemein- und Universalwohl gleichermaßen ernsthaft und je nach Situation abgewogen berücksichtigt werden müssen! Und natürlich soll die Demokratie dadurch gestärkt und nicht geschwächt werden, und natürlich geht es um ein funktionstüchtiges System und kein „sozialistisches Wolkenkuckucksheim“.
Dahin kommt man allerdings nur, wenn man die richtigen Fragen stellt und die Antworten dann auch zu Kenntnis nimmt
Der status quo ist nicht unantastbar, und Alternativen werden u.a. hier im Freitag heiß gehandelt ... manchmal heißer als sie bedacht sind. Einfach mal alles einreißen und hoffen, dass sich die Überreste hinterher zum Wohlgefallen aller sortieren werden, ist allerdings nicht nicht mal ein Konzept von einer Alternative, sondern bestenfalls ohnmächtige Wut.
Logisch. Dafür gäbe es viele Beispiele.
Z.B. trägt die Überlastung der Beschäftigten in der Pflege, die mangelnde Schulung und zu geringe Bezahlung, das Fehlen von Schutzausrüstung zur Verbreitung von Covid-19 in Senioren- und Pflegeeinrichtungen bei.
Die fehlende Herstellung lebenswichtiger Produkte in der EU wie Schutzkleidung (aber auch Medikamente wie Generika) gefährdet Patienten und Beschäftigte.
Das streng rationalisierte Krankenausbehandlungregime war in vielen EU-Ländern nicht flexibel genug für soviele Covid-19 Erkrankte. Auch DE brauchte bekanntlich den "Lockdown", um Zeit zu haben, um den Bedarf an Schutzausrüstungen, Intensivbetten, Personal in den Gesundheitsämtern zu decken.
„In der Krise gehen Menschenleben vor Wirtschaft.“
Ist dem so? Wer zynischen und gleichermaßen profilierungsgeilen Politikerdarstellern wie Lindner oder Palmer zuhört, den Bundestagspräsidenten aufmerksam liest, sich journalistische Kommentare und Tweets reinzieht, der könnte in einigen Bereichen durchaus zu einem anderen Urteil kommen. Es sind aktuell ja gerade Teile der Eliten und der Meinungsmacher, die verbal mit dem Leben anderer Vabanque spielen, dabei "eindrucksvoll" zeigen, wie wenig bis nichts sie z. B. für Alte und Schwache übrig haben. Es kommt halt eben auch weiterhin zuerst das Fressen, erst dann kommt die Moral. Daran wird selbst das Virus nichts ändern.
„In der Krise gehen Menschenleben vor Wirtschaft.“
Das kann man so nicht stehen Lassen. Man muß berücksichtigen, das auch sehr viele Menschenleben von einer funktionierenden Wirtschaft abhängig sind, ja und leider auch von einer neoliberalen profitgeilen kapitalistischen.
Zähneknirschend und mit Wut im Bauch müssen wir akzeptieren, daß bei einer dahinsiechenden Wirtschaft nicht nur die ärmsten sondern auch die wirklichen Leistungsträger, Arbeiter und Angestellte, in eine Notlage getrieben werden, die ganz nach der Schmetterlingstheorie, auch das Leben kosten kann. Die Entscheidungsträger sind dabei fein raus, da lässt es sich gut fordern und heroisch sein.
Es muß unbedingt im Auge behalten werden, das ein sozialer Tsunami in eine weltumspannende Katastrophe führen kann. Es ist trauriger Weise vielleicht jetzt nicht der richtige Zeitpunkt die Systeme zu ändern, aber man sollte sich wirklich gut überlegen die Wanne nicht überlaufen zu lassen.
Schützt uns der Freitag eigentlich den geistigen Ergüssen Minderjähriger, egal welchen Alters, oder ist es Aufgabe eines demokrtischen Journalismus, auch deren geistigen Sermon zu veröffentlichen? Wie dem auch sei, auf die Veröffentlichung dieses Stusses hätte man unter vielerlei Gesichtspunken verzichten können.
Mit Verlaub, dann wundert es mich aber, dass man als Zweijähriger schon ganze Sätze formulieren und geist- und inhaltslose Kommentare veröffentlichen kann, die sogar das intellektuelle Niveau von "Echo der Frau" oder "Neue Post" unterschreiten. Das kann nicht jeder. Respekt!
Oder wie "alt" sind Sie?
>>In Europa sterben an verdreckter Luft jährlich 550.000 Menschen.<<
Und wenn eine Infektion dazu kommt wird etwas schneller gestorben.
Biene hat sich dankenswerterweise mal mit dem Thema „Covis-19 und Feinstaub“ beschäftigt. Ein Zusammenhang zwischen Luftvermüllung und Letalitätsrate bei infektiösen Atemwegserkrankungen ist, ich sage es mal vorsichtig, nicht auszuschliessen:
Covid-19 und Feinstaub
Mit "Erfordert Art.2 GG nicht auch weitere Massnahmen analog zum Infektionsschutz, ..."
Mit "analog zum Infektionsschutz" meinte ich nicht speziell Infektionsschutz-Massnahmen, sondern ähnlich rigorose Massnahmen auch gegen andere krankmachende bzw. lebenzeitverkürzende Faktoren, auch dann wenn sie hochprofitabel sind.
In meinem ersten Kommentar nahm ich doch darauf bezug:
"Wie nun die staatliche Gewalt die körperliche Unversehrtheit garantiert, muss in der Demokratie ausgehandelt werden, was natürlich auch eine Frage der Machtverhältnisse zwischen den sozialen Klassen ist. So existieren für die Luftverschmutzung und viele Umweltgifte, an die alle irgendwie direkt oder indirekt beteiligt sind, eben zwischen den Klassen ausgehandelte Grenzwerte, welche der Staat einhalten muss."
Sie stellen zu Recht fest, dass ich auf die Inhalte des Artikels nicht eingegangen bin. Es handelt sich dabei ja um ein ganzes Trommelfeuer an fiktiven Fallzahlen, vermengten Problemstellungen, moralischen Maximalansprüchen und vor allem hysterischen Neurosen. Alles in Form eines brutal überzogenen Alarmismus, einer Anklageschrift gegen die Welt, kulminiert zu einem hemmungslosen, aber hochambivalenten Wirtschaftsbashing. Darauf im Einzelnen einzugehen, ist der Artikel - den ich für Stuss halte - wahrlich nicht wert. Vielleicht dennoch ein paar Sätze. Die Lebenserwartung lag im Jahr 1900 in Deutschland bei 50 Jahren, heute geht sie gegen 80 Jahre. Die Luftverschmutzung ist seither jahrzehntelang gestiegen und inzwischen bereits jahrzehntelang wieder stark gesunken (zumindest in Europa). Die fiktiven Fallzahlen, die hier angesprochen werden, sind ein politisches Narrativ und geben daher wenig Anlass zum Alarmismus.
Gegen die Armut der Welt, die Ursache für eine geringe Lebenserwartung ist, hilft vor allem eine wachsende Wirtschaft und wachsender Wohlstand. Dass dieser Wohlstand auch ein paar Schattenseiten hat, kann angesichts seiner Vorteile - auch bzgl. der Lebenserwartung - durchaus verschmerzt werden. Letztlich braucht auch die WHO gerade dieses Geld, das während eines Shutdowns eben nicht erwirtschaftet wird.
Und zuletzt liegen auch keine Leute im Krankenhaus, die sich am Klimawandel infiziert hätten, oder sonstwie darunter litten. Der multiresistente Krankenhauskeim ist durch dieselbe Hysterie enstanden, die die Autorin selbst an den Tag legt. Die Zuspitzung "Menschenleben vor Wirtschaft" ist unlogisch und falsch, denn dem widersprechen die aktuellen Corona-Maßnahmen ja gerade. Die kommende Wirtschaftskrise wird uns allen noch viele "echte" Probleme bereiten, das Eskalationspotential der Autorin dieses Artikels ist jedoch heute bereits am Anschlag, sie hat jedes Maß verloren.
Sie werfen Frau Dahn Alarmismus vor und werfen mit Begriffen wie "moralischen Maximalansprüchen" "hysterischen Neurosen" " brutal überzogenen" "Anklageschrift gegen die Welt" "hemmungslos" "hochambivalent" um sich.
Sie sind ja ein Witzbold!
Übrigens verwendet die moderne Psychologie den Begreiff "Neurose" schon etwas länger nicht, da er zu ungenau ist. Irgendwie bezeichend für ihre Auslassungen. Sehr wissenschaftlich auch die Aussage "jahrzehntelang gestiegen, dann jahrzehntelang gefallen", erinnert mich an die Sesamstraße als Grobi rumrennt und brüllt "jetzt bin ich hier...und jetzt bin ich wieder dort".
Wo haben Sie eigentlich ihre Fakenews her? Von Wikimannia?