Von dem amerikanischen Schriftsteller Richard Ford stammt der Satz, Richard Yates´ Roman Zeiten des Aufruhrs sei wie ein geheimer Handschlag unter denjenigen, die ihn gelesen hätten. Und tatsächlich: Wenn sich zwei dieser Eingeweihten treffen, kommen sie aus dem Schwärmen meist nicht mehr heraus, sogar erbitterte Feinde können sich über ihre geteilte Liebe zu Yates ein paar Minuten lang näher kommen.
Obwohl es ihm also an Empfehlungen von Freunden, Feinden, Schriftstellern und sogar von Literaturkritikern nie gemangelt hat, ist Richard Yates sein Leben lang, von 1926 bis 1992, ein in regelmäßigen Abständen hoch gehandelter Geheimtipp geblieben - und das bis heute. Hierzulande sind leider nur seine beiden wichtigsten Werke: Zeiten des Aufruhrs und Easter Parade in deutscher Übersetzung erhältlich, dazu der etwas zerfahrene Kriegsroman Eine besondere Vorsehung und die beiden Kurzgeschichtensammlungen Verliebte Lügner und Elf Arten der Einsamkeit.
Als 1961 in den USA sein erster Roman Zeiten des Aufruhrs (Revolutionary Road) erschien, stand darauf in großen roten Lettern ein Zitat des Kritikers Alfred Kazin, das so auch über allen späteren Büchern von Yates hätte stehen können: "Dieser Roman ortet die amerikanische Tragödie auf dem Schauplatz der Ehe." Yates selber hat sich Jahre später in einem Interview leise darüber beschwert, dass dieser Satz andere Perspektiven auf sein Werk verstellte und viele Leser abgeschreckt habe, die aufgrund des Zitats meinten, Zeiten des Aufruhrs sei ein Anti-Eheroman.
Doch so einfach ist es nicht, obwohl Ehen in den meisten von Yates´ Geschichten tatsächlich die Hauptschauplätze sind - und ausnahmslos scheitern. Gerade aus heutiger Perspektive zeichnet Yates in seinen schnörkellos formulierten Sätzen vor allem ein gestochen scharfes und schonungsloses Bild der fünfziger Jahre in den USA. Bei ihm erscheinen sie als Periode des Aufbruchs und einer gleichzeitigen bleiernen Nachkriegsdepression - trotz Vollbeschäftigung und besten Aufstiegsmöglichkeiten am Arbeitsplatz mit vielen neuen Betätigungsfeldern wie Werbung, neuen Technologien und den Medien.
Wie seine Zeitgenossen John Cheever und Edward Albee umkreist und hinterfragt Yates in seiner Literatur das Leben in den riesigen, bilderbuchhaft herausgeputzten neuen Vorstädten der großen Metropolen. In diesen berüchtigten Suburbias machen junge Familien nach dem Krieg den Traum vom Eigenheim wahr, durchleben dann aber hinter den weißen Zäunen, gemähten Rasen und sauberen Gardinen eine Art Vorhölle.
Ihren Anteil an dieser Vorhölle hat nun auch die Ehe, mit den zu frühen Schwangerschaften und der klassischen Rollenverteilung: Der Mann arbeitet in der Großtadt, die Frau bleibt als Hausfrau und Mutter daheim; im Untergrund schwelen die Unzufriedenheiten und ungelebten Pläne. Kurzum: Die vermeintlich Erfüllung des amerikanischen Traums in der Vorstadt wird als unlebbarer Kompromiss entlarvt, die Jagd nach dem Glück wird zum Rohrkrepierer. Und dies ist auch gleich die knappestmögliche Beschreibung von Zeiten des Aufruhrs mit seinen beiden Protagonisten, dem jungen Ehepaar Frank und April Wheeler mit seinen zwei Kindern, das an unrealistischen Träumereien und verträumten Realitäten gleichermaßen zerbricht. Vom Vorstadthäuschen wünschen sie sich in das Leben der Bohème nach Paris und landen doch immer nur wieder unsanft im Ehekrach.
Dass es aber auch außerhalb der Ehe existenziell kriseln kann, beschreibt Yates fünfzehn Jahre später in Easter Parade (1976), einem Roman, der von zwei ungleichen Schwestern erzählt. Er folgt dem Leben der unverheirateten Emily Grimes, die nach einer Zeit mit wechselnden Affären und Jobs langsam in den Wahnsinn kippt. An Emily spiegelt er ihre Schwester Sarah, die in ihrer Ehe zwischen Alkohol und Wohlstand verkümmert. Schon der erste Satz von Easter Parade würgt jede Hoffnung auf ein versöhnliches Ende ab: "Keine der Grimes-Schwestern sollte im Leben glücklich werden, und rückblickend schien es stets, dass die Probleme mit der Scheidung ihrer Eltern begonnen hatten." Auch dieser, an Illusionslosigkeit nicht zu überbietende Satz steht programmatisch für sein ganzes Werk: Nicht nur die Schwestern Grimes, keine von Yates´ Romanfiguren sollte je in dem Leben, das er für sie erfindet, glücklich werden.
Neben Unglück und Melancholie ist der Alkohol eine prägende Konstante in Yates´ Werk. Immer wieder frisch gefüllte, dickwandige Whiskygläser oder zarte Martinikelche stehen spätestens abends um fünf auf allen Tischen und werden im Akkord geleert. Dazu wird Kette geraucht, die Frauen wischen sich ständig Zigarettenasche von ihren farbigen Cocktailkleidchen. In Zigarettenrauch und Alkohol schwebt und schwimmt eine noch unbestimmte Todessehnsucht, die so gar nicht zum optimistisch strahlenden amerikanischen Fortschrittsglauben der fünfziger Jahre passen will. Stattdessen wird bei Yates eine tiefsitzende und auf den ersten Blick paradoxe Depression der Sieger deutlich. Man hat zwar den Krieg gewonnen, und die Männer sind auch stolz, Soldaten der siegreichen alliierten Truppen gewesen zu sein. Aber in den meisten Fällen fühlen sie sich wenig heldenhaft.
Was Yates mit seinen Figuren zu sagen scheint: Kriegshelden sterben jung auf dem Schlachtfeld, nur Nichthelden kehren unversehrt zurück - und siechen dann in ihrem Nachkriegsdurchschnittsleben langsam vor sich hin, unerreichbare Lebensentwürfe und Männlichkeitsideale vor ihren getrübten Augen. Yates´ Literatur ist die Geschichte dieser unscheinbaren Nichthelden. Allein das Scheitern scheint ihn zu interessieren, erfolgreiche Figuren gibt es in seinen Romanen höchstens als Randerscheinungen. Was Glück sein könnte, lässt sich nur über die Leerstellen dieser Geschichten erahnen.
Das Beste, was Yates´ Protagonisten erreichen können, ist, dass sie sich verzweifelt gegen das Dahinsiechen im Gewöhnlichen wehren und nach einem unerreicht bleibenden Künstlerleben greifen. Die meisten seiner Figuren sind glücklose und oft schlicht unbegabte Bildhauerinnen, Schauspielerinnen, Dichter und Maler, die ihren Broterwerb aber außerhalb der Kunst suchen müssen - und daran zu Grunde gehen.
Es liegt verführerisch nahe, die Interpretation eines solchen Werks und seiner glücklosen Protagonisten in der Biografie ihres Erschaffers zu suchen. Der zeitweilige Redenschreiber für den ermordeten Senator Robert Kennedy war Zeit seines Lebens ein Säufer und bis an sein Sterbebett unverbesserlicher Kettenraucher. Seine Ehen zerbrachen, seinen Töchtern war er ein schwieriger Vater. Auffallend viele seiner Pläne scheiterten, so auch derjenige, als Drehbuchautor in Hollywood das große Geld zu machen.
Nach der positiven Aufnahme seines ersten Romans Zeiten des Aufruhrs verlor er den National Book Award knapp an The Moviegoer von Walker Percy, was seiner Karriere und seinem Selbstwertgefühl einen schweren Schlag versetzte. Bei vielen seiner späteren Bücher - darunter solche Perlen wie sein vielleicht explizitester Roman über das Scheitern künstlerischer Ambitionen, Young Hearts Crying, - blieb der Erfolg aus. Die ewige Wiederkehr ähnlicher Figuren und Motive des Scheiterns und das zum Teil dramaturgisch nicht ideal arrangierte Material halfen auch nicht, ihm eine breite Anhängerschaft zu sichern.
Yates´ trockener, realistischer Schreibstil passte so gar nicht zur experimentellen Literatur der Beatniks um Jack Kerouac, die gerade Mode war. Er musste als Lehrer für "creative writing" arbeiten, was ihm zuwider war. Als Schriftsteller rutschte er immer stärker in das ab, was heute Prekariat heißt. Sein Biograph Blake Bailey weiß von Lesungen, zu denen überhaupt niemand erschien, und die zielsicher in einem weiteren Saufgelage endeten. Der Altersgenosse von Martin Walser und Günter Grass starb 1992, gerade einmal 66 Jahre alt. In den darauffolgenden Jahren verschwanden seine Romane aus den Buchhandlungen.
Doch Yates´ Leben ist ein allzu offensichtlicher Schlüssel zu seinem Werk. Interessanter ist es, durch Sätze der von ihm verehrten Schriftstellerkollegen auf seine Romane zu blicken: "Zieh deinen Stuhl ganz nahe an den Abgrund, und ich werde dir eine Geschichte erzählen." Mit diesem Zitat seines erklärten Vorbilds, F. Scott Fitzgerald, eröffnet Yates den Internat-Roman A Good School, der in der Zeit des Koreakriegs spielt. Warum hören wir diesen todtraurigen Fünfziger-Jahre-Geschichten am Rande des Abgrunds bis heute so gerne zu?
Nicht nur das aktuelle Yates-Revival, beflügelt durch die mit Regisseur Sam Mendes, Kate Winslet und Leonardo di Caprio hochkarätig besetzte Neuverfilmung von Zeiten des Aufruhrs, auch die preisgekrönte TV-Serie Mad Men des Sopranos-Erfinders Matthew Weiner entführen uns mit großem Erfolg in die seltsame Welt der fünfziger Jahre. Diese, uns heute auf den ersten Blick so fremde Zeit, scheint eine unergründliche, melancholische Anziehungskraft für uns Zeitgenossen zu bergen. Der Satz von W. H. Austen: "Wir werden beherrscht von Mächten, die wir vorgeben zu verstehen", den Yates zum Motto von Eine besondere Vorsehung gemacht hat, weist vielleicht am besten den Weg in die schaudernde Faszination, die Yates´ Romanen innewohnt. Es ist nichts weniger als das alte Drama und Dilemma des modernen Menschen, der sich seiner Aufgeklärtheit zum Trotz als Spielball undurchsichtiger Mächte wahrnimmt, das uns und Yates´ Romane damals wie heute umtreibt.
Bücher von Richard Yates:
Eine besondere Vorsehung. Roman. Aus dem Amerikanischen von Anette Grube. DVA, München 2008, 389 S., 19,90 EUR
Zeiten des Aufruhrs. Roman. Aus dem Amerikanischen von von Hans Wolf. DVA, München 2008. 368 S., 14,95 EUR
Easter Parade. Roman. Aus dem Amerikanischen von Anette Gruber. Btb, München 2009. 296 S., 9 EUR
Verliebte Lügner. Short Storys. Aus dem Amerikanischen von Anette Grube. DVA, München 2007, 320 S., 19,90 E
Elf Arten der Einsamkeit. Short Stories. Aus dem Amerikanischen von Hans Wolf und Anette Gruber. Btb, München 2007. 284 S. 9 E
Mad Men. 1. Staffel (USA 2007). Nur auf Englisch. 593 Min. Lionsgate. Ca. 22 E
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