Bitte mehr Kunst!

Deine! Bitte mehr Kunst! Eine ganz alltägliche Forderung.

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Bitte mehr Kunst! Eine ganz alltägliche Forderung. Eine Kunst, die nicht künstlich ist, weil sie Authentizität will. Darin liegt die Verbindung zwischen der Kunst des Teilens und der Performanceart -- einer Freundschaft.

Es geht um Dich. Es geht um uns.

Es gibt Zweckgemeinschaften, dazu zählen Künstler/innen-Gruppen, sie haben ein Programm, das gefahren wird. Wir haben kein Programm. Weder verbindet mich mit Jürgen Sting, der für die Kunst des Teilens seit Mitte 2000 atonale und polyphone Musikprojekte verwirklicht, noch mit Tina Stark und den anderen Künstler/innen und Mitwirkenden ein Programm. Uns verbindet Freundschaft. Das Band der Liebe – spann es auf und es ist ein Segel, lasst die Winde wehen!

Gefragt seid Ihr, weil sowohl die Kunst des Teilens und Performanceart sieht die Rezipienten/innen als Teilhabende und Mitgestaltende.

Wie Kunst des Teilens und Performanceart sich fanden, wie wir uns begegnet sind, was uns bewegt und was wir mit Euch bewegen möchten:
Ich lernte Tina 2013 in einem kleinen Peru-Laden kennen, sie studierte Theater- und Medienwissenschaften, zuvor Archäologie, arbeitete als Verkäuferin, im Call-Center und als Köchin u. a., absolvierte Praktika am Theater, sang im Chor. Sie bereitete damals ihr erstes Performanceprojekt im Rahmen des Arena-Festivals, der 23. Woche des Internationalen jungen Theaters unter dem Motto „In the Notion of Limits“vor. 2014 folgte „Be-Eat. Love- Dreams“. Sie ist Mitbegründerin von „[un]kollektiv“, das 2014 mit der Performance „rituals feats“ Rituale, die Menschen scheinbar nähren, kritisch hinterfragte und derzeit an einem weiteren Performanceprojekt arbeitet. Und es ging und geht um die Frage, ob Selbstdarstellung nicht schon ritualisiert wird.

Anfänge 2013

Eine Frau liegt auf der Straße – im roten Kleid. Ungewöhnlich, nicht zufällig. Menschen laufen vorbei, Autos fahren vorbei, manche bleiben stehen, halten an…
Regungs- und bewegungslos lag sie auf dem Straßenpflaster, während um sie herum die gewöhnliche Hektik des großen Stadtmolochs ablief. Routinierte Abläufe, Menschen, die von Ort A nach Ort B hetzten, der Lärm der Hektik – hörbar -- unhörbar, Arbeit, Einkäufe, Besorgungen, aber auch Stille Liebespaare, die gemütlich schlenderten, ältere Menschen, die sich auf einer Bank unterhalten, Kinder, die sich für Momente von ihren Eltern losreißen, trotzen! Die Abläufe Zerreißen, sich vom Gezerre losreißen, sich nicht in die Einkaufshalle zerren lassen, vor den Ladenriesen ein Spiel beginnen -- für Momente, bis die zerrende Hand wieder greift…
Das Gesicht der Frau – seitlich weggedreht, von den Haaren verdeckt. Ich sehe, sehe all das, aber sieht die Kamera? Ich fotografiere nicht.
Nicht so schnell. Zeit, viel Zeit vergeht.
Still, alles ist still und bewegungslos, Stress läuft, läuft ab, vorbei. Die Frau im roten Kleid liegt stumm auf der Straße. Ihr Arm ist ausgestreckt, die Handflächen sind nach unten zum Boden gewandt, die Finger laufen ins Leere, berühren nichts – weder die rote Grenze, die um die Frau gezogen ist, noch einen Menschen, nur den Betonboden -- abgewandt von der Welt.

Zeit wie viel Zeit?

Irgendwann bewegt sie sich – wie in Zeitlupe, setzt sie sich langsam und stumm auf, Wind weht durch ihre Haare, Menschen rasen an ihr vorbei, Blicke streifen… Später, sehr viel später nach der Performance wird sie sagen, wie anders sich die Geräusche und Stimmen der Stadt dort auf dem Boden anhörten und anfühlten, die veränderte Stadt…
Vieles war neu und anders für mich beim Fotografieren. Meine Fotografien für die Ausstellungsprojekte waren bis dahin abstrakt. Menschen fotografierte ich bis dahin nur im privaten Kontext, frage vorher immer, ob ich fotografieren darf, bleibe ansonsten Kamera abstinent. Tina wusste, dass ich fotografiere, aber die anderen, die Menschen, die Teil des Geschehens wurden, und vorher nicht gefragt wurden? Mein erster Impuls war, ich möchte die Gesichter einfangen – die Gesichter der Vorbeilaufenden, die erstaunten Gesichter, die geschockten Gesichter, vor allem die fragenden Gesichter... Ich entschied mich dieser Versuchung nicht nachzugeben, tue es bis heute nicht. Jemand muss entscheiden können, ob er oder sie fotografiert werden möchte oder nicht. Ich sah den Boden mit den Betonsteinen, blickte die Häuserwände hoch, mein Blick wanderte in den freien Himmel – in die Weite jenseits der hohen Mauern, ich überlegte, entschied mich nah am Boden zu fotografieren, das Licht als Hinweis zu nutzen, ging in die Hocke, die Knie, in die Tiefe. Die Kamera draufhalten? Die Kamera ungefragt voll auf die Passanten/innen draufhalten? Nein! Ich entschied mich mit der Ahnung zu arbeiten, mit Gesten und Winken, die Persönlichkeitsrechte achten, nicht ungefragt Grenzen überschreiten ohne, dass der/die andere mitentscheiden könnte. Der Philosoph Emmanuel Levinas, den ich sehr liebe, schrieb viel über das Antlitz. Ich dachte in der Zeit vor, nach und während der Performance viel über Menschen nach, von überall starren uns Menschen von Plakatwänden an, Gesichter, die für Geld gekauft wurden, die etwas ausdrücken, das nicht sie selbst sind, sondern im Dienst der Ökonomie stehen. Überall, an Bahnhöfen, in Supermärkten auf öffentlichen Plätzen in Häusereingängen stehen Überwachungskameras. Zeitungen machen aus Biografien Titel-Stories, Bild und Story, Auflagen, Verkaufszahlen, das alles widerspricht jeder Form von Ethik, lässt unsere Gesellschaft kalt werden, anteilnahmslos, empathielos, Menschen zum Objekt werden. All das möchte ich nicht. Ich möchte nicht die Kamera draufhalten. Das ist der Hauptgrund weshalb ich bisher nur abstrakt fotografierte. Nun war eine andere Situation, ich war konfrontiert mit einer Kunstform, der Performanceart, die nicht wie die Kunst des Teilens Menschen einlädt auf eine offene Plattform der Begegnung und vorher fragt, sondern einer Kunstform die einbricht, in die Lebenswelt der Menschen. Freiheit und Freiwilligkeit und Unfreiwilligkeit stehen im Konflikt. Ich dachte viel über die Worte Levinas nach:

„Wir haben gesagt, daß dieser Augenblick, in dem das getrennte Seiende sich zu erkennen gibt ohne sich auszudrücken, in dem es erscheint, aber von seiner Erscheinung abwesend ist, ziemlich genau dem entspricht, was den Sinn des Phänomens ausmacht. Das Phänomen ist das Seiende das erscheint, aber abwesend bleibt. Nicht Schein, sondern Realität, die der Realität ermangelt, Realität, die noch unendlich weit von ihrem Sein entfernt ist. Man hat im Werk jemands Absicht erraten, aber man hat über ihn in seiner Abwesenheit geurteilt. Das Seiende hat sich nicht selbstBeistand geleitstet (wie es Platon im Hinblick auf die geschriebene Rede sagt), der Gesprächspartner hat nicht seiner eigenen Offenbarung beigestanden, assistiert. Wir sind in sein Innerstes eingedrungen, aber in seiner Abwesenheit. Wir haben ihn wie einen prähistorischen Menschen verstanden, der Beile und Zeichnungen hinterlassen hat, aber keine Worte. Allein sieht es so aus, als sei das Wort, dieses lügende und verheimlichende Wort, unbedingt erforderlich für den Prozess, um die Akten und Beweisstücke aufzuklären; als könnte allein durch das Wort die mannigfaltigen konkurrierenden Möglichkeiten des Symbols – das im Schweigen und in der Dämmerung symbolisiert – unterschieden werden und der Wahrheit ans Licht helfen. Das Sein ist eine Welt in der und von der gesprochen wird. Die Gesellschaft ist die Abwesenheit des Seins.“ Levinas

Das Antlitz ist heilig für Levinas. Er kritisiert die Verobjektivierung von Menschen, das Entreißen. Diese Gesellschaft beruht auf einer Veräußerung (im doppelten Sinne (im Sinne von Äußerlichkeit und dem Veräußern im Sinne der Marktlogik)), dem Bewerten von Menschen (Leistung, Tratsch usw.), dem Sprechen über, der Abwesenheit von Sein. Das widerspricht der Ethik. Es widerspricht jeder Form von Ethik, wenn Menschen nicht für sich selbst sprechen können. Es geht darum, dass Menschen für sich selbst sprechen können, darum, dass Ihr Antlitz nicht entäußert wird und es geht darum beides nicht zum Objekt zu machen, nicht vom Sein zu entreißen. Es war Levinas der früh erkannte, dass die Übersetzung eines Seienden in eine Proposition die Möglichkeit der Übersetzung in einen Algorithmus enthält. Es ist ein Menschenrecht, ein grundlegendes Menschenrecht, dass weder Antlitz noch Worte entrissen werden, Menschen für sich selbst sprechen können. In dieser Gesellschaft werden Menschen permanent zum Objekt reduziert – im Bild-Duktus, im Sprechen über, im Downloaden, im Werten, im Entreißen, im Verwerten, Gebrauchen und dort, wo Maschinen die Kontrolle übernehmen und Algorithmen den Prozess bestimmen auf Maschinenmaß reduziert. Diese Gesellschaft ist die „Abwesenheit von Sein“. Bilder und Worte werden zu Gebrauchsgegenständen. Die Macht des Bildes, liegt in der Entfremdung. Macht im Unterschied zu Freiheit und Liebe, die achtet. Das Antlitz und Worte eines Menschen sollten für sich selbst sprechen, diese Gesellschaft sollte sich an die Heiligkeit von Antlitz und Worten erinnern, bald, sie nicht dem Sein entreißen, nicht der Ökonomie zuführen, nicht auf Maschinemaß reduzieren. Die Maschine plagiiert den Menschen in der Reduktion auf Algorithmen. Das Band zwischen Wort, Antlitz und sein geht verloren. Die Offenheit geht verloren.

„Die Erscheinung offenbart und verbirgt; das Wort hat darin sein Wesen, in einer vollständigen und immer erneuerten Offenheit… …es birgt die ursprüngliche Offenheit der Offenbarung…. Die Sprache ist nicht eine Modalität der symbolischen Vermittlung, sondern jede symbolische Vermittlung bezieht sich schon auf die Sprache.“ Levinas

In der Performanceart ergibt sich eine Parallele zur Philosophie des Geistes, in der Suche nach dem, was sich nicht auf Algorithmen und Bits reduzieren lässt. Elisabeth Jappe schreibt:

„Eine kreative und geistige Auseinandersetzung muß von Seite der Künstler kommen, damit die Menschlichkeit sich nicht in 'bits' auflöst."

Die Brücke -- der Akt und diejenigen, auf die er verweist?

Warum war Sokrates das Gesprochene Wort so wichtig? Weil es den/die Sprecher/in nicht vergisst, nicht zum Thema wird über das gesprochen wird, der Mensch nicht zu einer Sache, einem Objekt wird. Wenn wir Schrift nicht wie gesprochene Worte sehen, wenn Bilder auf Verfügbarkeiten reduziert werden – fehlt der Schrift, fehlt dem Bild die Ethik, wird sie zum Fragment des Urteils, verliert sie sein/ihr Antlitz und mit dem Antlitz mit dem Wort das Unaussprechnliche, das Unveräußerliche, Unendliche. Gabe und Gebendes sprechen im Antlitz. Musik könnte als Analogie gelten. Nimmt man/frau ihr Antlitz, das, was erscheint, ihr Äußeres ist ihr Innerliches, löst sie sich auf, zugleich kann die Musik nicht ohne das sein, was Schweigen bedeutet.
Bogenschwünge und Musik: Der Bogen von der Philosophie zur Performance, wir verbinden Performance mit Musik, mit Malerei, Skulptur und Fotografie.
Wir benutzen zum Beispiel die Taube als Symbol des Friedens. Joseph Beuys und seine Schüler und Schülerinnen versuchten mit dieser Tradition zu brechen; für sie war der Hase ein Friedenssymbol wie Beuys in der filmischen Dokumentation zur „Einschmelzung der Zarenkrone“ erläutert.
Taube und Hase sind womöglich austauschbar als Symbole. Sind sie das? Ein Hase symbolisiert vielleicht andere Aspekte des Friedens als eine Taube. Er hat beispielsweise keine Flügel. Womöglich sind Symbole partiell austauschbar, vielleicht aber auch sich ergänzend. Frieden selbst ist unersetzlich.

„Das Unendliche, von dem sich jede Definition abhebt, wird selbst nicht definiert; es bietet sich keinem Blick, sondern signalisiert sich, es signalisiert sich nicht als Thema, sondern als der/die Thematisierende…. darüber hinaus aber signalisiert sich das Unendliche dadurch, daß es dem Werk, in dem es sich signalisiert, beisteht, es signalisiert sich nicht nur, sondern spricht, ist Antlitz.“ Levinas

Es ist der einfache Satz, werdet wie die Blumen, der hinter diesen Worten steht. Blumen sprechen für sich selbst, blühen aus sich selbst und von selbst (jap. Jinen honi). Das was eine Blume ausmacht, lässt sich in keinen Algorhithmus übersetzen. Würden wir die einfachen Sätze verstehen, wie den buddhistischen Satz, ein Bild von einem Reiskuchen ist kein Reiskuchen, wäre die Gesellschaft nicht die Abwesenheit. Gäbe es keine Naturzerstörung. Wäre die Natur nicht gefährdet auch Geist und Herz nicht auf Maschinenmaß reduziert zu werden.

Kein Bild und Keine Story!

Abdrücken und Bilder schießen? Für mich ist klar, ich möchte diese Zurückhaltung bewahren, die Achtung vor der Heiligkeit, ja Heiligkeit des Antlitzes. Aber wie mit einer Kunstform, Performanceart, die auf Konfrontation und Provokation beruht – mit der Unausweichlichkeit arbeitet?
Im Extremfall auf den Altar steigen und kreischen? Macht durch die Demonstration von (Gegen)Macht, die dem Prinzip der Macht verhaftet bleibt, durchbrechen? Das ist auch nur wieder Macht, dasselbe Prinzip, das andere nicht fragt und aufzwingt. Und ausschlachten und knipsen und den Medien Stoff für die Story liefern?
So kennt man/frau Performance vor allem von den Medien.
Die Macht der Bilder, als ich diese Bedenken formulierte, wurde mir klar, dass die Bilder in den Medien schon etwas mit mir gemacht hatten, sie hatten ein Bild generiert in meinem Kopf, das ich von Performance-Art hatte. All das hatte nichts zu tun mit der Stille, die ich während der ersten Performance von Tina erlebte, die Ruhe, die Weite, die Freiheit…
Als ich all diese Vorstellungen von Performance in einer der Diskussionen formulierte, und sagte, aber ich will keine Verbindung aus Performance und Fotografie, die Bild und Story abliefert, schoss es Tina aus dem Mund, das will ich auch nicht!
Ich lehnte mich gegen die Macht der Bilder auf und war selbst Gefangene der Bilder, Gefangene der Bilder in den Medien über Performanceart.
Eine Frau bindet transparente Fragen an einen Baum, leichte Stoffe, eine andere Frau macht Ihr Gesicht zu einem Spiegel, indem sich andere Gesichter spiegeln, zwei Frauen küssen sich mit grell roten Lippen, ihre Gesichter mehr und mehr übersäht von Küssen und roter Farbe, eine Frau rennt gegen eine Wand – die Wandbewegt sich scheinbar nicht, scheinbar in der Wirklichkeit – und im Traum? Auch das ist Performance-Kunst.
Wir wollten intuitiv zusammenarbeiten, wollten genau das von Anfang an – unüberlegt und wir fanden eine Brücke trotz der Widersprüche der Kunstformen, andere Widersprüche blieben. Performanceart bleibt konfrontativ – die Kunst des Teilens fragend und diskursiv.
Wir diskutierten fast zwei Jahre, wie wir die Widersprüche, zwischen der Kunst des Teilens und der Performanceart versöhnen können. Es waren heiße Diskussionen, viel wirklich und womöglich Unversöhnliches stand nebeneinander -- da die zurückhaltende abstrakte Kunst, die vor allem Fragen stellen möchte, Diskurs möchte und mit der Kunst des Teilens eine offene Plattform, die einlädt mitzumachen und diese Einladung auf Offenheit und Freiheit beruht, dort die provokative Performanceart, die an der Freiheit kratzt, da man/frau ihr nicht ausweichen kann und zu der man/frau sich im Sinne Watzlawicks nicht nicht-verhalten kann, weil sie zu den Menschen kommt, sie konfrontiert – unausweichlich.
Ein Einwand dagegen von Seiten der Performance: Auch abstrakte Bilder können unausweichlich sein! Zum Beispiel Barnett Newmans riesigen Bildvariationen „Who´s afraid of, Red, Yellow and Blue?“, die ursprünglich in einem engen Raum aufgehängt waren, dass man verleitet wurde sie ausder Nähe zu betrachtet. Da die Bilder keine Aussage an den Rezipienten haben, ist dieser als Betrachter unweigerlich auf sich und seine Assoziationen zurückgeworfen.
Diese Unausweichlichkeit meine ich aber nicht, weil sie ist gar keine Unausweichlichkeit. Auch Barnett Newmans abstrakter Expressionismus bleibt vergleichsweise zurückhaltend. Seine Color-Field-Paintings sind nicht unausweichlich, die Rezipienten/innen entscheiden, sie werden nicht aufgesucht von den Paintings, seine abstrakten Farbflächen kreischen keine Imperative, (wobei ich die Titel bei ihm und vielen anderen abstrakten Künstler/innen, er war damit keineswegs allein, schon als vergleichsweise direktiv empfinde, weil sie etwas von der Unbefangenheit, die im Abstrakten liegt, wegnehmen), und sie stürmen aber nicht auf Menschen zu und kreischen keine konkrete Handlungsaufforderungen, wie zum Beispiel die Femen mit Appellen wie „Macht Euch nackt Muslime!“ Und selbst dort, wo abstrakte Kunst unübersehbar auftritt, zum Beispiel in Form eines Ensembles abstrakter Skulpturen im Freien, bleibt eine Zurückhaltung, die in der Abstraktion liegt, tritt sie nicht als Imperativ auf. Ich denke, abstrakte Kunst legt den Geist und die Gedanken nicht fest, bindet nicht, zumindest auf nichts konkret Gegenständliches hin. Das war es ja gerade was Bernett Newman so faszinierte, die Enge bei ihm ist ausweichlich, davon abgesehen arbeitete er auch viel mit Weite zum Beispiel mit Bildanalogien zur meditativen Bewusstseinserweiterung -- durch sich dem Unendlich nähernden Farbenmeere. Aber auch seine Enge signalisierenden Gemälden sind keineswegs unausweichlich. Selbst weniger offensive Performance-Formen enthalten nach wie vor das unausweichlich konfrontative Moment, indem sie mit dem Gegenständlichen, dem Konkreten arbeitet und dies häufig so, dass nicht die Rezipienten/innen entscheiden, ob sie die Auseinandersetzung wählen, sondern sie werden konfrontiert – ich behaupte unausweichlich, Marina Abramovic zum Beispiel legte in einer ihrer Performances die geladene Waffe hin oder wenn sie in eine Kinovorstellung einbricht und die Vorstellung unterbricht, mit einer sehr konkreten Handlung, konfrontiert sie unausweichlich. Ich bleibe bei der Behauptung, dass abstrakte Kunst eher offen bleibt, Fragen stellt, während die Performanceart konfrontiert mit konkreten und ausweichlichen Begebenheiten, zu denen man/frau sich nicht nicht-verhalten kann. Und ggf. sogar mit Imperativen wie bei den Femen oft der Fall. Ich könnte natürlich eine meiner abstrakten Fotografien während einer laufenden Kinovorstellung auf die Leinwand projizieren, und eine Mischform aus abstrakter Kunst und Performance bilden -- abstrakte Performancekunst, die Offenheit des Werkes selbst bliebe, eine andere Offenheit würde verschwinden, nicht alles, aber doch etwas Wesentliches würde verloren gehen, das für mich abstrakte Kunst so reizvoll macht. Zu ersten Erfahrungen und wie es sich anfühlte später mehr. Abstrakte Kunst will gerade nicht festlegen, sondern entbinden, Geist und Herz in Freiheit. Dann würde ich in den Widerspruch geraten, dass ich zwar diese Freiheit möchte, aber auf dem Weg von Zwang, ungefragt, im Abbruch des Films und im Vorsetzen eines anderen Films. Schwierig. Ich fühle mich nicht wohl damit. Mich erinnerte Performanceart anfangs stark an Wallraff und Bells teilnehmend-soziologische Untersuchungs- und Experimentierattitüde, die andere nicht fragt, sondern einfach ungefragt zum Gegenstand von Untersuchungen macht, die Femen (Performance oder Aktion, Reaktion auf Aktion mit Gegenaktion?) usw. das alles hat mir zu viel mit Masken zu tun, beantwortet Unfreiheit mit einer anderen Form von Unfreiheit, achtet mir die Freiheit der Menschen zu wenig, kommt mir zu sehr mit der Moralkeule der Gegenmoral, die ich genauso ablehne wie die Kirchenmoral, weil sie für mich nur Spiegelbild zu Kirchenmoral ist in der Gegenwelt, ihre Attitüde im Grunde fortsetzt nur unter umgekehrten Vorzeichen. Konservative und GegenMoral lebt von Masken und Macht, die vorher nicht fragt, sondern aufzwingt: Aktion, Urteil und dem anderen nur noch die Möglichkeit zur Reaktion überlässt, die Reaktion wird dann Gegenstand der Beurteilung. Die Kirche urteilt, Wallfraff urteilt, Bell urteilt, die Femen urteilen von einer Instanz aus, in der andere zu einem Objekt werden, das nicht gefragt wird. Es werden Masken der Zuschreibung über das Antlitz gestülpt.

Performance trägt keine Masken. Ich bin ich in der Performance und Du bist Du.

Ist Performanceart eine Reminiszenz an den Wiener Aktionismus? Es bestehen Ähnlichkeiten, aber keine Übereinstimmung. Den Kulturlack abschaben, um das Anarchische vorzuholen? Aber vielleicht liebst Du Kultur, auch diesen Lack? Auch diese hauchdünne Linie… manchmal und manchmal nicht, aber nicht zwanghaft niemals.
Performances gibt es in allen möglichen Sparten (theatral, medial. musikalisch) und auch Spartenübergreifend! Ansonsten kann man diese Kunstrichtungen noch in Performance Art und Fluxus, sowie Happening und Aktionskunst unterteilen. Aktionskunst und Happening sind eher aus politischen Auflehnung und Protest entstanden, dort würde ich auch den Striptease der Femen verorten – im Protest. Während die anderen zwei Kunstformen( Fluxus, Performance Art) eher von Buddhismus, Meditation u.a. asiatischen Philosophien beeinflusst wurden. In dem Zusammenhang kann man die GUTAI-Künstler/innen in Japan ebenso wie John Cages berühmtes „11 Minuten-Stück“ (in denen absolut nichts zu hören ist) betrachten. Ebenso spielt die Meditation in der Lehre und in der Kunst von Marina Abramovic eine Rolle.
Mit der geladenen Waffe. Meditativ? Im Unterschied zu aktionistisch? Mit der geladenen Waffe am Rande der Selbstverletzung, nah der Gefahr andere zu verletzen? Und welcher Aktionismus? Schwarzkogler rebellierte gegen destruktive gesellschaftliche Zwänge, indem er den eigenen Selbstmord vorführte. Sarah Kane inszenierte ihren Suizid. Abramovic verletzte sich oft und nahm mehrfach real ihren Tod in Kauf. Wie weit geht der Wille zur Verletzung? Und auch weniger drastische Formen können verletzend sein. Jemanden mit Exkrementen zu bespritzen, dabei wird niemand körperlich verletzt, aber seelisch und gesellschaftlich beantwortet diese Form des Protests Zwang mit Zwang. Wenn ich meditiere überkreuze ich die Beine, da ist kein Zwang, sondern Befreiung, eins mit dem Atem und Selbst. Schmerz hingegen bedeutet im äußersten Punkt Dissoziation. Und im befreienden Handeln geht es für mich zunächst einmal darum die Freiheit zu achten, die Freiheit der anderen. Wo bleibt die Freiheit?
Das sind Extremformen. 11 Minuten Stille sind meditativ.
Können meditativ sein, können aber auch ein enormer Stress sein. Zur Meditation gehört mehr als nur Stille, Stille ist noch nicht einmal eine Bedingung, ich kenne ein Zendo mitten im Verkehrslärm der Stadt, dennoch meditieren Menschen dort. Aber wie definiert Abramovic das Meditative? Nicht ausweichen.
Jetzt willst Du Unausweichlichkeit, eine Antwort.
Welche Rolle spielt das zwanglos Zwanghafte?
Im Idealfall keine.
Also nicht notwendig in den Bestattungsladen gehen und nach dem eigenen Sarg fragen, erzählen, dass man/frau schwer krebskrank ist, obwohl man/frau gesund ist, aber man/frau ein Buch schreiben möchte über verdatterte oder hilflose Reaktionen unter der (gegen)moralisch moralischen Lupe und eine (gegen)moralische moralische Stellungnahme abliefern – wie Wallraff. Wallraff ist zwar kein Performancekünstler, aber ich sehe immer noch die Nähe. Er fragt niemanden vorher, überschreitet die Grenze zur Freiheit, indem er andere zum Untersuchungsobjekt seiner Investigationen erklärt. Und also, auch nicht zwanglos bezwingend in die Ecke pinkeln, um zwanghaft das Anarchische freizulegen wie im Wiener Aktionismus.
Was ist Performanceart dann?
Du bist einfach Du und ich bin ich – und in der Performance geschieht etwas mit uns.

„Ich trage keine Masken, spiele keine Rolle.“ Tina Stark.

Performanceart ist ehrlicher, weil der/die Performer/in auf keine/r übergeordneten Ebene steht, sondern Teil des Geschehens ist, Hingabe kennt, die Zuschauer/innen, sind keine Zuschauer/innen, sondern werden selbst zu Akteuren/innen und Performer/innen und die Performer/in zur Zuschauenden.
Dennoch bleibt das Moment der Unfreiheit, das Diskussionen auslöste. Was bleibt ist das konfrontative Moment.
Performance kann auch sehr sachte sein, berührend.
Ja, ich kenne auch zurückhaltende Formen der Performance, ich mag das Feine und Zurückhaltende an Yoko Onos Performances sehr, doch sie lädt ein. In der Konfrontation auf der Straße aber gibt es keine Einladung. Wobei Deine Performance im roten Kleid, obwohl sie auf der Straße konfrontierte, mit der Zurückhaltung spielte, die dem/der anderen auch in der Konfrontation noch Freiheit lässt, darin lag eine Faszination.
Das reicht nicht, meinte Tina. Was wenn man/frau den öffentlichen Raum ohne zu fragen und auch ohne einzuladen will, das Konfrontative will, Reaktionen provozieren will, man/frau nicht warten möchte, ob Menschen sich einladen lassen? Gedanken darüber, wie die Zuschauenden bei einer Performance reagieren könnten, gehören zu der Entwicklung der Performance mit dazu! Wenn ich mir als Performerin Handlungen verbiete, weil etwas eine bestimmte Reaktion eintreten könnte … Nun Reaktionen will ich ja! Im abstrusen Extremfall könnte selbst meine Präsens etwas Unangenehmes erzeugen. Im Extrem negiere ich mich komplett selbst aus Angst eine unangenehme Reaktion provozieren. Damit lasse ich allen anderen zwar alle möglichen Freiheiten – nur mir selbst nicht!
Du gehst am Kern meiner Argumentation vorbei. Dieser Paternalismus im Versuch Reaktionen zu antizipieren ist ein weiteres Moment, das etwas von der Offenheit nimmt, zumindest schon einmal Bahnen in Gedanken vorwegnimmt. Selbstverständlich kann auch abstrakte Kunst provozieren, unangenehme Gefühle auslösen, selbstverständlich negiert auch abstrakte Kunst nicht die Präsenz, auch wenn sie mit der Nicht-Präsenz spielt -- das meinte ich vorher mit der Analogie zur Musik, und mit der Auflösung des objekthaft Gegenständlichen spielt, keine Konkretion des Gegenständlichen kennt. Auch die Person des/der Künstler/in und des / der Rezipient/in verschwindet nicht, es ist eher der Wechselstrom zwischen Selbst und Nicht-Selbst wie in der Musik, die gerade deshalb ist, was sie ist, weil sie es auch zugleich nicht ist. Rhythmus und Töne, Musik ist Musik, weil sie zugleich ihre Abwesenheit kennt, im Schweigen, in der Pause, in der Unterbrechung. Im besten Fall können in der abstrakten Kunst eben gerade keine Reaktionen antizipiert und in die Entwicklung des Kunstwerkes einbezogen werden, weil Offenheit ist und alles, einfach alles darum geht, diese Offenheit zu lassen. Es macht für mich einen Unterschied, ob jemand zum Beispiel vor einer Farbfläche steht oder ungefragt mit etwas (zum Beispiel Farbe und im Extremfall mit Exkrementen oder Blut) bespritzt wird. Das eine achtet eine Grenze, das andere überschreitet sie ungefragt. Es macht für mich auch einen Unterschied, ob jemand die Form des Imperativs auch des körperlichen Imperativs wählt - und kreischend mit Aufforderungssätzen auf jemand zustürmt, der/die keine Möglichkeit zur Entscheidung hat, ob er/sie das möchte oder nicht. Oder ob jemand diskursiv argumentiert im Sinne des herrschaftsfreien Diskurses in der Philosophie. Ob man/frau die Form der Argumentation, die Freiheit achtet, oder der konfrontativen Provokation, die unausweichlich ist, wählt. Das heißt nicht, dass Philosophie oder abstrakte Kunst sich selbst alle Freiheiten nimmt, sie achtet die Freiheit von Selbst und der/des Anderen, kennt eine Grenze, wenn Argumente den/die anderen nicht ansprechen, zwingt sie nicht.
Nett, solange alles nett ist - und was ist, wenn etwas nicht mehr nett ist? Und lauten Protest und Wehren erfordert?
Wo wird Wehren selbst zum Zwang, kippt es selbst in die Gewalt? Die Gewalt der Selbstverletzung und die Gewalt, die andere Menschen verletzt? Und wo ist die Grenze zwischen beidem? Ich meine sie sind fließend, wenn jemand sich selbst verletzt, den eigenen Körper eröffnet, kann das auch andere verletzen. Oder wenn jemand sich nicht „nur“ selbst verletzt, sondern darüber hinaus sich wie Abramovic sogar von anderen brennen, schneiden und zerstechen lässt? Das alles macht etwas mit Menschen, überschreitet Grenzen hin zur Gewalt.
Das ist eine Seite von Performanceart. Performance kennt auch die Stille.
Welche Stille? Auch im Schmerz liegt eine stille Stummheit.
Auch Schmerz gehört zum Leben.
Buddha wollte den Ausweg aus dem Leiden. Aber Schmerz zu suchen? Leiden suchen? Wenn jemand Schmerz sucht, Schmerz als Erfahrung möchte, ist es wohl Teil seiner/ihrer Freiheit, das zu tun. Und was steht dahinter, der endlose Wiederholungszwang inszenierter Re-Traumatisierung? Und was ist mit den Menschen, die dem Geschehen nicht ausweichen können? Ungefragt hineingezogen werden? Jemand schneidet, brennt sich und es tut weh, obwohl man/frau nicht diejenige oder derjenige ist, die/der sich schneidet, brennt, es tut genauso weh. Ansonsten kenne ich aus der Religionsphilosophie noch die nicht selten schmerzhaften rites de passage und die auch oft schmerzhaften Initiationen der Schamanen/innen und Medizinleute. Dort ist allerdings ein Zusammenhang zwischen Schmerz und Aufgabe als Medizinmann bzw. –frau. Yurokmedizinfrauen nahmen beispielsweise den Schmerz von den Kranken, indem sie ihn auf sich nahmen, diese Fähigkeit lernen sie zuvor in einer Zeit der Zurückgezogenheit, in der Begegnung mit dem Schmerzgeist, der während eines Tanzes, in dem die Frauen Wunden erfahren, mehrfach von ihrem Körper Besitz ergreift, bis sie schließlich den Schmerz durch ihren eigenen Geist aufnehmen und gehen lassen können. Und auch Askese spielt eine große Rolle. Der Schmerz bereitet auf die Aufgabe vor, anderen helfen zu können. Auch hier wird er nicht gesucht. Kein Happening. Ich habe den Eindruck in der Aktionskunst geht es eher um das Demonstrative. Hungerstreik, nimmt Schmerz in Kauf zur Erreichung zum Beispiel politischer Ziele. Auch hier wird der Schmerz nicht gesucht. Ich sehe irgendwie den Zusammenhang nicht zwischen zum Beispiel den Formen Abramovic, die sich brennen, stechen und schneiden ließ und geladene Waffen neben sich legte, um zu warten, was passiert. Es fällt mir schwer darin nicht die Suche nach Leid und Schmerz zu sehen, sinnloses Leiden in Kauf zu nehmen. Nehmen wir an jemand hätte abgedrückt, vielleicht sogar unabsichtlich abgedrückt? Ich kann darin nur jede Menge sinnloses Leid erkennen, Leid das provoziert und riskiert wird. Ich finde es wichtig, gut mit sich selbst und anderen zu sein. Für mich überschreitet eine Kunst, die das Leben riskiert, Grenzen, die ich nicht überschreiten möchte. Wieso wählte sie keine liebevolle Kunst?
Hat sie doch auch. Sie hat auch andere, wenn Du so willst, liebevollere Formen gewählt. Sie legte sich zum Beispiel in eine Kiste, verkabelte sich über ein Mikrophon und über Lautsprecher mit der Außenwelt und onanierte.
Ah so, liebevoll. Sie hat es so auf die Spitze getrieben, dass sie anscheinend seelisch und körperlich an Grenzen stieß, zumindest gaben ihr Leute von außen Zuspruch, der ihr das Weitermachen einfacher machte. Überreizung bis zum Nicht-Mehr-Aushalten und fortfahren über die Schmerzgrenzen hinweg… hm…
Es gibt auch Performances, da berührt sie einfach nur sachte, laufen Menschen nackt über das Gras…
Die gibt es auch, aber eben auch die, die alle Grenzen überschreiten.
Manchmal ist es wichtig Grenzen zu überschreiten.
Aber nicht alle. Die Spuren von Schmerzgrenzen überschreitender Onanie mögen noch vergehen. Der Tod ist irreversibel. Da ist eine Grenze, die es zu achten gibt. Leben und Würde sind unantastbar.
Ich würde auch keine Performance machen, bei der ich Leben riskiere. Abramovic riskierte es. Würdest Du für jemanden aus Liebe Dein Leben geben?
Würde ich.
Worin liegt dann genau Dein Kritikpunkt?
Weil sie den Tod fast schon herbeiprovozierte. Wenn im Unterschied dazu beispielsweise in einem Land, in dem auf Ehebruch die Todesstrafe steht, Menschen sich dennoch lieben, ihr Leben für die Liebe riskieren, und die Konventionen brechen, sind sie bereit für ihre Liebe, ihr Leben zu geben. Ich sehe da einen großen Unterschied zu Abramovic Performance mit der geladenen Waffe. Abramovic spielte mit dem Tod, riskierte ihn. Die Liebenden erfanden die Konventionen nicht, die gegen ihre Liebe stehen, sie lieben sich, weil sie sich lieben, und nehmen die Gefahr auf sich für diese Liebe zu sterben, aber sie provozieren den Tod nicht.
Man muss Abramovic wahrscheinlich von ihrer Biografie her verstehen, wenn man die Strenge sieht, mit der sie erzogen wurde, wirft sie ihr Leben in die Waagschale, um sich gegen die Enge aufzulehnen.
Ob sie ihr damit entkommt? Oder sie nicht auch eine Form, eine andere Form der Enge manifestiert, auch Schock ist eine Enge?
Sie will schockieren, aber sie will Geist-Körper-Korrespondenz, an der Grenze, die von Schmerz markiert ist. Auflehnung und Enge liegen da vermutlich eng beieinander.
Ich möchte noch einmal zurück zu dem Punkt, den ich vorhin, ansprach. In der Religionsphilosophie wird stark unterschieden zwischen psychologischen Momenten wie beispielsweise jenem einer Retraumatisierung unter Wiederholungszwang (z. B. in der Selbstverletzung) oder wie beispielsweise des Weitertragens eines Traumas an andere und dem, was zum Beispiel Medizinleute während ihrer „Ausbildung“ tun, die im Beispiel zuvor genannte Yurok-Frau handelt nicht aus dem Zwang der Retraumatisierung, sie agiert auch nicht aus. Ich bin mir mach wie vor unsicher, wie ich Performances wie jene extrem schockierende von Abramovic verstehen soll. In einem Punkt bin ich mir aber sicher, ich lehne es ab, wenn andere verletzt werden, die nicht frei entscheiden können - Riten wie zum Beispiel Beschneidung, denen Kinder einfach ausgesetzt werden. Und Kunstformen, die anderer verletzen oder sie der Gefahr von Verletzung aussetzen, wie überhaupt alle Gewalt und Krieg.
Bin mir bei Abramovic auch unsicher. Und diese Grenze, andere nicht verletzen zu wollen, teile ich mit Dir. Mit Blick auf eigene Grenzen. In einer Performance aß ich eine Rose – mit Dornen. Im Vorfeld hatten viele Sorge – wegen der Pestizide, wegen der Dornen, wegen des holzigen Stils – und wie die sich im Magen-Darm-Trakt verhalten würden, evtl. Verletzungen auslösen usw. Mir ist nichts passiert. Allerdings schmeckte die Rose so bitter, dass mein Gesichtsausdruck beim Essen bewirkte, dass die, die mit mir performte wegsehen musste und ihr übel wurde.
Ich gehörte auch zu den Bedenkenträgerinnen, fand es beruhigend, dass Du es vorher vorsichtig ausprobiert hast. Vielleicht ist es egoistisch, aber ich möchte echt keine Freundin in einem Performanceakt verlieren. Information hilft, ich war beruhigt, nachdem Du erklärt hast, dass Du die Dornen und den Stil ganz zerkaust und es gibt Gartenrosen frei von Pestiziden, dass es dann doch eine vom Blumenladen mit Pestizidschwall wurde, fand ich zwar ungut, aber ich erfuhr es erst im Nachhinein und da Du beim Erzählen grinsend vor mir standst – ganz ohne Vergiftungssymptome, war doch alles gut. Nur für die Rose nicht.
Salat wird auch aufgegessen. Sogar Vegetarierinnen essen Salat.
Eigentlich sollte man/frau vielleicht auch keinen Salat essen, nur Früchte.
In der Praxis schwierig.
Tina und ich diskutierten Tage und Nächte, über die Gratwanderung zwischen konfrontativer Provokation und der Achtung von Freiheit, ohne dabei die Grenze der Freiheit in die Unfreiheit zu überschreiten. Wir diskutierten uns die Seelen weit. Wir entwickeln eine neue Form, eine Verbindung aus der Kunst des Teilens und Performance Art.
Wir suchten, lachten, stritten, weinten, fielen uns in die Arme und lachten und weinten, zum Beispiel als wir eines dieser Streitgespräche ungewollt mitten auf der Straße hatten und wir plötzlich selbst Teil einer Öffentlichkeit wurden, die wir unabsichtlich herstellten in der Leidenschaft und im Feuer eines Streitgesprächs, das uns unterwegs mitten auf der Straße überkam. Ungewollte Performance.
Die Performance als Teil der Kunst des Teilens und die Kunst des Teilens als Teil von [un]kollektiv.
Wie fanden wir zusammen, was trennt uns, was verbindet uns? Wir sind eine offene Widerspruchseinheit. Ganz im Sinne des Zens, das als Symbol den offenen Kreis kennt.
Was verbindet uns? Was trennt uns? Wo sind Brücken? Wo gibt es Flügelschläge, die zum Anfang eines Aufbruchs werden?
In der Philosophie bedeutet ein performativer Akt, eine sich erfüllende Handlung im Sprechakt. Philosophie, zumindest die westliche Philosophie lebt von Sprache.
Tina würde nun sagen Sprache braucht es nicht notwendig, sie kann, muss aber nicht Teil einer Performance in der Performancekunst sein.
Tina kommt von Seiten des Theaters und der Performancekunst, ich von der Sozialarbeit, Philosophie und Fotografie. Performance fragt nicht, sie ist da, wird dann erst zur Frage. Die Brücke?
Es gibt auch in der Sozialarbeit Komm- und Gehstrukturen. D. h. es gibt nicht nur z. B. Beratung, zu der Menschen kommen, sondern auch Streetwork. In der emanzipatorischen Sozialarbeit, die für mich stark durch Prof. Ulke geprägt war, der mich früh mit den Arbeiten von Sozialdemokraten wie Thomas Meyer und Philosophen/innen und Sozialarbeiter/innen wie Levinas und Silvia Staub-Bernasconi vertraut machte und alles, einfach alles um die Frage von Teilhabegerechtigkeit und Mitgestaltung geht und eine kritische Auseinandersetzung mit Macht, die Frage nach Freiheit und ihrer Achtung, spielt Befreiung eine große Rolle. Wo bleibt die Freiheit, wenn ich zum Beispiel als Sozialarbeiterin auf die Straße gehe – als Streetworkerin? Wir diskutierten damals in den Seminaren hochsensibel über die Frage nach der Freiheit. Wenn ein Ziel der Sozialarbeit Befreiung ist, wie kann Befreiung geschehen ohne Unfreiheit auszulösen, auch ohne sie abschnittsweise in Kauf zu nehmen auf dem Weg in die Freiheit? Der Extremfall einer Befreiung, die mit Zwang und Gewalt einhergeht, wäre die Revolution. Ist etwas wie friedlicher Wandel möglich? Ich meine ja. Wo beginnt Unfreiheit? Negiere ich Freiheit bereits zum Beispiel durch aufsuchende Sozialarbeit, durch Gehstrukturen, die aufsuchen, statt Kommstrukturen, die einladen? Ähnlich in der politischen Philosophie. Man/frau kann einen Text schreiben, Menschen entscheiden, ob sie ihn lesen möchten, sich ansprechen lassen möchten, der Text wird zu einer Frage, einem Diskursbeitrag, aber die Freiheit der Menschen bleibt geachtet, sie entscheiden, ob sie sich ansprechen lassen möchten oder nicht und wie ihre Antworten aussehen. Oder Fabrikhallen stürmen? Sabotage üben und eine Erklärung dazu abgeben? Ich glaube sehr an herrschaftsfreien Diskurs und an das Wort, weil es Freiheit achtet -- und dennoch etwas bewegen kann. Soweit meine Sicht.
Tina würde sagen, das reicht nicht, man kann nicht nur mit Argumenten im herrschaftsfreien Diskurs einladen und warten. Manchmal muss man etwas sehr laut sagen.
Diese Meinung teilen wir. Streit ist wichtig, auch lauter Streit. Hätte ich die Möglichkeit ein Waffensystem durch einen Sabotageakt unschädlich zu machen, würde ich es sofort tun. Müsste ich mich entscheiden zwischen einer Halle, in der ich viele Waffen unschädlich machen könnte und einem Gespräch mit Verantwortlichen in der Rüstungsindustrie oder Politik würde ich mich für das Gespräch entscheiden. Ich glaube tatsächlich, dass Worte mehr bewegen können als Sabotageakte. Es bewirkt mehr Menschen mit Worten und mit Argumenten zu erreichen und sie im Verstand und im Herzen für friedliche Wege der Konfliktlösung und für Frieden anzusprechen. Weil selbst wenn, man/frau alle Waffensysteme der Welt sabotieren könnte, wäre damit der Krieg nicht aus der Welt. Ich glaube tatsächlich mehr an Worte. Bedingt an Sabotage in Form von Sachbeschädigung – nämlich dort, wo sie Sinn ergibt – zum Beispiel im Unschädlichmachen von Waffen. Als reine Protestform (etwas zerstören oder kaputt machen, das gar keinen Schaden anrichten kann, aber in der Absicht zum Beispiel Protest Nachdruck zu verleihen, indem man/frau beispielsweise einen Park oder eine Straße verwüstet), würde ich Sabotage nicht wählen. Und Wege der Gewalt, die Lebewesen trifft, lehne ich kategorisch ab. Am meisten glaube ich an Worte.
Vielleicht setzt Du zu viel Hoffnung in Worte? Performance wartet nicht auf Antworten, sie provoziert Antworten, Performance arbeitet weniger mit Worten, mehr mit dem Körper und dem Tun. Gewalt wird nicht kategorisch abgelehnt. Gewalt, zumindest in Form von Selbstverletzung, kann eine Rolle spielen in der Performancekunst, auch die Verletzung anderer ist nicht völlig ausgeschlossen. Wenn jemand die Rasierklinge an Abramovic ansetzt, kann er/sie sie natürlich auch an sich selbst ansetzen und schlimmsten Falles an einem/r Passanten/in. Deine Kritik ist teilweise berechtigt, teile ich zum Teil, aus diesem Grund schließe ich bestimmte Formen aus. Die Performances, die ich mache, versuchen ein Verletzungsrisiko für andere auszuschließen, weil da auch eine Grenze für mich ist.
Wir fanden eine Brücke -- ähnlich wie es in der Sozialarbeit eine Gehstruktur gibt, die sensibel darauf achtet, Freiheit zu achten. In der Streetwork z. B. gibt es eine Ethik, die darauf achtet, dass man/frau für die Menschen da ist, aber nichts aufgezwungen wird, Freiheit geachtet wird, ist das auch in der Peformanceart möglich. Wie kann Performance Art das, wenn Menschen vorher nicht gefragt werden? Sie einfach in das Geschehen hineingeworfen werden? Irgendwann in den Diskussionen wurde uns, glaube ich, klar, dass wir uns sehr nah sind, intuitiv beide darauf achteten, Freiheit zu achten. Tina arbeitet sehr mit der Stille, sie wählt stille Formen. Ja, sie ist konfrontativ, sie liegt zum Beispiel im roten Kleid auf der Straße oder steht im Park und tut provokante Dinge, aber da ist eine große Stille und Zurückhaltung, eigentlich fast etwas wie Worte ohne Worte, eine Frage im Schweigen. Sie rennt nicht durch die Straßen, kreischt und bespritzt Leute mit Urin wie beispielsweise bei einigen Performance der Femen der Fall. Die Achtung der Grenzen des/der anderen bleibt und gerade dadurch verschwinden Grenzen. Tina macht weder sich selbst noch andere zum Objekt. Sie stellt eine Frage mit ihrem Körper. Uns wurde klar, dass wir intuitiv beide achteten, worüber wir diskutierten. In der Aktion von Performance und Fotografieren ergab sich von selbst, worüber wir später diskutieren. Sie, indem sie die „Performance Art – Die Stille im Ungewissen“ achtet, ich indem ich die Kamera nicht auf die Menschen draufhielt, sondern das Antlitz im Sinne Levinas achtete. Tina überfiel niemanden, sondern sie berührt im Stillen – öffentlich und fragt. Ich lieferte keine Bilderserie über Gesichter, die ich ungefragt einfing, sondern die Antlitze bleiben Geheimnis, eine Ahnung. Und die Rezipienten/innen der Fotografien? Sie sind selbst gefragt, sie bekommen keine Show, keine Schau – jede Form von Voyeurismus bleibt verwehrt. Es ist keine Vorstellung, keine Lieferung von Bildmaterial, das dazu verleitet über Menschen zu sprechen, sondern ein Diskursbeitrag, der den/die Betrachter/in den Mittelpunkt stellt,die Fotografien verweigern sich allem Voyeurismus, die Performance ist so fotografiert, dass der/die Rezipient/in die Performance selbst erlebt. Die Rezipienten/innen sind selbst gefragt, zum Diskurs eingeladen. Damit möchten wir Widerstand leisten in einer Welt, in der Gesichter und Geschichten zum Teil der Ökonomie wurden, auchin den Medien, die eigentlich Verantwortung hätten, die kapitalistische Ausbeutung zu kritisieren, statt dessen verkaufen sie Bilder und Stories, sie funktionieren nach der kapitalistischen Systemlogik. Wir möchten kein Teil des Systems sein, sondern Symbol. Auch etwas, das Performance und Philosophie verbindet. Ein Symbol, das ist für mich der Inbegriff der Offenheit. In der komparativen Religionsphilosophie spielen Symbole eine entscheidende Rolle, der Begriff Symbol bedeutet ein Teil, ein Bruchstück, das durch andere Teile der Ergänzung bedarf. Das griechische Wort „symbállein bedeutet das Zusammenbringen von Teilen. Sýmbolum, das war für die Alten Griechen etwas, von dem jede/r einen Teil in Händen hielt, die sich ergänzten und dadurch erst etwas wie Erkenntnis möglich machten. Symbole sind uneindeutig und haben Transzendenzcharakter. Ein/e einzelne/r kann das Rätsel um sie nicht enträtseln, aber auch dann, wenn Ergänzung geschieht und man/frau dem Rätselhaften näher kommt, bleibt das Rätsel. Symbole sind sinnliche, gehen über den Verstand hinaus, sind zugleich übersinnlich. Darin enthalten ist die Demut, dass nichts in der Welt für sich ganz ist. Für Schelling spielt das Symbol in der Kunstphilosophie eine Rolle, anders als bei Schelling würde ich sagen, dass die partielle Nichtübereinstimmung wie Hegel sie ausmachte entscheidend ist, das aber nicht (wie Hegel) als Makel sehen, sondern als das Spannende, weil es die Offenheit gibt. Es gibt keine Wahrheit. Alles ist offen, nichts für sich genommen ganz, alles ist auf Liebe und Ergänzung hin offen und bleibt unendliche infinitesimale Annäherung.
Performance hat auch viel mit Symbolen zu tun. Anders als in der Philosophie, in der beispielsweise bei Levinas et al. jede symbolische Vermittlung sich auf Worte, die Sprache bezieht, ist es in der Performance weniger die Sprache (oder nur sehr reduziert) und mehr die unmittelbare Körperlichkeit – oder wie es Tina ausdrückt: „Ich beschreibe mit meinem Körper Symbole“ und sie vermitteln sich körperlich.

Symbole sind also eine Gemeinsamkeit, eine Brücke.

Unsere Streitgespräche führten uns noch an eine Gemeinsamkeit zwischen Performance und der philosophischen und sozialarbeiterischen Kunst des Teilens. Authentizität. In der Sozialarbeit bedeutet Authentizität, dass man/frau ständig über Rollen kritisch reflektiert, man/frau darauf achtet, dass man/frau sich von keinen Rollen gefangen nehmen lässt -- was sehr leicht passieren kann, vor allem in der institutionellen Sozialarbeit, man/frau studiert Sozialarbeit, um Menschen zu helfen und wird später in eine Rolle gepresst, die Exklusionsverwaltung gleich kommt – man/frau also vom Staat eine Rolle zugeschrieben bekommt, die man/frau nie wollte (viele Juristen/innen und nicht Sozialarbeiter/innen arbeiten beispielsweise an den „Durchführungsanordnungen“ (schon das Wort allein ist grauenvoll und grausam) nach denen Sozialarbeit in vielen öffentlichen Einrichtungen zu geschehen hat und die oft weit entfernt von dem liegen, was die Sozialarbeit möchte: nämlich Befreiung und Emanzipation – einen Konflikt, in den viele Sozialarbeiter/innen hineingeworfen sind (durch die Institutionalisierung der Sozialarbeit), viele Sozialarbeiter/innen lehnen sich ihr ganzes Berufsleben dagegen auf, ich tue es, indem ich jenseits der Institutionen Projekte gründete, die offen sind… Authentizität in der Sozialarbeit bedeutet -- ein Klima herzustellen, bei dem Rollen aus einer kritischen Distanz heraus betrachtet werden, alle Beteiligten ehrlich bei sich selbst sind und von da aus sprechen und handeln und nicht aus Rollengefängnissen. Es bedeutet zum Beispiel auch zu erkennen, wo Übertragungen stattfinden und es zu verbalisieren und sie zu durchbrechen. Eine Übertragung geschieht zum Beispiel dann, wenn man/frau jemand anderes aus der Schablone heraus wahrnimmt, die man/frau durch Erfahrungen mit anderen Menschen geformt hat. Schablonen machen blind, man/frau sieht nicht den anderen, sondern durch die Brille der gesammelten Vorerfahrungen – mit der der/die andere gar nichts zu tun hat. Es geht darum Brillen abzunehmen. Es geht darum, bei sich selbst zu sein und beim anderen – authentisch.
Auch die Performance Art lehnt sich gegen Rollen auf. Sie grenzt sich vom klassischen Theater, das Rollen und Regieanweisungen kennt, ab. Tina beschreibt es in dem Satz „Ich spiele keine Rolle, trage keine Maske“.
Monika Hauser, die mit kriegstraumatisierten arbeitet, beschreibt sehr einfühlsam, wie es vielen Menschen ergeht, die traumatisiert sind. Zum ursprünglichen Trauma, kommen immer weitere Traumen, soziale und gesellschaftliche. Die veränderte Wahrnehmung, die durch die Traumatisierung ausgelöst wird führt dazu, dass die Traumatisierten als widersprüchlich wahrgenommen werden – als wenig verlässlich: „Gestern hat sie ihr Erlebnis so erzählt, heute erzählt sie es anders.“ (In: Chantal Louis 2008: Monika Hauser - Nicht aufhören anzufangen.) Es gibt keine feste Wahrheit. Ich finde auch hier liegt eine Brücke zwischen der sozialarbeiterischen Kunst des Teilens und der Performance Art. Die Kunst des Teilens möchte eine Plattform eröffnen, auf der Menschen für sich selbst sprechen können, es gibt auf dieser Plattform keine Wahrheit, nur unendlich viele widersprüchliche Perspektiven. Die Medien sind voller Urteile, Menschen schreiben über andere Menschen, dabei geht es immer wieder um „die Wahrheit“, aber „diese Wahrheit“ gibt es nicht, überhaupt schafft die Sicht, die meint es gäbe eine Wahrheit, Unrecht, denn wo es eine Wahrheit gibt, gibt es auch eine Unwahrheit. Aber es gibt überhaupt keine Wahrheit, sondern so viele Perspektiven auf die Wirklichkeit wie Menschen und weiter noch wie Lebewesen.
Tina wählte ein Zitat von Emily Dickinson, um Performance Art zu beschreiben:

„Tell all the truth but tell it slant - success in circuit lies”

Unsere Gemeinsamkeiten: Sich hinter keiner Maske verstecken, auch nicht hinter der Maske, der Doktrin der Logik. Ist es unglaubhaft, wenn Erzählungen sich permanent verändern? Nein. Weder Sozialarbeit noch Performance stellen Anforderungen an Konsistenz. Was Du in diesem Augenblick sagst, kann sich in einem anderen Augenblick verändern, weil Deine Perspektive sich verändert, weil weder Geist noch Herz starre und unbewegliche Objekte sind. Liebe verändert alles. Wie ist es, wenn Du neu verliebt bist? Vielleicht ist der gleiche graue Weg zur Arbeit ein anderer, aber nicht nur der Weg, vielleicht bist Du ein/e Andere, gewandelt.
Das ist noch eine Verbindung zwischen Performance Art und der Kunst des Teilens: Die Kunst des Liebens. Tina und mich verbindet Freundschaft, diese Freundschaft ist offen für Euch, lädt ein, teilzuhaben und mitzugestalten.
Im Buddhismus hat der Kreis der Liebe weder einen Anfangspunkt noch einen Endpunkt, er ist nicht geschlossen, er ist offen… Man/frau könnte auch sagen, Liebe beginnt ständig neu, pulsiert wie eine Quelle.
Performance und die Kunst des Teilens sind die Kunst des Liebens, damit ist keine kitschige Liebe gemeint, sondern eine echte Herausforderung, die über den Weg der Verständigung und Versöhnung Unfrieden überwinden möchte und Versöhnung und Frieden von einem Traum zur Wirklichkeit werden lassen möchte.
In der Performancekunst von Tina spielt ein Zitat von Erich Fromm eine große Rolle:

„Sie [die Menschen] müssen lernen, einander nahe zu sein, ohne gleich irgendwie wieder voneinander wegzulaufen, wie das gewöhnlich geschieht.Erich Fromm, Die Kunst des Liebens

Performance – und das bedeutet Du bist konfrontiert mit dem Anspruch der Liebe, ja Du kannst Weglaufen, Du bist frei, aber bitte laufe nicht weg, bitte liebe und liebe auch dort, wo es schwer ist, gerade dort wo es schwer ist – vergeben – for-give bedeutet die Kunst des Teilens, miteinander Liebe zu teilen, bedeutet sich verzeihen können und die Hoffnung auf Friede und Versöhnung in der Welt. Friede nicht länger als Traum, sondern als Wirklichkeit.
Liebe bedeutet auch seinen Standpunkt verlassen zu können:
Zwischenzeitlich hat Tina erste Erfahrungen in der abstrakten Fotografie und ich erste Erfahrungen in der Performance. Liebe heißt auch, das eigene Haus zu verlassen. Tina wird manchmal Fotografin, ich manchmal Performerin. Ich höre Tina gern zu über die Verwunderung und Freude an den Bildern, aber auch über die verflixten engen Grenzen der Kamera, die oft ganz anderes fotografiert als das, was sie ursprünglich sah und fotografieren wollte, sehe ihre Bilder in den Beschreibungen, Erzählungen mit Worten manchmal mehr als im Bild selbst. Mir werden dadurch Grenzen des Mediums Fotografie klar, Grenzen, die ich selbst nicht spürte, weil die Kamera meistens macht, was ich will, überhaupt werden mir die Grenzen der Fotografie klar, eine Offenheit entsteht, es ist ein bisschen so wie am Rand des Nestes zu stehen und dieFlügel auszubreiten, das Eigene zu verlassen. Tina von der Körperwelt in die abstrakte Welt der abstrakten Fotografie, ich von der abstrakten Welt der Fotografie, in die nahe Körperwelt. Sie musste schmunzeln über meine erste Erfahrungen einer gescheiterten Performance. Sie empfindet sie nicht als gescheitert. Ich war mit Wut konfrontiert, ohne jemanden wütend machen zu wollen. Jemand hat die Performance als Eindringen und Fremdkörper erlebt, und daraus keine Perle gemacht, sondern ich war mit einer ziemlich lauten Reaktion konfrontiert. Die leise und Stille Kunst der abstrakten Fotografie kennt solche Reaktionen nicht, weil sie Fragen stellt, Diskursbeiträge macht und Freiheit lässt. Nun war alles anders, ich war plötzlich ein Eindringling, die eine würdevolle Veranstaltung stört, sabotiert. Ich gewann in diesen Momenten aber auch Vertrauen in die Performancekunst, denn sie darf „scheitern“ – und sie ist ein Spiel mit Nähe und Distanz, Performance ist weniger distanzlos als ich dachte, ein Schritt zurück, in die Zurückhaltung ist immer möglich. Ich habe gespürt, dass ich die Grenzen von jemand verletzte, es tat mir in dem Moment sehr leid. Mein Medium ist das Wort, die Philosophie, ich möchte nachdenklich machen, Offenheit herstellen, keine Irrsinnswut auslösen, die Mauern aufbaut, ich möchte vom Wind erzählen, die Sehnsucht wecken und Mut machen, die Segel und die Flügel zu öffnen, aber niemanden hineinwerfen. Habe Mut die Flügel selbst auszubreiten und dahin zu fliegen, wohin die Sehnsucht trägt. Philosophie ist die Liebe zur Weisheit, nicht der Zwang zu irgendetwas, Philosophie atmet Freiheit. Ich merkte, dass diese Freiheit auch in der Performance immer möglich ist, auch dort ist der Schritt in die Zurückhaltung in die Epoché möglich, Wut muss nicht mit Wut beantwortet werden. Ich habe die Freiheit zu antworten wie ich möchte, Performance bedeutet eben nicht immer stärker auf Konfrontation zu gehen, Grenzen immer mehr zu verfestigen und ein falsches Spiel mit falschen Identitäten zu beginnen, indem man/rau sich über die verhärtenden Fronten definiert. Positive Identität lebt von dem, was sie ist, öffnet sich wie eine Blume, verströmt ihr Leuchten und ihren Duft. Über das Blumige und den blumigen Frieden wird oft gelacht, ich denke zu Unrecht, denn eine Blume ist, was sie ist. Sie blüht aus sich selbst heraus. Mir wurde in diesen Momenten auch klar, dass viele der Diskussionen, die ich mit Tina über Performanceart hatte, von einem falschen Bild, das ich von Performanceart hatte, herrührte, wir kennen vor allem die lauten Proteste der Femen. Performance bedeutet aber die Freiheit sich nicht auf diese Rolle festzuschreiben, sondern bei sich selbst zu sein, das zu tun, was sich in dem Moment authentisch anfühlt, zu seinem Wesen zu stehen. Wenn man/frau das Gefühl hat, jemand seine/ihre Grenzen überschritten zu haben, jemanden verletzt zu haben, kann man/frau den Schritt zurückgehen, es gibt keine Regel der immer weiter gehenden Konfrontation und Provokation. Man/frau kann jederzeit umswitchen und wieder zur Frage und Diskurs werden, die/der Freiheit achtet, nicht aufzwingt, vom Wort lebt und zum Denken und Fühlen einladen möchte. Sehnsucht wecken und Konfrontation können ein Spiel werden. Und vielleicht ist auch die scheinbar enge Welt der Kamera, gar nicht so eng, wie aus der Perspektive weg von der Performance hin zur Fotografie, den Weg den Tina ausprobierte. Fotografien, besonders abstrakte Fotografien „entkörperlichen“, damit verliert die Performancekünstlerin ihr wichtigstes Ausdrucksmittel – ihren Körper. Bilder sind (fast) körperlos. Ich glaube, das fühlt sich aus der Perspektive der Performance ähnlich bitter an wie ein Noli me tangere. Aber Grund aller Berührung ist die Nicht-Berührung. So wie die Luft den Vogel trägt.
Dort wo Berührung und Nicht-Berührung zusammenkommen, sich abwechseln treffen, begegnen Tina und ich uns, ereignet sich die Verbindung von Performanceart und Kunst des Teilens und wir möchten Euch einladen, denn unsere Freundschaft und unsere Form der Kunst ist offen – teilzuhaben und mitzugestalten.
Das Band zwischen Performanceart und der Kunst des Teilens besteht darin, dass es um mehr als um Kunst geht: um Authentizität: Spannt die Segel auf, bereitet die Flügel aus und fliegt mit uns!
Wir möchten Mut machen, Widersprüche zu überwinden, Mut machen sich Liebe zu trauen, einander zu vertrauen, wir glauben daran, dass so wir zwei scheinbar völlig widersprüchliche Kunstformen zu einer neuen Kunstform verbunden haben, auch Brücken überall dort möglich sind, wo Konflikte in der Welt sind.
Wir sind keine Künstler/innengruppe mit Programmschrift, wir zelebrieren nicht uns selbst. Wir gehen den Weg der Freundschaft und Liebe und tun dies offen. Freundschaft -- das ist Liebe und das ist Zoff. Der Stoff, aus dem die Kunst besteht, ist echt und will Echtheit. Die Kunst ist kein Produkt, kein Ergebnis einer Rollenkonstellation, sondern das bist Du, das bin ich…
Du, weil gefragt bist Du. Die Kunst des Teilens ist offen für Teilhabe und Mitgestaltung.
Performance, Musik, Fotografie, sie alle sind ein Teil und als Teil offen… …gefragt bist Du, mitzuwirken… …uns zu begegnen wie wir uns begegneten…
Eine Kunst, die dort beginnt, wo Du bist.
Welche Rollen spielst Du? Aus welchen Rollen möchtest Du ausbrechen?

"Liebe und tu was Du willst!" Augustinus.

Wer bist Du? Wer möchtest Du sein? Wohin trägt Dich die Sehnsucht?
Bringe Deine Gedanken zum Ausdruck – mit Worten und mit Deinem Körper.
Trau Dich bitte, vertrau den Menschen. Du liest gerade diese Zeilen und bist nicht Leser/in, kein/e Zuschauer/in, sondern Mitwirkende/r, wenn Du möchtest.
Daniela! Bevor Du jetzt an die anderen übergibst. Ich will aber Bilder, ich möchte Fotografien, ich möchte wissen, wie die Menschen schauen, reagieren, was sie tun – während meiner Performance, ihrer Performance… Wenn ich zum Beispiel auf dem Boden liege, kann ich es nicht sehen. Ich bin neugierig! Das hier ist noch nicht geklärt. Es geht in einer Performance um Beziehungen.
Beziehungen sind lebendig, die Fotografie kann immer nur Augenblicke einfangen, ich finde abstrakte Fotografie deshalb ehrlicher als konkrete Fotografie, weil sie gar nicht vorgibt etwas festzuhalten, das nicht festzuhalten ist…
Abstrakte Fotografie arbeitet mit Spuren, eine Spur enthält die Bewegung, die Offenheit, sagt mehr als ein glasklares Portrait einer Beziehung…
Beziehungen können aber auch sehr deutlich werden.
Das ist jetzt doppeldeutig.
Ich möchte das Deutliche.
Okay, vielleicht fotografieren, auch Menschen und Antlitze fotografieren – und sie fragen, ihnen die Möglichkeit geben -- zu entscheiden, ob sie ihr Bild löschen möchten oder nicht. So wären die Persönlichkeitsrechte gewahrt, Selbstbestimmungsrecht möglich und das Tabu gebrochen. und
und deutlich.
un/d/deutlich.
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Hier und im Film anbei sind wir in unseren klassischen Rollen. Tina Stark in der Performance Art und Daniela Waldmann in der Bildgebung. Ihr dürft gespannt sein auf das Spiel der Rollen, dazu irgendwann mehr.


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Vernissage: 21.03.2015 um 19:00 Uhr in der Lüderitzstraße 74 und 76, 12351 Berlin
Öffnungszeiten: 22.03. bis 27.03. von 17:00 – 21:00 Uhr
Finissage: 28.03.2015 um 19:00 Uhr
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