Diskurs und Kultur

online .............. Moderation aus Sicht der Medien und aus Sicht der Sozialarbeit.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Leider kann ich diesen Artikel nicht rein als fachlichen Beitrag schreiben, da ich auch Userin bin. Ich gebe mir Mühe, möglichst fachlich zu bleiben. Dieser Hinweis zu Beginn, damit klar wird, weshalb es kein rein fachlicher Artikel sein kann:

Hintergrund des Beitrags bilden Erfahrungen mit dem Bloggen:

Vermutlich haben viele ähnliche Erfahrungen gemacht, zum Beispiel als Troll bezeichnet zu werden, obwohl man/frau keine/r ist. Oder für eine andere Person gehalten zu werden, obwohl man/frau der Mensch ist, der man/frau ist. Vorwürfe man/frau sei ein/e andere/r Blogger/in, obwohl man/frau genau der Mensch ist, der schreibt und man/frau den Namen trägt, den man/frau im Profil nannte. Was soll man/frau dann machen - zu einer Passkontrolle antreten und Personalausweis vorlegen? Ausweis fotografieren und posten? Sinnlos, weil dann ginge es weiter, das Bild ist ein Troll. Besonders skurril, wenn solche Vorwürfe alle von Nicks kommen, also von Leuten, die nicht am anderen Tag bei der Arbeit damit rechnen müssen, dass Arbeitgeber/innen mal kurz googelten. Was kann man/frau tun, wenn verletzende oder beleidigende Kommentare den Thread fluten?

Vielleicht kennen manche das Gefühl:

Man/frau steckt viel Zeit und Liebe in einen Blog, setzt sich für Themen ein, die einem bedeuten, möchte vielleicht auch etwas bewegen.

Man/frau nimmt sich Zeit, macht sich Gedanken, schreibt sie auf für einen Blog, möchte etwas geben und hofft auf einen spannenden Diskurs, bei dem Menschen sich wechselseitig befruchten und dann:

Crash im Thread!

Es geht auch anders:

Was könnten wir alle tun -- für ein besseres Miteinander?

Diskurskultur -- wie ein Miteinander auch sein könnte:

Ich möchte einfach nur ein paar Ideen für mehr Diskurskultur beitragen aus Sicht der Philosophie und aus Sicht der Sozialarbeit, es wäre cool, wenn wir uns alle Gedanken machen würden, wie die Diskurskultur bei Freitag besser werden kann.

Man/frau kritisiert immer inhaltlich niemals die Person.

Eine Grundregel des philosophischen Diskurses, die nachweislich zu einer guten Diskurskultur beiträgt:

Zumindest erlebte ich es so: Weil ich in all den Jahren in der Philosophie vom Studium bis später zu Fachdiskussionen -- angefangen von der klassischen Logik, z. B. Syllogistik bis hin zur modernen Logik bis hin zu Seminaren über die Bewusstseins- und Mind-Frage usw., wo es inhaltlich echt heiß herging, nie erlebte, dass es eskalierte oder jemand persönlich als Mensch getroffen worden wäre. Diese Diskurse waren nicht lau, im Gegenteil es ging inhaltlich wie gesagt heiß zur Sache, aber eben auf der inhaltlichen Ebene und man/frau befruchtete sich wechselseitig in der Erkenntnis.

Ein Beispiel.

Es geht aber auch um eine inhaltliche faire Auseinandersetzung.

Zum Beispiel: gilt es als unfair eine/n Denker/in zu reduzieren – letzteres ist etwas, das in den Medien ganz oft passiert. In den Medien werden oft einzelne Zitate von Leuten zu Brandmarken, die sie nie mehr losbekommen, wenn Sie einmal im wahrsten Sinne des Wortes als Schlagzeile einem Menschen reduzierend zugeschrieben wurden. Ein solches Vorgehen würde in der Scientific Community nie geduldet werden, Denker/innen werden grundsätzlich von ihrem gesamten Schaffenswerk her interpretiert, ihre Entwicklungen werden gesehen (häufig wandelt sich das philosophische Denken im Laufe des Lebens, entwickelt sich, es gibt dann frühe und mittlere und späte Phasen usw.) in den Medien hingegen geschieht es Tag für Tag, dass Menschen auf eine Schlagzeile reduziert werden, mit der sie kaltgestellt und eingefroren werden für alle Zeiten. Die Medien haben etwas Unbarmherziges und Knallhartes, sie verzeihen so gut wie nichts. Philosophie: Es gibt philosophische Jugendsünden und reife Werke und einen milden Blick, es wäre schlimm, ein Großteil der Geistesgeschichte wäre verloren, würden Menschen dort miteinander so umspringen wie in den Medien manchmal mit Menschen umgesprungen wird. Jemand macht einmal eine Aussage, diese wird zur Schlagzeile und auf die wird er/sie ein Leben lang festgenagelt. Das wäre das absolute Aus aller Geistes- und Sozialwissenschaft und im Übrigen auch Naturwissenschaft, weil auch Naturwissenschaftler/innen Entwicklungen im Denken durchmachen.

Es gäbe mehr zu sagen zum philosophischen Diskurs, zum Beispiel wie man/frau Argumente aufbaut, Logik usw.

Zu den Motiven: es geht im philosophischen Diskurs darum: Erkenntnisse zu erlangen, nicht zum Beispiel darum: Märkte zu erschließen durch möglichst reißerische Schlagzeilen, Verkaufszahlen anzukurbeln wie in vielen Medien usw. Die Medien sollten anfangen, weniger an Märkten orientiert zu sein und mehr an Idealen und auch an der Liebe (weil Philosophie ist die Liebe zur Weisheit, sie hat einen liebevollen Blick, und KEIN kaltes und hartes Erkenntnisstreben, Philosophie hat die Liebe der Hebammenkunst in sich – die ersten Philosophen/innen sahen ihre Gesprächspartner/innen als Menschen liebevoll).

soweit Beiträge aus der Philosophie.

Beiträge aus der Sozialarbeit

Ich möchte einfach aus den vielen Dingen, die in der Beratungsarbeit oder in der Gruppenarbeit bedeuten, einige wichtige Punkte, die auch auf Zeitungsplattformen beim Bloggen und in der Moderation Sinn ergeben könnten herausgreifen:

Man/frau übt Kritik in Ich-Botschaften. Beispiel: Ich habe den Eindruck, dass Sie Ihre Aussage so und so meinten – ist das so?

Man/frau fragt nach Möglichkeit offen. Keine suggestiven Fragen, schon gar keine suggestiven Argumentationsmuster.

Es geht überhaupt um Offenheit. In der Sozialarbeit hat man/frau mit Menschen zu tun, die oft riesige soziale Aktenberge mit sich rumschleppen. In der Beratung erleben Menschen oft zum ersten Mal, dass sie nicht auf Ihre Vorgeschichte reduziert werden. Jede/r Tag ist ein neuer Tag. Menschen können sich neu erfahren. Es gibt zum Beispiel Menschen, die schon seit der Schulzeit immer in bestimmten Rollenklischees stecken, angefangen von Geschlechterrollen über soziale Rollen (wie Held/in, Sündenbock, Fürsorgliche/r, Witzbold/in, Draufgänger/in usw.) oder Rollen in der Aufgabenverteilung, eine gute Gruppen-Moderation hilft aus solchen Rollen auszubrechen.

Verzeihen. Es gibt Leute, die sich ein Leben lang nicht verzeihen und davon manchmal regelrecht krank werden -- Eltern und Kinder, Freunden/innen, Paare usw. In Gruppen können Dinge, die Menschen einander nachtragen, die ganze Dynamik zu bestimmen anfangen. Wenn man/frau dann in Gesprächen Dingen auf den Grund geht, dann sind es oft Dinge, die einfach in den verkehrten Hals kamen, Missverständnisse, Dinge die jemand sagte, anders meinte als sie ankamen – oder sogar über Dritte gesagt bekam, amend jede/r alles Mögliche übereinander denkt, nur die Leute nie alle an einen Tisch fanden, um Dinge zu klären. Es ist deshalb wichtig, dass Leute an einen Tisch finden - und statt übereinander zu reden, miteinander sprechen. Auch im Miteinander Sprechen gilt es, wirklich miteinander ins Gespräch zu kommen, keine Scheinkommunikation (die zu weiten Teilen im Denken über den/die andere abläuft). Es ist wichtig, nicht zu denken, was und wie es der/die andere gemeint haben könnte, sondern zu erfahren, wie es denn wirklich gemeint war. Moderation schafft ein Klima der Verständigung.

Konflikte lösen. Konfliktdynamiken erkennen und anhalten und konstruktive Dynamiken anstoßen. Z. B. durch einen Perspektivwechsel: auf eine konstruktive Ebene, welche Interessen spielen in den Konflikt hinein, wer hat welche Interessen und wie kann man/frau sie vermitteln, so dass die Interessen aller gewahrt werden. Vermittlung. (Nur ein Hauch und eine Ahnung in welche Richtung es gehen könnte, denn das Thema Konfliktlösungsverfahren füllt Bücherregale)

Diagnosen (veralteter Ansatz - kritische Sozialarbeit kritisiert diagnostische Wege, die am medizinischen Methodenset angelehnt sind), aber sofern sie noch relevant sind (im Kontext von Versicherung etc.) sind Prozesse, die von Fachleuten meist im Team gemeinsam mit den Betroffenen im Gespräch und in langen Prozessen erarbeitet werden. Sie sind niemals feststehend für immer, werden ständig neu verhandelt. Begriffe aus dem diagnostischen Bereich sind kein Schimpfwörterersatz für Blogs! Wer sich in Blogs als Hobby-Ferndiagnostiker/in (ein Unding) betätigt, sollte sich im klaren sein, dass es zu erheblichen Problemen mit z. B. Berufsverbänden führen kann. Menschen in sozialer und gesellschaftlicher Verantwortung: Juristen/innen z. B., Pädagogen/innen oder Hoschullehrer/innen z. B. und Menschen in sozialen oder psychologischen und medizinischen Berufsfeldern riskieren viel, wenn sie so in Blogs handeln.

Alle Ebenen sehen, nicht nur die Sachebene, die nur einen Bruchteil menschlicher Kommunikation und Interaktion ausmacht. Die Gefühlsebene, Beziehungsebene, Motivationsebene: was bewegt einen Menschen, was möchte er/sie bewegen, was ist der Appell in einer Aussage: Worte stehen nicht einfach so zufällig im Raum rum, warum schreibt jemand einen Artikel über z. B. Naturschutz, was möchte dieser Mensch mit dem Artikel aussagen und ggf. auch bewegen usw.

Moderation ist nicht gleich Moderation

Mir wird immer mehr bewusst, dass in den Medien ein komplett anderer Moderationsbegriff bedeutet als in der Sozialarbeit.

Es geht nicht um Talkrunden, sondern um Gespräche, um Diskurs:

In den Medien sprechen vor allem Repräsentanten/innen, die Moderation fungiert nach dem Prinzip Ausstechförmchen aus dem Teig. Es werden Aussagen der an der „Diskussion“ Beteiligten so herausgearbeitet, dass sie medienwirksam wirken, oft zum Nachteil der Inhalte und oft auch auf Kosten derer, die sich weder in den sogenannten Repräsentanten/innen repräsentiert sehen noch in den mediengerecht zusammenmoderierten Smalltalk Slogans.

In der Sozialarbeit sprechen Menschen für sich selbst. Moderation dient den Menschen und ihrer Verständigung.

Oft wird in Talkshows im Vergleich zur Sozialarbeit sogar diametral entgegengesetzt moderiert. Während Moderation in der Sozialarbeit Brücken baut, Verbindendendes, das Anfang einer Verständigung und Vermittlung werden könnte, herausarbeitet, wird in den Medien oft mit reißerischen Zuspitzungen und polarisierenden Begriffen auf maximal Zoff und Spektakel und Einschaltquote gesetzt. Gesellschaftlicher Beitrag ist das keine/r, aber die Medienleute gehen am Abend auch nach Hause und sind hinterher nicht als Hartz-IV-ler abgestempelt, wie sie es in ihrer Show mit Klischees betrieben, sie sind nicht die Kinder, die von Supernanny-Interviews am anderen Tag, das Nachspiel erleben, weil ihre Eltern am Vorabend einen schlechten Fernsehtrip hatten. Sozialarbeiter/innen erleben dann später die Auswirkungen in ihrer Arbeit, Kinder, die auf Medienrezepte hin von ihren Eltern gebrochen wurden (aber die im Fernsehen sagten, doch man/frau soll auf die und die Weise Grenzen setzen), Menschen in Armut, die mit den Klischees konfrontiert werden, die die Medien mit in die Welt setzen usw. und kaum mehr eine Chance bekommen (z. B. eine Erwerbsarbeitsstelle zu finden) aus der Armutsspirale auszubrechen, weil Klischees wirken. Usw. Soziale Bewegungen finden kaum oder gar keine Unterstützung in den Medien (z. B. sozialistischer Feminismus, diskutiert wird in den Mainstreammedien lediglich ein bürgerlicher patriarchaler Feminismus). Usw.

Es gäbe viel zum Thema Moderation zu schreiben. Einige wenige wichtige Punkte:

Es geht um einen Paradigmenwechsel in den Medien. Die Zukunft der Medien wird sich am Sozialen entscheiden. Die Medien sind keine Einbahnstraßen mehr. Rezipienten/innen sind nicht mehr passiv, sondern Mitgestaltende auf Augenhöhe. Es geht alles, einfach alles um die Moderation von sozialen Prozessen. Moderation nicht so wie es die Medien bisher tun, sondern so wie im sozialen Bereich: Es geht darum Brücken zu bauen, Verständigungsarbeit zu leisten, Konflikte zu lösen, zu vermitteln.

Auch Zeitungsplattformen werden moderiert: Wie könnte eine positive Entwicklung aussehen?

Strukturell von Seiten der Organisationsentwicklung her und sozial betrachtet:

So wie es bisher ist kann man/frau einen Kommentar oder Blog melden. Statt, was viel besser wäre: Moderation hinzuzuziehen.

Die Meldedynamik ist eine, die stark an Petzen und Aufsicht anrufen in der Schule erinnert. Entsprechende Dynamiken entstehen, das hat zum Teil mit der Community zu tun, aber auch zum Teil mit dem, wie was strukturell angelegt ist, wo Meldebuttons sind, statt Buttons, um die Moderation um Unterstützung und Vermittlung zu bitten, entsteht eine Dynamik von Oben und Unten, Aufsicht anrufen, die eingreift -- und nicht, was besser wäre: eine Dynamik von Vermittlung erbitten, eine moderierte Vermittlung, die offen gemeinsam mit den Betroffenen geschieht. In modernen Konzepten (angefangen von Schule bis hin zu Erwachsenenbildung) wird von Gleichheit und Augenhöhe ausgegangen, der/die Pädagogin ist keine Autoritätsperson, die angerufen wird: gelbe Karte zu zeigen, ggf. auch rote und in der Konsequenz möglicherweise auch sanktioniert z. B. sperrt. Sondern der/die Moderatorin moderiert wirklich, vermittelt, löst Konflikte – im Gespräch mit allen Beteiligten.

Kein Paternalismus, keine übergestülpten Maßnahmen, nach dem Motto dieses und jenes ist zum Besten der Person. Mit den Leuten sprechen!

Nicks und Trolls. Die Anonymität im Internet macht die Gestaltung von Gruppenprozessen nicht einfach, im wirklichen Leben begegnen Menschen Menschen und sprechen nicht durch Phantommasken zueinander.

Ich finde es ergäbe Sinn (das wäre technisch auch realisierbar, ist vermutlich aber zu teuer), die einzelnen User/innen entscheiden zu lassen, ob sie sich in das Haifischbecken der Nicks begeben möchten bzw. entscheiden zu lassen welche Nicks, sie zu Diskussionen zulassen möchten, oder wer lieber mit Menschen, die unter Klarnamen schreiben, diskutieren möchten. Wieso? Weil ein Machtgefälle entsteht zwischen Nick und Nicht-Nick-Leuten. Menschen, die unter Klarnamen schreiben, stehen öffentlich mit allem ein, was sie haben, Nicks bleiben anonym, hauen unter Umständen kurz wo kräftig rein (richten damit auch Schaden an, man/frau wird bei Bewerbungen auf die Internethistorie angesprochen) und die Nicks löschen ihr Spaßaccount ein paar Tage später wieder.

Ausgebildete Moderatoren/innen sollten mit Moderatoren/innen mit journalistischen Hintergrund zusammenarbeiten, es geht hier nicht nur um journalistische Aufgaben.

Moderation ist das Stiefkind der neuen Zeitungsplattformen (personell unterbesetzt usw.), sollte aber zum Herzstück werden, weil in Zukunft sozialer Journalismus entscheidend sein wird, sonst können die Leute auch bei nicht-moderierten Blogs schreiben, die sie selbst eröffnen. Der Benefit von Zeitungsplattformen wird der sein, dass es kein anonymes Bloggen ist, sondern ein Schreiben, bei dem Menschen Menschen begegnen, Diskurs im Netz moderiert wird und Diskurs jenseits des Netzes gelebt wird (keine Interview und Fragerunden, sondern wirklicher Diskurs).

Die Entscheidungen der Moderation müssen transparent sein. Derzeit werden teilweise einfach Maßnahmen ergriffen, die Leute wissen zum Teil weder warum, noch weshalb. Mindestens braucht es Emails mit Begründungen. Und Moderationsabteilungen brauchen ein Büro mit Telefon und Ansprechpartner/innen.

Ein Großteil der Konflikte in der Community haben nicht nur mit der Community zu tun, sondern auch mit ungelösten Konflikten, die über Jahre im Raum stehen. Eine Moderation muss geschult sein in sozialer Moderation und in Dinge wie Konfliktlösung, nicht nur in Journalismus. Es braucht Schulungen und ergänzende Stellen.

Vor allem: Einen Paradigmenwechsel in den Medien.

Viele Grüße

Daniela Waldmann

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ps

Dieser Beitrag gibt die Meinung der Autorin wieder. Die Autorin dieses Beitrags ist eine Frau, auch wenn in der Zeile darunter das Gegenteil behauptet wird. ;-)

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