Wozu Zen?

Interview: Ein Interview mit Prof. Stefan Bauberger über Zen…

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Prof. Stefan Bauberger SJ ist Physiker, Philosoph und Theologe, lehrt Naturphilosophie und trägt darüber hinaus Verantwortung für die Ausbildung der jungen Jesuiten, er gibt als Zen-Meister Kurse in christlichen Klöstern und buddhistischen Zendos und ist im Dialog zwischen Buddhismus und Christentum engagiert. Im Almtal erbaute er gemeinsam mit der Yoga-Lehrerin Claudia Müller ein Zendo und hält Zen-Sesshins.

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Wozu Zen? Wozu setzt sich ein Mensch mit überkreuzten Beinen auf ein Kissen, schweigt und starrt gegen die Wand?

Um ganz lebendig zu werden.

Dazu eine Erklärung: Fast alle Menschen, die ernsthaft Zen üben, tun es, weil sie merken, dass sie nicht anders können, ohne ihr Leben zu verfehlen. Was ihnen dabei an dieser Übung hilft lässt sich kaum in Worten ausdrücken. Ein traditioneller Ausdruck im Zen ist: Das Wahre Selbst zu verwirklichen, das ein Nicht-Selbst ist.


In Deinem Buch „Was ist die Welt? Zur philosophischen Interpretation der Physik“ zitierst Du Nagarjuna: „Sein oder Nichtsein / in den Dingen zu erkennen / wird jeden Narr / vom Frieden dieser Welt abtrennen.“ Was bedeutet Frieden im „Buddhismus“? -- Beziehungsweise anders formuliert „den“ Buddhismus gibt es eigentlich nicht, Nagarjuna z. B. gehört der Mādhyamika-Richtung an, aber gibt es etwas wie einen gemeinsamen Nenner in Hinsicht auf Frieden?


Mehrere Fragen hier: Buddhismus ist eine Religion, die sich auf den historischen Shakyamuni Buddha zurückführen lässt. Ob es "Den Buddhismus" gibt ist eine Frage, deren Antwort von der Perspektive abhängt, ebenso wie die, ob es "Das Christentum" gibt. Immerhin gibt es z.B. in Deutschland und Österreich buddhistische Dachverbände, die - bei aller Vielfalt der buddhistischen Schulen - sich gemeinsam als Buddhisten definieren.

Alle buddhistischen Schulen neigen - verglichen mit den abrahamitischen Religionen - dazu, den Frieden stark im Innern oder zumindest aus dem Inneren heraus zu suchen. Die Ursache ist - soweit ich es verstehe - eine Mischung von kulturellen Faktoren, die bei der Entstehung des Buddhismus mitgewirkt haben und von einer bestimmten weltabgewandten Ausrichtung des Buddhismus. Es gibt moderne Bewegungen im Buddhismus, die den Gegensatz von innerer und äußerer Befreiung überwinden wollen, die also die Ausrichtung auf Befreiung und Frieden ausdrücklich auch im äußeren Engagement suchen, entsprechend der umgekehrten Bewegung im Christentum hin zur Mystik. Shakyamuni Buddha hat selbst einmal, allerdings erfolglos, als Vermittler in einem Konflikt zwischen Fürstentümern gewirkt.

Kann Zen ein Beitrag zum Frieden sein?


Ja. Es kann auch ein Beitrag zum Krieg sein. Dann wird Zen missbraucht. Der inneren Wirklichkeit des Wahren Selbst, das ein Nicht-Selbst ist, entspricht der Friede. Aber keine Friedhofsruhe. Friede muss mit Gerechtigkeit und Wahrheit verbunden sein. Es kann auch zum Missbrauch von Religion werden, wenn sie es rechtfertigt, sich friedlich in eine Unterdrückung zu fügen oder eine Unterdrückung zu dulden.


Zazen bedeutet in Versunkenheit zu sitzen. Es gibt Kriege in der Welt, Hunger, Naturzerstörung…. ….ist es da aus ethischer Sicht zu vertreten seine Zeit sitzend auf einem Kissen (zafu) zu verbringen? Bzw. welche Bedeutung kommt dem engagierten Buddhismus zu?


Wer in rechter Weise aktiv sein kann, soll aktiv für das Gute und für die Wahrheit kämpfen. Das Sitzen ist ein Hilfsmittel.

Was passiert eigentlich beim Sitzen (zazen) genau?


Ausprobieren! Und: Es passiert jedesmal etwas Neues, wenn man in rechter Weise Zazen übt.

Was bedeutet Freiheit im Zen?


Innere Freiheit ist in erster Linie Freiheit vom Ego. Zum Ego gehören auch die internalisierten gesellschaftlichen Strukturen. Äußere Freiheit hat keine klaren Regeln. Sie kann in einer bestimmten Situation darin bestehen, sich in feste Regeln zu fügen, in einer anderen Situation kann sie bedeuten, dieselben Regeln zu durchbrechen.


Alles ist vergänglich – unser Leben, die Erde, die Sonne, die Sonnensysteme, selbst das Universum „stirbt“ irgendwann den „Kältetod“. Wenn alles der Endlichkeit unterworfen ist, ergibt es dann überhaupt einen Sinn von Befreiung zu sprechen?


Gute Frage! Darüber sollte jeder/jede Freiheitssucher/in selbst meditieren.

Wenn man/frau zum ersten Mal buddhistische Texte liest klingt das alles mehr als abenteuerlich, bei Dōgen z. B. heißt es, das ganze Universum hätte ihn im Erwachen bestätigt. So was könnte man auch als Trostsuche und Wunschdenken, Projektion und Weltflucht oder das berühmte religiöse Opium bezeichnen...


So kann man es sehen. Man kann es auch anders sehen. Der Blick für Transzendenz ist nicht objektivierbar.

Du schreibst in Deinem Buch: „Wege zum Herzensgrund“: „Wenn Gott die letzte Wirklichkeit ist, dann ist es nicht notwendig, den Gedanken ‚Gott‘ zu dieser Wirklichkeit noch hinzuzufügen.“ Im Buddhismus geht es um keinen Gedanken wie Gott – oder? Das Christentum hat sich viele Gedanken zu Gott gemacht. Die negative Theologie und christliche Mystik, versuchte darüber hinauszukommen, dennoch bestehen entscheidende Unterschiede zwischen diesen christlichen Richtungen und dem Zen. Die unio mystica und satori (Erwachen) haben Ähnlichkeit miteinander, sind aber auch verschieden, zu Anfang des Buches unternimmst Du einen Vergleich zum Bergsteigen, und schreibst das Gipfelerlebnis ist ein Verbindendes, ist zugleich eines das variiert je nachdem, auf welchem Weg man/frau zum Gipfel eines Berges gelangt (klettert, wandert etc.) …. Die Erfahrung der islamischen Sufis, der jüdischen Mystiker, der Yogis usw. Was können Religionen im Dialog voneinander lernen?


Das Wichtigste im Dialog der Religionen ist meiner Erfahrung nach, zu sehen, dass man mit den Anderen trotz aller Verschiedenheit tief verbunden ist. Wenn diese Verbundenheit spürbar wird, dann ist die Frage nach inhaltlichen Unterschieden und inhaltlichen Gemeinsamkeiten erst einmal ziemlich nebensächlich, sie entschwindet dem Bewusstsein, jedenfalls geht es mir so. Und dann gibt es natürlich eine Fülle an spannenden Diskussionen und Veränderungen der Religionen in der Begegnung. Die gab es übrigens immer schon. Heute wird die Herausforderung bewusster, weil es mehr Möglichkeiten gibt.


Prinzipiell steht Frauen der buddhistische Weg gleichberechtigt offen, mit Jesus zogen Frauen und Kinder, in der Nachfolgefrage Mohammeds spielte eine Frau eine große Rolle, es gibt sufistische Mystikerinnen, im Hohen Lied der Liebe erscheint Sulamith als Suchende wie der Hirte, im Hinduismus gibt es viele weibliche Göttinnen, er lebt von erotischen Bildern, die weibliche Göttin Shakti (die Kraft) wird z. B. oft im Liebesakt mit dem männlichen Gott Shiva (dem Gütigen) vorgestellt. Faktisch sieht das anders aus, sind Frauen in fast allen Religionen bis zum heutigen Tag Benachteiligte. Sind die traditionellen Religionen aus feministischer Sicht hoffnungslos verloren? Sollte man/frau nicht gleich besser die alten Traditionen hinter sich lassen, um einen religiösen-feministischen Neuanfang zu setzen? Oder besteht Hoffnung auf Wandel?


Das ist eine schwierige Frage. Es gibt darauf nur pragmatische Antworten, und die sind immer fehlerbehaftet. Also: Was auch immer man tut, es wird falsch sein. Nichts zu tun ist aber noch schlechter. Ich selbst setze zumindest jetzt auf den möglichen Wandel. Ich habe Verständnis, wenn sich jemand anders entscheidet. Ich habe aber noch keine konkrete Alternative kennen gelernt, die mich überzeugt hätte.


Ich erlebte Deine Sesshins so, dass Frauen ganz selbstverständlich gleichberechtigt sind, Du hast eine Frau, Franziska Achatz, zur Meisterin ernannt, Claudia Müller baute mit Dir im Almtal ein Zendō auf und erweitert das christlich-buddhistische Repertoire mit Yoga-Kursen und Engagement für Naturschutz. Zugleich bist Du Jesuit, gehörst der Societas Jesu an - in diesen Orden können keine Frauen eintreten, die Societas Jesu ist Teil der katholischen Kirche, die Frauen vom Priesteramt ausschließt usw. Wie verträgt sich das? Was müsste passieren, dass die katholische Kirche Frauen gleichberechtigt anerkennt?


Leider schließt die katholische Kirche Frauen vom Priesteramt aus. Die Gründe, die in offiziellen Papieren genannt werden, habe ich im Theologiestudium geprüft und sie überzeugen mich in keiner Weise. Leider ist es so, dieser Ausschluss ist eine große Wunde für die katholische Kirche. Es bleibt die Hoffnung auf Veränderung.



Die feministische Lackmustestfrage: Wie ist die Arbeitsteilung im Almtal-Zendō zwischen Frauen und Männern?


Noch nie hat im Almtal-Zendo eine Frau mit einer Kettensäge gearbeitet. Wenn eine kommt, die das kann und will: Gerne!

Wie würdest Du die Rolle der chinesischen Pai-lien-tsung (Gründer Mao Tzu-yüan) während der Bauernerhebung und Rebellion bezeichnen?


Darüber weiß ich zu wenig, um etwas Sinnvolles sagen zu können.

Hierzulande schlug Luther sich auf die Seite der Obrigkeit und ließ Thomas Müntzer, Gaismair und die Bauern im Stich, die r.k. Kirche stand für Feudalismus und Monarchie - während Jesus selbst mit den Herrschenden seiner Zeit in Konflikt geriet und provozierte, wo er stand und ging. Inwieweit repräsentieren die hierarchischen Macht-Kirchen überhaupt die Anliegen dieses Menschen, der von Freiheit und Liebe sprach?


Religionen sind, wenn sie mächtig werden, wie alle Institutionen missbrauchbar und werden missbraucht. Die Aufgabe von religiösen Menschen ist es, immer wieder die ursprüngliche Inspiration wieder zu entdecken und beleben, gegen jeden Missbrauch. Einfacher geht es nicht. Auch gesellschaftliche Befreiungsbewegungen rutschen immer wieder in Missbrauch ab (siehe Kommunismus). Wenn man sich für nichts engagiert, was missbrauchbar ist, dann kann man nur noch als Einsiedler auf sein Lebensende hoffen.


Er sagte seinem Jünger, er solle das Schwert zurückstecken, er hatte die Vision der Bergpredigt -- einer Gesellschaft der Sanftmütigen. Ein schöner Traum, wann und wie wird er sich verwirklichen lassen?


Jetzt und nie.

Die Rolle der Jesuiten ist extrem undurchsichtig einerseits stand der Orden dem Papsttum und dem Feudalismus nahe, andererseits geriet er in Konflikt mit der klerikalen und weltlichen Obrigkeit. Kann man das Verhältnis von reaktionären und fortschrittlichen Kräften während der Ordensgeschichte irgendwie fassen oder ist das selbst einem Internen, der die Ordensgeschichte im Detail kennt, unmöglich? Auf mich als Außenstehende wirkt es undurchschaubar, der Orden, überhaupt die r. k. Kirche wirkt nicht transparent. Ich weiß, Du wirst antworten: Kirche, das sind die Christen/innen weltweit. Schön wär es, kann ich dazu nur sagen. Weil da ist auch diese straffe, patriarchale und hierarchische Ordnung einer r. k. Machtkirche, die alles andre als herrschaftsfrei ist.


Es gibt in der Geschichte des Jesuitenordens große Linien, deren ein ist, dass der Orden nach seiner Wiedererrichtung erst einmal sehr der Institution verpflichtet war, was reaktionären Kräften Vorschub gab. Es hat einige Zeit gedauert, bis das wieder in eine gewisse Ausgewogenheit geführt hat. Jetzt gibt es beides im Orden.

Das Zweite Vatikanum war für viele r. k. Christen/innen eine Hoffnung. Auch der derzeitige Papst ist für viele r. k. Christen/innen eine Hoffnung, aber es scheint dennoch nicht so, als dürfte man/frau über Gesten hinaus auf grundlegende Reformen hoffen – oder?

Wie lange es noch dauert bis grundlegende Reformen kommen, weiß ich nicht. Ich hoffe aber darauf.

Ich stell mir gerade Prof. Keller vor, ein verstorbener wittgensteinscher Sprachphilosoph, der Hochschule für Philosophie SJ. Er war der Technik sehr zugetan, vor allem Motorräder haben es ihm angetan. Mit Brillen nahm er es weniger genau, lange Zeit hatte seine nur ein Glas, das schien ihn nicht sonderlich zu stören. Ich stell mir vor, wie er draußen auf den Gartenstühlen des kleinen Cafés bei der Hochschule sitzt, und sinniert: Motorräder sind eine sehr praktische Sache, man kann alles Mögliche darauf mitnehmen …………… Pause …………. er verschwindet hinter einer dichten Wolke aus Havana-Zigarren-Qualm (Murmlen und Raunen) ……….. Pause, die Wolke gibt ihn frei, er lacht über beide Ohren: z. B. Philosophiebücher, räusper, die Bibel. Er ist vor ein paar Jahren verstorben kurz nachdem er seinen eigenen Nachruft verfasst hat mit dem Titel: „Auf geht’s!“ Das heißt man/frau kann nur phantasieren: Prof. Keller SJ: Das Internet2.0 …… Havanaqualm …. der Rauch bleibt…. ist so eine Sache, man weiß nicht …. immer noch mehr Rauch….. ob sie uns mitnimmt oder wir sie? Der Rauch verzieht sich …. ? …. Was hältst Du von Netzfreiheit, Stefan? Der Begriff wurde von Netzphilosophen/innen viel diskutiert. Aber die Frage ist, gab es diese „Freiheit“ je, kann es sie in der Gesellschaft wie sie ist überhaupt geben? Das Internet ist kein Ort jenseits kapitalistischer und militaristischer Strukturen. Der Begriff Netzfreiheit klingt außerdem wie ein Widerspruch in sich selbst? Und überhaupt steht ein verkürzter Freiheitsbegriff dahinter? Man/frau setzt sich auf ein Motorrad und fährt das Ding, man/frau schaltet den Computer ein und geht ins Internet, das voller Eigendynamik steckt. Man/frau stellt das Motorrad ab, und der Motor ist aus, man/frau drückt am PC den Off-Button, aber es bleibt Teil des Lebens, hat Rückwirkungen auf das reale Leben. Was bedeutet Netzfreiheit und ist Freiheit nicht erst etwas das jenseits des Netzes beginnt?


Das ist kein Thema, mit dem ich mich ernsthaft beschäftige. Ich benütze das Internet und hoffe, dass es noch möglichst lange nicht zu sehr von den Krakenarmen des Kapitalismus aufgesogen wird. Zum Glück gibt es da eine Menge Akteure aus dem wissenschaftlichen Bereich, vor allem in den Naturwissenschaften, deren Einfluss dadurch erhalten bleibt, dass ihre Beiträge zur (freien) Software notwendig sind.

Welche Bedeutung hat Natur in diesem Zusammenhang?


In diesem Zusammenhang???

In die Natur gehe ich, um sie genießen und mich zu erholen. Die Natur ist auch ein großer Lehrmeister der Spiritualität.


Vielen Dank, lieber Stefan, für das Interview.

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Links:


http://herzgrundschule.de/main.shtml

http://almtalzendo.at/

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Freue mich auf Eure Kommentare und Gesprächsbeiträge. Das Projekt interreligiöser Dialog wird weiter gehen, nach und nach zu einer Diskursplattform über Religionen ausgebaut. Hier und im neuen Blog: http://www.liberte-egalite-amitie-et-paix.blogspot.com Ich hoffe auf Eure Mitgestaltung, und dass es ein Diskursprojekt wird, bei dem sich spannende Gespräche entwickeln, sich Menschen begegnen und etwas bewegen.

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Dieses Interview wurde von keinem Autor verfasst, sondern es waren zwei Menschen beteiligt, von denen eine Person männlich, die andere weiblich war. Auch wenn in der Zeile darunter das Gegenteil behauptet wird. ;-)


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