Ausgangssperren für Deutschland

Der Gesetzesentwurf Corona Notbremse

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Die Bundesregierung hat eine „Corona Notbremse“ als Gesetzesentwurf vorgelegt, so soll ab einer 7-Tage-Inzidenz von 100, also 100 Covid-Infektionen je 100.000 Einwohner, in einem Kreis oder einer Stadt, ein harter Lockdown gelten. Dieser beinhaltet neben der Schließung von Geschäften, Restaurants und Hotels, Freizeit- und Kultureinrichtungen aber noch weitere einschneidende Maßnahmen. Bislang beschlossen Bund und Länder in den Ministerpräsidentenkonferenzen die weiteren Maßnahmen, die dann von den einzelnen Ländern noch umgesetzt werden mußten. Dem Kanzleramt waren die bisherigen Verordnungen der einzelnen Bundesländer nicht konsequent und hart genug. Allerdings ist die deutsche Demokratie nicht umsonst über den Förderalismus zusätzlich „gewaltengeteilt“ abgesichert. Er verhindert alleiniges, undemokratisches Regieren eines Staatsoberhauptes, in diesem Fall der Bundesregierung respektive Bundeskanzlerin und wurde nicht umsonst nach den Erfahrungen von 1933-45 installiert. Dieser Mechanismus ist durch das neue Gesetz komplett und bewußt außer Kraft gesetzt, da die Regelungen dann automatisch greifen und nach dem neuen Gesetz in den Ländern direkt umzusetzen sind.

SPD und CDU bringen den Entwurf als „4. Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“(1) in den Bundestag ein, in der nächsten Woche soll das neue Gesetz schon beschlossen werden. Die Linke, FDP und AFD haben sich bereits gegen das Gesetz positioniert, es ist also fraglich, ob sich dafür eine Mehrheit findet. Würde man das Gesetz als Änderung des Grundgesetzes interpretieren, wäre sogar eine 2/3 Mehrheit des Bundestages notwendig. Die vielzitierte „Formulierungshilfe“ der Regierung an die Fraktionen ist dabei ein kleiner Kunstgriff um das Gesetzgebungsverfahren zu beschleunigen. Hätte Merkels Kabinett das Gesetz direkt eingebracht, müßte es zuerst an den Bundesrat gehen, der in der Regel 6 Wochen Zeit für Prüfung und Änderungsvorschläge hat. Wenn eine Fraktion einen Gesetzesvorschlag einbringt, wird er direkt im Bundestag beraten, normalerweise in drei sogenannten Lesungen.

Die Maßnahmen, die dann greifen, werden als Paragraph 28B in das Infektionsschutzgesetz implementiert, neben anderen restriktiven Maßnahmen sind auch Ausgangssperren bundesweit 21.00 bis 5 Uhr früh vorgesehen. Woher kennt man solche Ausgangssperren? Beliebt und probat sind sie bei autoritären Regimen oder Militärdiktaturen. Sie dienen dazu, die Bevölkerung zu kontrollieren. Sie behindern Kontakte und Kommunikation und sind deshalb zur Sicherung autoritärer Herrschaft geeignet und sie werden dann massiv von Polizei und gegebenenfalls auch Militär kontrolliert. In einer Demokratie reibt man sich eher verwundert die Augen.

Was bringen denn solche Ausgangssperren gegen die „Corona-Welle“? Virologe Hendrik Streeck sieht darin keinen Nutzen, er befürchtet sogar eine Verschlimmerung der Lage. Aus den Zahlen des RKI geht hervor, daß die zunehmenden Infektionen im Niedriglohnbereich zu verorten sind. Da diese Menschen kleine Wohnungen haben, geht er davon aus, daß die Infektionen mit einer Ausgangssperre sogar zunehmen werden, er spricht sich für das Gegenteil aus: Freiräume im Außenbereich, wie Sportplätze oder gut gelüftete Sporthallen zum Treffen für die Menschen.

Und der juristische Aspekt? Wen könnte man besser fragen, als Ferdinand Kirchhof, emeritierter Jura-Professor und Ex Vize-Präsident des Bundesverfassungsgerichtes. Sein Urteil fällt vernichtend aus. Ausgangssperren sind in keinster Weise verfassungskonform. Sie verletzen das Recht auf Freizügigkeit, das Recht der Menschen in einer Demokratie sich frei bewegen zu können. Außerdem bemängelt er die fehlende Einbindung des Bundestages. Dieser beschränkt sich während der Pandemie im wesentlichen auf die Feststellung eben jener „pandemischen Notlage“ und ist im Anschluß nicht mehr beteiligt. Staatsrechtler Kirchhof sieht Ausgangssperren als letztes Mittel, „wenn alle anderen Mittel ausgeschöpft sind“, was nach seiner Auffassung aber nicht der Fall ist. Genau aus dem selben Grund haben viele Gerichte bis dato die Ausgangssperren wieder „gekippt“, wen einzelne Kreise diese beschlossen hatten.

Die Sperren entsprechen eigentlich einem Hausarrest, also einer abgemilderten Gefängnisstrafe. De jure darf eine Strafe nie härter ausfallen als ihr Gegenstand und sie muß sich gegen den Verursacher, im Jargon der Exekutive: „Gefährder“ richten. Begründet wird das Ganze mit feiernden Jugendlichen oder anderen Personen. Dann muß die Strafe sich gegen die Feiernden richten und nicht gegen die ganze Zivilgesellschaft, quasi als Sippenhaft. Angemessen wäre vermutlich ein, auch recht hohes, Bußgeld wegen der Gefährdungslage.

In der Diskussion haben sich auch Aerosol-Forscher zu Wort gemeldet. Da es als Konsens gilt, daß sich das Coronavirus vornehmlich über Aerosole verbreitet, wäre ihrem Wort also besonderes Gewicht beizumessen. Der Aerosol-Forscher und Ex-Präsident der internationalen Gesellschaft für Aerosolforschung Gerhard Scheuch warnt davor, Menschen mittels Ausgangsbeschränkungen in viel gefährlichere Innenräume zu verbannen. Die Ausgehverbote zwischen 21 und 5.00 Uhr seien fachlich gesehen, kontraproduktiv. "Wenn wir Ausgangssperren verhängen, dann suggerieren wir der Bevölkerung: Achtung! Draußen ist es gefährlich. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Wenn die Leute in Innenräumen bleiben, dann ist es gefährlich." Deshalb haben die Wissenschaftler zum Thema auch schon einem offenen Brief an die Bundes- und Landesregierungen geschrieben (2).

Joggen mit Maske, gesperrte Parks oder ein Verbot, abends noch auf einen Spaziergang oder eine Zigarette aus einer möglicherweise beengten Wohnung heraus an die frische Luft zu gehen, seien "absurde Maßnahmen".

Nach bald 1 ½ Jahren Verboten sind die Menschen müde von immer härteren und nicht verständlichen! Maßnahmen. Sie schwanken zwischen Verzweiflung und Hoffnung. Wenn die Politik die Bürger noch ein letztes Mal motivieren will, bis zur Impfung durchzuhalten, dann geht das nur auf Augenhöhe, mit sinnvollen, erklärten Maßnahmen. Wissenschaftlich untermauert und begründet. Weitere und mehr Verbote „von oben herab“ ergo „ab morgen habt ihr Ausgangssperre“ werden das Gegenteil bewirken. Wenn die Bundesregierung unbedingt ihren Gesetzesentwurf beschlossen haben will, gehören zumindest die Ausgangssperren gestrichen.

(1) https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/284/1928444.pdf

(2) http://docs.dpaq.de/17532-offener_brief_aerosolwissenschaftler.pdf

update 21.04.: die „Corona Notbremse“ ist vom Bundestag heute mit 342 Ja-Stimmen zu 250 Ablehnungen beschlossen worden. 64 Abgeordnete haben sich enthalten. In zweiter Lesung hatten Union und SPD dafür gestimmt, Linke, FDP und AFD dagegen, die Grünen hatten sich enthalten. Die Regelungen können ab Samstag greifen, wenn sie morgen den Bundesrat passieren. Der Bundespräsident muß das Gesetz noch verkünden.
Nach heftigen Protesten ist die Ausgangssperre um eine Stunde auf 22.00 – 5.00 Uhr früh gekürzt worden. Außerdem dürfen Jogger alleine bis 24.00 Uhr die Freiheit genießen. Der ursprünglich anvisierte Wert einer Schulschließung bei einer Inzidenz von 200, wurde auf 165 verschärft.
Mehr als 8000 Gegner der Maßnahmen demonstrierten nahe dem Reichstag, auf der Straße des 17.Juni. Reichstagsgebäude und Brandenburger Tor waren weiträumig abgesperrt. Die Polizei untersagte die Demonstration.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Daniel Jens

Daniel Jens studierte ursprünglich Kunst. Reisen und Tourneen bis nach Südamerika, Iran und Indonesien schärften den Blick auf die Welt.

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