Heute war ein schöner Tag

Sonderschule Der Alltag

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Claudia ist Lehrerin an einer Sprachheilschule. Das Wort Sonderschule ist etwas aus der Mode gekommen, es klingt auch ein bisschen nach Stigma. Die Sprachschwierigkeiten der Kinder haben verschiedene Ursachen, manchmal liegen sie auch einfach darin, daß für die Eltern Deutsch nicht die Muttersprache ist. Außerdem ist die Sprachschwierigkeit nur die Spitze des Eisbergs, die Kinder haben auch andere Probleme. Aber Claudia liebt ihren Beruf, daß hat sie lange nicht so richtig erkannt. Aber irgendwann wurde ihr klar, daß sie mit Ihren Kollegen den Grundstein für eine Entwicklung und die Bildung der Kinder legt und wenn sie dann mal ältere Schüler wiedersieht, die ihre ersten Jahre bei ihr gelernt haben und mittlerweile „etwas geworden sind“, dann ist sie doch ein bisschen stolz. Außerdem lieben die Kinder sie, alle kommen gern in die Schule und sind sehr froh, daß jetzt wieder Unterricht stattfindet. An der Sprachheilschule unterrichten sie die Klassen 1-3, die Kinder bekommen noch keine Noten. Die meisten Kollegen finden das auch gut so, es gibt weniger Konkurrenz unter den Kindern. Außerdem wäre es gerade bei ihren Kids schwierig, ein adäquates Benotungssystem einzubringen, zu unterschiedlich sind die Voraussetzungen. Das heißt nicht, daß gute Leistungen nicht mit einem lachenden Gesicht unter der gelösten Aufgabe belohnt werden können. Bildung ist Ländersache, deshalb kann das in jedem Bundesland etwas anders gehandhabt werden. Selbst in Berlin-Brandenburg ist zum Beispiel jül und jabl möglich, dabei sind das keine neuen Mitglieder der Sesamstraße, sondern „jül“ für jahrgangsübergreifendes Lernen, an Grundschulen der Klassen 1-2, oder wie bei Claudia 1-3, „jabl“ ist die traditionelle, jahrgangsbezogene und (getrennte) Form der Schulklassen-Unterrichtung. Zum Glück sind an Sonderschulen die Klassenstärken weitaus geringer, also ein anderer „Betreuungsschlüssel“, maximal 15 Kinder und neben der Lehrerin gibt es noch eine Erzieherin in der Klasse. Das muß auch sein, denn wie bei Claudia sind z.B. in solchen Klassen auch mal zwei Autisten dabei und die können durchaus den ganzen Unterricht torpedieren, da springt dann die Erzieherin ein. Liebenswert sind sie alle, manchmal sehr anstrengend, die ungefilterte Wahrnehmung eines Autisten ist dafür oftmals mit einem ganz speziellen Interesse kombiniert. Etwa 10% der Autisten haben sogar eine ausgesprochene Inselbegabung. Einer von Claudias Autisten, wir nennen ihn mal Patrick, sammelt z.B. den ganzen Tag Insekten und wenn eine Spinne an der Decke des Klassenzimmers hängt, ist zumindest für Ihn der Unterricht komplett vorbei, dagegen hilft erstmal gar nichts. So läuft das mit der ungefilterten Aufmerksamkeit. Es kann auch sein, daß lauter Käfer aus Patricks Hosentasche entwischen und die Mädchen kreischen, weil es überall krabbelt. Irgendwann hat man dann alle wieder eingesammelt und mit geduldigem Zureden, können vielleicht sogar die Überlebenden in die Freiheit, nach draußen, entlassen werden. Dafür hat Patrick z.B. einen extrem ausgeprägten Hang für Schönheit in der Natur, bewundert einen Zweig, oder eine Blume und sagt den anderen Kindern wie schön die Blume ist oder auch ein Gemälde. Er liebt Malerei.

Eine Mama, die in einem Supermarkt arbeitet, hat mit ihren Kollegen Osterkörbchen für die Kinder vorbereitet und weil das Wetter so schön ist, versteckt Claudia mit ihren Kollegen die Körbchen draußen auf der Wiese. Die Kinder sind ganz schön aufgeregt und haben dann viel Freude am Suchen. Patrick wirft leider dabei einen Ast in die Luft nach einem Käfer. Natürlich knallt ihm das Ding auf den Kopf, als die Schwerkraft ihr Unwesen treibt. Er hat eine Platzwunde auf der Stirn und blutet stark. Die Erzieherin verarztet ihn und spricht ihm Trost zu, denn er ist am meisten über sich selbst sauer. Er weint und schreit und ärgert sich das er „so dumm“ ist. Ein bisschen hilft die Geschichte, die die Lehrerin ihm erzählt. Sie sagt: „Allen Kindern passiert so was“, als Kind ist sie einmal durch ein altes Schuppendach gebrochen, weil sie überall rumklettern mußte. Aber heute war dafür ein schöner Tag und herrliches Wetter.

Claudia sitzt manchmal das ganze Wochenende oder zumindest den Sonntag und schreibt Unterrichtspläne für jeden einzelnen Schüler, die sind so unterschiedlich, da kriegt jeder seine individuellen Förderaufgaben. Sie denkt sich Spiele oder Geschichten aus, die z.B. die verschiedenen Buchstaben einführen oder die Kinder basteln etwas, was zum Lernstoff passt. Eigentlich will die Bildungspolitik, diese Kinder in normale Klassen integrieren, das nennt sich dann „Inklusion“. Einen Autisten in einer Klasse mit normaler Stärke, so 26 Kinder und dann nur ein Lehrer, viel Spaß! Bislang hat der Direx die Schließung noch verhindern können.

Seit etwa 2 Jahren hat ein Umdenken eingesetzt, Inklusion ja, aber trotzdem sollen „Förderzentren“ bestehen bleiben und auch unterstützt werden. In Deutschland gibt es lt. GEW über eine halbe Million Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Claudia sagt: „Man hat immer Angst, daß Inklusion der Kinder, also die Integrierung in normale Klassen, eigentlich nur als Sparmodell genutzt wird.“ Per se wäre eine Inklusion von Kindern mit Beeinträchtigungen eine gute Sache, aber es ist nicht für alle Kinder möglich, einige haben einen zu großen und speziellen Förderbedarf. Außerdem steht und fällt eine gelingende Inklusion mit der Ausstattung der Schule, neben Materialien und Räumen vor allem mit der personellen Ausstattung und speziell sonderpädagogischer Kräfte. Naja, Schulen haben halt keine Lobby, damit kann niemand so richtig Geld verdienen. Der Bildungsetat lag 2020 bei 18,3 Mrd., wie auch schon 2019, für die Rüstung werden 50 Mrd. ausgegeben, Tendenz steigend, gesellschaftlich eindeutig die falsche Priorität.

Aber heute ist ein schöner Tag, die Kinder hatten viel Spaß und haben Neues gelernt. Und morgen wird es auch wieder schön, denn Claudia liebt ihren Beruf und die Kinder auch.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Daniel Jens

Daniel Jens studierte ursprünglich Kunst. Reisen und Tourneen bis nach Südamerika, Iran und Indonesien schärften den Blick auf die Welt.

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden