Die traurigste Ballade des Jahres

Eurovision Norwegen schickt mit "A Monster Like Me" eine zeitlose, düstere Ballade zum Eurovision Song Contest und bringt das Orchester wieder auf die große Bühne.

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(Oslo) Kjetil Mørland und Debrah Scarlett haben den norwegischen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest mit dem Song "A Monster Like Me" gewonnen. In einem Herzschlagfinale setzten sie sich gegen den Song "Thunderstruck" des früheren Castingshow-Gewinners Erland Bratland durch. Die hochfavorisierte Spaßnummer "En godt stekt pizza" (deutsch: Eine leckere Pizza) von Staysmann & Lazz landetete auf dem dritten Platz.

Die Norweger verehren ihren Melodi Grand Prix so wie ihre Fjorde. Seit 1960 wird der norwegische Vertreter des Eurovision Song Contest beim Melodi Grand Prix gewählt. Der Melodi Grand Prix, das war klassische, spießige TV-Unterhaltung. Jahrzehntelang hatte sich der Melodi Grand Prix kaum verändert. 1999 krachte es dagegen gewaltig: Der norwegische Rundfunksender NRK verzichtete auf ein Orchester beim Melodi Grand Prix, da beim Eurovision Song Contest kein Orchester mehr zugelassen war. Man war in den 90ern den folkloristischen Wellness-Balladen überdrüssig, die den Eurovision Song Contest überfluteten. Tanzbare Popmusik brauche eben ein Tonband und kein Orchester, so der Tenor.

Jetzt also im Jahre 2015 konnte man seinen Ohren kaum trauen, als das hauseigene Rundfunkorchester des norwegischen Fernsehens die Eurovision-Hymne Te Deum anstimmte, während ganz Norwegen gebannt vor dem Fernseher sitzt und den Melodi Grand Prix schaut. Erstmals gab es wieder ein Live-Orchester. Norwegen, so könne man lästern, habe zu viel Geld. Dahinter steckt aber mehr, nämlich ein Anstoss, der vielleicht den Eurovision Song Contest verändert.

Lesen Sie hier mehr über die Teilnehmer des Melodi Grand Prix und welche Rolle Dschinghis Khan spielte.

Elf Teilnehmer gab es dieses Jahr beim norwegischen Melodi Grand Prix. Auf ein Halbfinale hat man dankenswerterweise verzichtet. Dafür setzte man eine Jury ein, die sich durch 800 Beiträge durchkämpfte. Herausgekommen ist eine musikalische Mischung, die selbst zwar nicht sehr innovativ ist, aber auch nicht zu trashig wirkt.

Den musikalischen Höhepunkt setzten zweifelsohne Mørland und Debrah Scarlett, die bei ihrer hingebungsvollen Ballade "A Monster Like Me" das gesamte Orchester einsetzten und auf Effekthascherei verzichteten. es gab kein Feuerwerk, keine Windmaschine, kein Herumgehampel. Mørland ist ein norwegischer Sänger, der in London wohnte und schon mit Künstlern wie Jamiroquai zusammenarbeitete. Debrah Scarlett hat ihre Wurzeln in der Schweiz, wo sie mit ihren Eltern lebte. Beide standen für dieses Musikprojekt erstmals zusammen auf der Bühne.

Bei den Schlagerlegenden Elisabeth Andreassen und Tor Endresen unterstützte ein Chor mit über 100 Schülerinnen ihre Friedenshymne "All Over The World", was ihnen immerhin einen vierten Platz bescherte. Für Prinzessinen-Kitsch sorgte Alexandra Joner, die nicht nur verdächtig nach Rihanna aussah, sondern ihren Song "Cinderella" auch so sang. Bei Jenny Langlos "Next To You" wehte ein kalter Hauch von Lana Del Rey durch die Halle.

Dem norwegischen Fernsehen gelang eine skandalfreie und wegweisende Unterhaltungsshow. Die Moderatoren Silya Nymoen und Magnus Bergh hatten den Abend fest im Griff. Sie eröffneten die Fernsehshow mit einer Hommage an Dschinghis Khan, dem deutschen Beitrag von 1979. auch das entpuppte sich ein passender Griff in die Mottenkiste des Schlager Grand Prix.

Haushoher Sieg fürs Orchester

Zum Erfolg trug das NRK-Rundfunksorchester bei. Es stützte, wo es sinnvoll war. Es fehlte, wo man es nicht vermisste. Pop und Orchester, das steht nach diesem Abend fest, ergänzen sich doch, wenn man es richtig einsetzt. Es sieht ganz danach aus, dass die Wiedereinführung des Orchesters dem NRK geglückt ist. Alle vier Bestplatzierten nutzten das Orchester, obwohl die Künstler es nicht einsetzen mussten und gewohnt weiterhin Musik vom Band laufen lassen konnten. Der Zuschauer hat sich ihr eindeutig für das Orchester entschieden und es zum heimlichen Gewinner erkoren.

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Geschrieben von

Daniel Koch

Schreibt über den Eurovision Song Contest, die Teilnehmer, die Länder und die TV-Shows

Daniel Koch

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