"Ein neuer Stefan Raab wäre genial"

Interview Buchautor Mario R. Lackner glaubt, dass man den Eurovision Song Contest gewinnen kann, wenn man einige Grundsätze beachtet. Im Gespräch verrät er seine Erfolgsformel.

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https://grenzlanddemokratie.files.wordpress.com/2014/10/sp-langau_mario1.jpgDaniel Koch: War der Eurovision Song Contest für den ORF ein Erfolg?

Mario R. Lackner: Durch und durch - mit kleiner Fußnote. Der ORF sendete mit seinen zahlreichen Kooperationspartnern ein attraktives, weltoffenes Wunschbild von Österreich in die Welt, das mit Sicherheit einen höchst positiven Eindruck beim Millionenpublikum hinterlassen hat. Die sowieso starke Tourismuswirtschaft der Alpenrepublik darf also mit einem zusätzlichen Boost rechnen. Finanziell gab es auch eine erfreuliche Überraschung: Executive Producer Edgar Böhm strich erst kürzlich bei meiner Buchpräsentation hervor, dass die Produktion sogar unter den veranschlagten Kosten blieb! Und jetzt die kleine Fußnote: Als Gastgeber null Punkte für den Beitrag "I Am Yours" zu kassieren, ist halt nicht gerade das Gelbe vom Ei.

Koch: Haben die Österreicher die Null-Punkte-Schmach längst vergessen?

Lackner: Vergessen hat das keiner - weder der ORF noch sein Publikum. Das verstärkt leider nur Österreichs ambivalentes Verhältnis zum Song Contest. Mit einer wettbewerbsfähigeren Komposition wäre es nie zu den 0 Punkten gekommen, auch nicht, wenn sich das Wertungssystem näher an der Realität bewegen würde. Würden nämlich nicht nur die Top Ten einer jeden nationalen Jury und des Televotings Punkte bekommen, dann wären Österreichs Makemakes - zurecht - nicht dermaßen weit hinten gelandet. Selbiges gilt für Ann Sophie aus Deutschland. Wenn schon 0 Punkte, dann für den Beitrag, der wirklich auf dem letzten Platz gelandet ist, oder?

Koch: Hierzulande findet man keinen ESC-Beitrag in den Charts.

Lackner: Dass es Songs ins Radio schaffen und dort so lange gespielt werden, bis sie einem gefallen und gekauft werden, liegt nicht in erster Linie an deren Charttauglichkeit sprich Beliebtheit bei der Masse. Das entscheidet die dortige Redaktion und/oder eine mit der Erstellung der Playlist beauftragte Firma. Estlands "Goodbye To Yesterday" und einige andere Beiträge des Jahrgangs haben großes Hitpotenzial - es wird komischerweise von den Radiostationen der am ESC teilnehmenden Rundfunkanstalten nicht ausgeschöpft.

Koch: Stefan Raab war mit Guildo Horn, Max Mutzke, Lena und Roman Lob beim ESC und in den Charts immer unter den Top 10. Auch die Gewinner von Raabs Bundesvision Song Contest haben durchweg gut sich im deutschen Musikmarkt bewährt. Ein Zufall?

Lackner: Wenn im Entscheidungsprozess von der Sichtungsphase wettbewerbsfähiger Songs und Sänger*innen bis zur Umsetzung eines passenden Showkonzepts eine Person - im besten Fall ein kontinuierlich im Dialog befindliches Duo oder Trio - mit Gespür für den ESC das letzte Wort hat, ist es kein Wunder, wenn das schlussendliche Song/Singer/Show-Paket weiter vorne landet. Wer das große Spiel ESC genau beobachtet, erkennt unweigerlich seine ansonsten unsichtbaren Spielregeln und Gesetzmäßigkeiten. Stefan Raab ist so ein genauer Beobachter und Kenner der Materie. Für Deutschland, aber auch Österreich und die Schweiz wäre ein neuer Stefan Raab genial, denn das unabsichtliche Verfeuern großer Talente müsste nicht sein.

Koch: Was macht der NDR falsch?

Lackner: Der NDR macht das, was die meisten aktiv am ESC teilnehmenden TV-Stationen machen und daher keine nachhaltige Erfolgsbilanz aufweisen können: kein fachkundiges Personal in das verantwortliche Projektteam einflechten, das sich bereits ab dem Montag nach dem letzten Song Contest mit dem Schnüren eines neuen Song-Singer-Show-Pakets beschäftigt. Wer in Sachen ESC als "fachkundig" einzustufen ist, ist halt so ein Ding.

Koch: Stefan Raab zieht sich aus dem Fernsehgeschäft zurück. Wer könnte für ihn einspringen und Deutschland wieder unter die Top 10 bringen?

Lackner: Oliver Rau und ich sind während unserer fast 80 Interviews für unser 580-Seiten-Mammut über zwei, drei "Wissende" gestolpert. Wäre ich NDR-Fernsehdirektor, würde ich mit denen auf einen Kaffee gehen, bei dem sie mir ein Konzept skizzieren, das nicht nur Erfolg verspricht, sondern auch unnötige Projektkosten eindampft.

Koch: Was zeichnet einen erfolgreichen ESC-Beitrag aus?

Lackner: Das ist anhand der Beispiele "Rise Like A Phoenix", dem "Hard Rock Hallelujah" der finnischen Monsterrocker Lordi und Deutschlands Siegertitel "Satellite" im Hinterkopf schnell erklärt: 1. eine Sänger*in oder Band, die voll und ganz im Song aufgeht, sprich Lied und Text nicht nur interpretiert, sondern verkörpert. 2. eine Komposition, die unter anderem sofort ins Ohr geht, vordergründig nicht zu komplex oder überraschend ist und in ein zeitgeistiges Arrangement eingebettet ist. 3. eine Show, die das alles angemessen vermittelt.

Koch: Der ESC findet 2016 in Stockholm statt. Was erwartet uns bis zur nächsten Live-Show?

Lackner: Nachdem der Televoting-Sieger Italien im Endklassement nur dritter geworden ist, könnte es sein, dass das Wertungssystem reformiert wird. Jetzt über den Sommer wird weiter spekuliert, welche Länder nach einer gewissen Pause wieder zum Contest zurückkehren werden. Da tippe ich mal stark auf die Ukraine und die Türkei. Deutschlands ESC-Fanclubs verkürzen uns die Wartezeit mit großartigen Konzerten ehemaliger ESC-Teilnehmer*innen: EC Germany am 14.11.2015 in Köln u. a. mit Roman Lob und Katja Ebstein und OGAE Germany am 23.1.2016 in München. Ich freue mich schon auf das 60-Jahre-Jubiläum. Das schwedische Fernsehen SVT wird das brillant umsetzen - jetzt brauchen wir nur noch tolle Songs und schon kann Europas größte Party wieder steigen! Wir haben sie gerade in Tagen wie diesen als verbindendes Element zwischen den Nationen nötiger als je zuvor.

Mario R. Lackner ist Buchautor und schreibt u.a. über den Eurovision Song Contest. In seinem Buch "Friede, Freude, Quotenbringer #60JahreSongContest" präsentiert er Interviews und Geschichten über den Eurovision Song Contest.

Mario R. Lackner, Oliver Rau: Friede, Freude,Quotenbringer#60JahreSongContest; edition innsalz; ISIN 978-3902981578.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Daniel Koch

Schreibt über den Eurovision Song Contest, die Teilnehmer, die Länder und die TV-Shows

Daniel Koch

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