Germany’s Next Conchitas

Kultur In Deutschland hält sich die Euphorie gegenüber dem Eurovision Song Contest in Grenzen. Das könnte sich mit vier starken Frauen ändern

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Nach dem furiosen Sieg beim Eurovision Song Contest ist es zunächst um Conchita Wurst etwas ruhig geworden. Zwar hat man Conchita bei dem ein oder anderen Christopher Street Day gesehen und im Herbst kam dann noch eine Single heraus. Doch dann war man bei Jean-Paul Gautier, Karl Lagerfeld und sogar bei der UNO, dem Europäischen Parlament und durfte sogar auf den roten Teppich bei den Golden Globe Awards und plötzlich sprechen selbst die Journalisten in den Vereinigten Staaten von dem österreichischen Star mit dem Bart; die Marke Conchita Wurst strahlt einfach perfekt, was sie zu einer Botschafterin für Toleranz und Frieden macht. Das überschattet sogar die hohen kommerziellen Erwartungen. Die Verkaufszahlen von „Rise Like A Phoenix” sind ernüchternd. Es reichte nur für Platz 5 in den deutschen Media Control Charts. Ganz anders der niederländische Beitrag von der Bluegrass-Band The Common Linnets, der auf einen höchst verdienten zweiten Platz landete. Alleine in Deutschland verkaufte sich „Calm After The Song" über 150.000 mal (Gold-Status!). Auf ein Album von Conchita warten Fans vergeblich. Es heißt, man will sich in Ruhe zusammensetzen und darauf konzentrieren wirklich gute Songs abzuliefern. Immerhin erhält Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest in Wien eine tragende Rolle im Backstagebereich. Sie darf während der Show die Musiker befragen und ihnen ein gutes Gefühl vermitteln. Bis dahin ist ja noch viel Zeit, um ein grandioses Album abzuliefern.

Die Vorbereitungen für den Eurovision Song Contest in Wien laufen auf Hochtouren. Erste Bilder von der Bühne wurden bereits veröffentlicht. Für das Bühnenbild hat man Florian Wieder beauftragt. Der Bühnendesigner hatte schon die Bühne für den Eurovision Song Contest 2011 in Düsseldorf entworfen. Diesemal sollen sich gigantische Lichtsäulen wie ein Auge um die Bühne legen und das Motto „Building Bridges” (deutsch: Brücken bauen) darstellen. Im Boden und hinter der Bühne werden unzählige LEDs angebracht. Die Fans sind außer sich und loben durchweg den Designentwurf.

Keine Euphorie in Deutschland

In Deutschland hält sich die Euphorie für den Eurovision Song Contest spürbar in Grenzen. So richtig Spaß macht es ja nur, wenn man gewinnt. Die Deutschen sind einfach erfolgsverwöhnt. Das sieht man in anderen Ländern natürlich anders: In Skandinavien, im Balkan und im Baltikum hat der Eurovision Song Contest eine große Fangemeinde. Thomas Schreiber, Unterhaltungschef des NDR, träumt davon, dass auch hierzulande sich wieder die TV-Zuschauer sich für den Eurovision Song Contest wieder begeistern lassen und die internationalen Stars von Morgen beim Vorentscheid am 5. März in Hannover entdeckt werden.

Kürzlich gab der NDR die 7 Teilnehmer bekannt, die bereits direkt für den Vorentscheid nominiert wurden: Zu denen zählt Voice Of Germany Gewinner Andreas Kümmert (der Mann mit dem Rauschebart und der unverwechselbaren Soulstimme) und Laing (ja, die Mädels mit den Stehlampen).

Laing sind nicht unbekannt. Sie haben schon beim Bundesvision Song Contest in Berlin mit einer Coverversion von Trude Herrs „Ich bin morgens immer müde" mitgemacht und landeten auf dem 2. Platz. Seitdem hat die Frauencombo aus Berlin um Nicola Rost mit „Paradies Naiv” und „Wechselt die Beleuchtung” bereits zwei Alben herausgebracht. Die Mischung aus Elektropop und zeitgeistigen Texten in Deutsch überzeugt. Vor allem mit ihren süffisanten durchdachten Texten (wer sich schon mal in Kreuzberger Bars getummelt hat, wird den Song „Safari" lieben) sind sie eine der Leuchtfiguren (Achtung: Wortspiel!) der deutschsprachigen Musikszene.

Weiterhin im Rennen sind das Folkduo Mrs. Greenbirds und Faun (eine Band, die sich im Nischenbereich des Mittelalter-Folks bereits erstaunlich gut etabliert hat), Sängerin Alexa Feser und die DJs Noize Generation und Fahrenhaidt. Viele Fans haben sich gefragt, warum denn nur 7 Künstler teilnehmen. Man wolle, so heißt es, auf Qualität statt auf Quantität setzen. Ein achter Teilnehmerplatz ist übrigens noch unbesetzt. Er wird bei einem Konzert mit Nachwuchskünstlern in Hamburg in der Großen Freiheit 36 am 19. Februar (live um 22 Uhr im NDR) vom TV-Zuschauer festgelegt.

Kommt das Orchester wieder?

Schaut man in andere Länder, so tut sich einiges: In Norwegen wird beim Melodi Grand Prix am 14. März (so heißt der norwegische Vorentscheid) erstmals wieder ein vollständiges Orchester wie in guten alten Zeiten eingesetzt. In Albanien, in Italien, sogar in Mazedonien gehört das Orchester mittlerweile zum Standardrepertoire beim nationalen Vorentscheid. Seit 1999 verzichtet man beim Eurovision Song Contest auf ein Orchester mit der Begründung, dass es zu teuer ist und dass sich die Hörgewohnheiten der TV-Zuschauer geändert haben. Nach dem Conchita Wurst mit einer voll orchestrierten James-Bond-Hommage beim Eurovision Song Contest gewonnen hat, scheint sich dieses Argument von selbst aufgelöst zu haben. In Wien wird es leider kein Orchester geben, aber die Renaissance des Orchesters hat erst angefangen und sie scheint unaufhaltsam voranzuschreiten. Es wäre eine musikalische Bereicherung und eine Verbeugung vor dem guten alten Grand Prix d´Eurovision de la Chanson.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Daniel Koch

Schreibt über den Eurovision Song Contest, die Teilnehmer, die Länder und die TV-Shows

Daniel Koch

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