Zeitgeschichte zum Anfassen

Dokumentarfilme Kopenhagen zeigt Helmut Kohl, Björk und Edward Snowden, diskutiert jedoch nicht das Grundproblem des Dokumentarfilms.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Der Ruf des Dokumentarfilms ist nicht gut. Überflüssigen Pseudo-Dokumentarfilme erreichen zur besten Sendezeit auf ARD, ZDF, RTL, SAT.1 und VOX ein Millionenpublikum und gaukeln mit ihren vorfertigten Dialogen und laienhaften Schauspielern eine Wahrheit vor. Der Rest der gut gemeinten Dokumentarfilme muss dafür auf Phoenix und arte verschwinden. Dieses krasse Missverhältnis sorgt dafür, dass der klassische Dokumentarfilm im Fernsehen überhaupt keine Chance hat, Ernst genommen zu werden. Das Kino dagegen ist für den Dokumentarfilm wohl der beste Ort. Hier kann sich der Zuschauer ganz einer Geschichte widmen, die ein Dokumentarfilm versucht bestmöglich und unvoreingenommen wiederzugeben.

Bis zum 16. November 2014 zeigt Kopenhagen beim Dokumentarfilmfestival CPH:DOX über 200 Dokumentarfilme aus der ganzen Welt. Unter Filmemachern gilt das 2003 von Tine Fischer gegründete Dokumentarfilmfestival CPH:DOX zu den renommiertesten in ganz Europa. Immerhin besuchten bereits im Vorjahr über 70.000 Zuschauer das Festival.

Der Mauerfall als Karikatur

Die Dokumentation „1989“ des dänischen Regisseurs Anders Østergaard betrachtet den Fall des eisernen Vorhangs im Spätsommer 1989 in Ungarn, der zum Berliner Mauerfall führte. Für Befremden sorgt allerdings Østergaards Erzähltechnik: Er versucht Dialoge anhand von Interviewschnipseln mit Politikern und überlagert diese Bilder mit von Imitatoren gesprochenen Texten, wodurch er die Personen der Zeitgeschichte wie Karikaturen wirken lässt – ein erzähltechnischer Faux-Pas ohne Gleichen.

Brandheiß dagegen sind drei andere politische Filme. Sie sind so aktuell, dass man das Gefühl hat, dass es eigentlich fast zu früh ist, diese Filme schon jetzt zu zeigen, da deren Geschichten scheinbar noch nicht zu Ende geschrieben ist. Signe Byrge Sørensen und Anne Koehncke begleiteten den kolumbianischen Präsidentschaftskandidaten Antanas Mockus und machten daraus den Film „Life Is Sacred“ (deutsch: Das Leben ist heilig). Er liefert intime Einblicke in das Leben eines Professors, der mit Philosophie und Mathematik die Korruption in Kolumbien bekämpfen will. Sergei Loznitsas „Maidan“ beschäftigt sich mit den Protesten in der Ukraine und zeigt das Aufbegehren einer Generation, die sich mit dem politischen Status Quo nicht zufrieden geben will – wirkt aber angesichts der Ereignisse in der Ostukraine unvollständig und einseitig. Die Dokumentation „Citizenfour“ über den Whistleblower Edward Snowden und seine Enthüllung ist hier ausnahmslos der Publikumsliebling. Die Filmemacherin Laura Poitras hat mit diesem Film der Aufdeckung des wahrscheinlich größten Spionageskandal der amerikanischen Geschichte ein filmisches Denkmal gesetzt.

Björk ist dabei - Conchita Wurst nicht

Aus dem Rahmen fällt „Björk: Biophilia Live” über die exzentrische isländische Sängerin Björk. Nick Fenton und Peter Strickland übermalen das in London 2013 aufgenommene Konzert mit fantastischen Bildern aus der Petrischale und dem Computer. Damit ist der Film nicht mehr eine Dokumentation, sondern Kunst in Reinform und man glaubt 97 Minuten lang, dass man eigentlich im Kino und nicht in der Konzerthalle sitzt.

Einen Schönheitsfehler gibt es dennoch: Die Dokumentation „Conchita Wurst – einfach persönlich“ fehlt im Programm. Sie ist weder anspruchsvoll noch episch und wirkt billig. Jedoch ist es schon fahrlässig die Geschichte der Gewinnerin des Eurovision Song Contests in Kopenhagen so schonungslos zu ignorieren. Zumal der Film mit seinen leicht gestellt aussehenden Filmszenen die kritische Seite des Dokumentarfilms beleuchtet.

Letztlich liegt die Wahrheit im Dokumentarfilm immer im Auge des Regisseurs und kann durch ihn auch erheblich verzerrt werden. Von diesem Makel können sich Dokumentarfilmer nur befreien, wenn sie Erlebnisse bestmöglich versuchen zu rekonstruieren und nicht zu konstruieren. Der TV-Zuschauer verlangt jedoch mehr Emotionen, als es die Realität zulässt. So muss der Dokumentarfilm sich immer entscheiden, ob er real, semi-real oder fiktiv ist. Welche Art von Dokumentarfilm die wohl beste ist, darauf gibt das Filmfestival in Kopenhagen keine klare Antwort.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Daniel Koch

Schreibt über den Eurovision Song Contest, die Teilnehmer, die Länder und die TV-Shows

Daniel Koch

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden