Aufklärung 3.0 - Juli Zeh

Netzkultur Auf dem Kongress Netzkultur hat Juli Zeh den Anfang gemacht und stemmt sich gegen Big Data. Das Recht soll es richten. Verliert die Gesellschaft den Bezug zur Aufkärung?

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Aufklärung 3.0 - Juli Zeh

Foto: Bruno Vincent / Getty Images

"Das Internet ist ein rechtsfreier Raum", so leitet die Schriftstellerin und Aktivistin gegen die Totalüberwachung ihren Vortrag "Einspruch! Technologie ist keine Naturgewalt" ein. Sie hält diesen Vortrag auf dem Kongress "Netzkultur - Freunde des Internets" im Haus der Berliner Festspiele.

Das stimmt nicht. In ihren Augen ist das Internet als rechtsfreier Raum ein gängiges Klischee. Sie sieht das Internet vielmehr als virtuellen Raum, der sich in die jeweiligen Rechtskreise der analogen Welt einzufügen hat.

Ihre These kann brutal sein. Letztlich müssen wir mit Terroranschlägen leben, wir müssen den Tod aushalten, ein Scheitern im Leben nicht ausschließen und das Schicksal an sich akzeptieren. Eine umfassende Imformationserhebung und -auswertung muss international geächtet werden wie Landminen in Krisengebieten.

Als Volljuristin weiß sie das Recht als ihren Erfüllungsgehilfen. Das Recht dringt a priori ins Internet ein. Die verschiedenen Rechtskreise auf der Welt spiegeln sich automatisch auch in der virtuellen Welt. Das Recht ordnet. Das Recht reguliert. Und das Recht kann umfassende Datenüberwachung verbieten und Verstöße sanktionieren.

Juli Zeh greift auf ein profanes Beispiel auf: Wenn sie im Internet bestelle, stehe ihr ein 14-tägiges Widerrufsrecht wegen eines Fernabsatzvertrages zu. Amazon und alle großen Internetversandhandelsunternehmen müssen sich dem Verbraucherschutzrecht der Europäischen Union unterwerfen. Wieso, so fragt sich Zeh, kann das nicht auch im Datenschutzrecht durchgreifen?

Letztlich wird Juli Zeh radikal: Ausufernde Informationsbeschaffung muss verboten werden - international. Big Data muss reguliert werden, damit der Mensch Mensch bleiben kann. Hier wird klar, dass der Kampf gegen Big Data ein Kampf für die Werte der Aufklärung ist.

Auf einmal ist man nicht mehr der progressiv Voranschreitende, sondern wird zum Bewahrer, zu einem Konservativen. Wenn der Mensch von Geburt bis in den Tod kalkulierbar, berechenbar, analytisch durchleuchtbar wird, dann muss man Kants Idee vom mündigen Bürger entgegenhalten.

Vielleicht muss die Gesellschaft auf Annehmlichkeiten verzichten, um das Menschsein nicht zu gefährden. Denn der technologische Fortschritt lockt mit immer mehr Bequemlichkeit.

Zeh verlässt sich vielleicht etwas zu sehr auf's Recht. Sie vernachlässigt die Kraft des Progressiven. Die Gesellschaft hat bisweilen ganz begierig jeden technologischen Fortschritt in sich aufgesogen.

Die Kernfrage wird sein, ob die Werte der Aufklärung im Internetzeitalter erhalten werden können. Ein Showdown zwischen diesen Werten und dem Drang der Gesellschaft nach immer mehr technologischen Fortschritt ist unvermeidlich.

"Technologie ist keine Naturgewalt", ruft uns Juli Zeh zu und doch walzt sich der technologische Fortschritt unaufhaltsam in die Gesellschaft hinein. Ob das Recht hier genug Kraft hat, zu regulieren, bleibt einstweilen abzuwarten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Daniel Martienssen

Enttarnung durch Analyse: ein privates Blog zu Demokratie und Rechtsstaat, Soziales und ein bisschen Kultur.

Daniel Martienssen

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