Das aufhaltsame Aussitzen der Angela M.

Machterhalt Angela Merkel ist noch immer Garantin für scheinbare Ruhe und Normalität. Es ist wahrscheinlich, dass sie so die schwere Demokratie- und Rechtsstaatskrise aussitzen kann

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Das aufhaltsame Aussitzen der Angela M.

Foto: Johannes Eisele/AFP/Getty Images

Die Demokratie ist in Gefahr, der Rechtsstaat längst aufgeweicht. Der seit Anfang Juni schwelende NSA-Skandal legt offen: Die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Deutschland verschiebt sich immer mehr hin zu einem digitalen Überwachungsstaat.

Und Angela Merkel? Sie behilft sich mit Worten wie "wirklich nicht". "Eine umfassende Überwachung durch einen befreundeten Staat geht 'wirklich nicht'." Es scheint wie ein Mantra zum Aussitzen.

Ansonsten hat sie am vergangenen Freitag auf ihrer alljährlichen Sommerpressekonferenz vor der Hauptstadtpresse zum NSA-Skandal verlautbart: "Auf deutschem Boden gilt deutsches Recht." Bestimmt vier mal hat sie das wiederholt. Der Rest müsse geprüft werden - am besten weit nach dem 22. September. Das muss in dieser schweren Demokratie- und Rechtsstaatskrise nun einmal genügen. Mehr ist einfach nicht drin, mehr kann sie nicht tun.

Auf mehr ist sie in den letzten acht Jahren auch nicht geeicht und die deutsche Wahlmehrheit honoriert Merkels Umgang mit dem NSA-Skandal - zumindest fällt der Umgang nicht nennenswert negativ ins Gewicht. In aktuellen Umfragen möchten 62 Prozent aller Wahlberechtigten Angela Merkel direkt zur Bundeskanzlerin wählen.

Sie ist beliebt. Sie steht in beiden großen Rechts-Krisen der letzten Jahre (Eurokrise und Überwachungsskandal) für scheinbare Ruhe und Normalität. Sie ist fleischgewordenes Sinnbild dafür, dass auch in Zeiten des Umbruchs, der schweren Krisen für die liberale Demokratie und den liberalen Rechtsstaat, im Alltag alles verlaufen kann wie bisher.

Und sie ist nicht nur Sinnbild dafür, sondern speist nichts weniger als ihren Machterhalt aus der Erkenntnis: 'Egal wie sehr alles Bewährte zur Disposition steht: Ich regle das. Ihr lebt euer Leben einfach weiter.' Sie hat das "typisch Deutsche" erfasst und in sich aufgesogen. Ein breite Mehrheit der Deutschen und die Kanzlerin leben in einer Art symbiotischen Beziehung.

Merkel verschafft zumindest der Mehrheit, die letztlich zur Wahlurne gehen wird, das Gefühl, ja beinahe das Lebensgefühl von Ruhe und Normalität. Dabei ist längst nichts mehr normal. Weder in der Eurokrise noch in der sich nun offenbar werdenden flächendeckenden Überwachung von Telefonaten, E-Mails und Internetverhalten der deutschen Internetnutzer.

Für eine liberale Gesellschaft schlechthin konstituierende Grundrechte stehen in Gänze zur Disposition. Dennoch ist eine Mehrheit der Deutschen bereit, auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, auf das Recht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme zu verzichten. Einzige Bedingung: Merkel liefert weiter scheinbare Ruhe und Normalität.

Es ist ein Pakt zwischen Wahlmehrheit und Kanzlerin, der zu Lasten von demokratischer und freiheitlichter Strukturen geht. Denn die Kanzlerin spekuliert überdies auf einen Schleifeffekt.

Der Ausnahmezustand wird zur Normalität

Was gestern noch unvorstellbar war, nehmen wir heute mit Gleichmut hin und leben unseren Alltag weiter. Ein "full take" aller Datenströme, eine permanente Überwachung des Datenverkehrs. Solche Vorstellungen hat die Allgemeinheit "Techniknerds" und Verschwörungstheoretikern zugewiesen. Und jetzt einige Wochen nach den Enthüllungen von Edward Snowden?

Es schleift sich unweigerlich Gleichmut ein – zumindest bei der überwiegenden Wahlmehrheit. Der Alltag wird davon zu wenig berührt. Es ist nicht greifbar genug. Auch Vermögensgüter der Deutschen werden im NSA-Skandal nicht berührt.

Und so muss nur ein wenig Zeit vergehen, die Medien müssen zum nächsten Thema springen und schon ist die permanente Überwachung ein Stück mehr Normalität geworden.

Sowohl die Eurokrise als auch der NSA-Skandal zeigen für einen kurzen Moment, wie der Ausnahmezustand zur Normalität wird. Dann aber ist der Alltag der meisten in Deutschland lebenden Menschen wieder von anderen Dingen geprägt und Merkel liefert die Umgebung, sich diesen Dingen zu widmen, ohne dass der Durchschnittsdeutsche über die Gesellschaft im Umbruch nachdenken muss.

Über prinzipielle Fragen zu Demokratie und Rechtsstaat macht sich die Kanzlerin wohl eher wenige Gedanken. Hier zeigt sich das große Defizit zu fast allen Bundeskanzlern vor ihr. Sie liebt es, einfach nur zu regieren und sich neuen Herausforderungen lediglich in steril-administrativer Weise zu nähern. Auch das schadet auf lange Sicht der demokratischen Grundordnung einer Gesellschaft.

In der Bundespressekonferenz nahm Angela Merkel zu ihrem Traumjob Stellung: "Ich finde, dass die Arbeit der Bundeskanzlerin eine sehr schöne, inspirierende Arbeit dahingehend ist, dass Sie immer wieder neue Probleme haben... (Gelächter unter den Journalisten) ... ja ..."

Seit dem NSA-Skandal sieht zumindest ein Teil der Medien die Gelegenheit, die Kanzlerin erfolgreich zu attackieren. Offenzulegen, dass ihre Einlassungen bis dato der Dimension der Überwachung nicht gerecht werden. Dennoch perlen alle kritischen Kommentare an der Kanzlerin ab.

Mit großer Wahrscheinlichkeit geht Angela Merkel nach dem 22. September in eine dritte Amtszeit. Sie wird dabei von einer Wahlmehrheit getragen, die sich weiter vor den aufziehenden Umbrüchen wegduckt. Ewig kann diese symbiotische Beziehung der Mehrheit der Deutschen und der Kanzlerin nicht weitergehen. Sie ist längst abhängig-destruktiv geworden.

Und längst zehrt diese Beziehung an der Demokratie, an der Freiheit und am Rechtsstaat.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Daniel Martienssen

Enttarnung durch Analyse: ein privates Blog zu Demokratie und Rechtsstaat, Soziales und ein bisschen Kultur.

Daniel Martienssen

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