Die falsche Freiheitsromantik

FDP-Krise Auf dem Dreikönigstreffen war sich die FDP-Spitze inhaltlich einig: weniger Staat, mehr Freiheit. Wenn sie den Sozialliberalismus nicht wiederentdeckt, geht die FDP unter

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Die falsche Freiheitsromantik

Foto: Thomas Niedermueller/ AFP/ Getty Images

„Die deutsche Politik wird vermutlich ärmer sein ohne eine eigenständige liberale Partei.“ Diese Worte sprach der damalige Vorsitzende der SPD Willy Brandt in der dunkelsten Stunde der sozial-liberalen Koalition. Die Worte fielen in seiner am 1. Oktober 1982 gehaltenen Bundestagsrede anlässlich des konstruktiven Misstrauensvotums gegen Helmut Schmidt (SPD).

Hans-Dietrich Genscher (FDP) wechselte damals die Seiten und machte Helmut Kohl zum CDU-Bundeskanzler. Die FDP regierte nach 13 Jahren mit den Sozialdemokraten noch weitere 16 Jahre mit CDU und CSU. Genscher und Otto Graf-Lambsdorff (FDP) kehrten den sozial-liberalen Thesen von 1971 den Rücken und nahmen in Kauf, dass der linksliberale Flügel in der FDP verkümmerte. Sozial-liberale Größen wie Gerhart Baum oder Hildegard Hamm-Brücher hatten fortan kaum noch Einfluss auf den innerparteilichen Diskurs. Viele linksliberale Kräfte verließen nach 1982 die Partei. In dieser Zeit ist Guido Westerwelle fulminant an die Spitze der Liberalen aufgestiegen.

Die Folgen sind bis heute zu spüren. Nach elfjähriger Oppositionszeit kehrte die FDP 2009 inzwischen mit ihrer damaligen One-Man-Show Guido Westerwelle und 14,6 Prozent der Wählerstimmen im Rücken in die Regierungsverantwortung zurück. Relativ schnell wurde offensichtlich, dass außer ein diffuses und nicht gehaltenes Steuersenkungsversprechen, die FDP programmatisch verarmt nichts weiteres anzubieten hatte. Spürbar wurden die Steuern nur für Hoteliers gesenkt. Die sogenannte Mövenpick-Steuer ist für die FDP längst zum Menetekel avanciert.

Westerwelle verkündete im Herbst 2009 die „geistig-politische Wende“ und wollte so Parallelen zum Machtwechsel 1982 ziehen, als Kohl von der „geistig-moralischen Wende“ gesprochen hatte. Heute wirken diese Worte merklich entrückt.

Die Boygroup ist gescheitert

Ende 2010 stürzte die FDP in den Umfragewerten ab. Und als eine Landtagswahl nach der anderen für die Liberalen verloren ging, machte sich Unmut breit. Die Überfigur Guido Westerwelle wurde entthront – allerdings nur zur Hälfte. Er konnte Außenminister bleiben. Auf dem Dreikönigstreffen 2011 war schon offensichtlich wie schnell Westerwelle die Macht in den Händen zerrann. Die jungen Wilden, Philipp Rösler, Daniel Bahr und Christian Lindner hätten damals Westerwelle aus allen Ämtern drängen müssen, sie taten es nicht. Sie hätten die FDP breiter aufstellen müssen, eine neue Beziehung auch zu sozial-liberalen Thesen aufbauen müssen, sie taten es nicht. Die Boygroup ist schon in ihren Anfängen gescheitert.

Christian Lindner und Philipp Rösler haben sich darüber überworfen, wer neben Hans-Dietrich Genscher auf der Couch sitzen darf. Lindner trat entnervt im Dezember 2011 als Generalsekretär zurück und erlebte in Nordrhein-Westfalen im Frühjahr 2012 sein grandioses Comeback. Gegen den Trend der Bundespartei holte er 8,6 Prozent und zog mit „seiner FDP“ wieder in den Landtag von NRW. Seither ist er Bundesvorsitzender in Wartestellung. Würde er heute seinen Hut in den Ring werfen, er würde unverzüglich Nachfolger von Philipp Rösler. Aber Christian Lindner wiegelt ab. Noch hält er seine Zeit für nicht gekommen. Er ist an diesem Montag gerade einmal 34 Jahre alt geworden. Hans-Dietrich Genscher, inzwischen graue Eminenz der Partei, ist sein prominentester Fürsprecher. Lindner kann warten und sogar Rainer Brüderle als Interimsvorsitzenden den Vortritt lassen. Alles läuft früher oder später automatisch auf Lindner zu.

Philipp Rösler ist jetzt schon ein Mann von gestern

Für Philipp Rösler sieht es im Gegensatz sehr düster aus. Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wann er sein Amt als Parteivorsitzender zur Verfügung stellen muss. Die Wahl in Niedersachsen wird als Anlass genommen, Rösler zum Rücktritt zu bewegen, es sei denn sie geht in Niedersachsen wider Erwarten mit 7 Prozent ins Ziel. Dirk Niebel hat auf dem diesjährigen Dreikönigstreffen mit ungewöhnlicher Härte personelle Veränderungen eingefordert, „die Liberalen müssen rasch die Führungsfrage klären. Die bislang für den Parteitag im Mai geplante Neuwahl der Führungsspitze kommt zu spät.“ Offener kann man gegen seinen eigenen Parteivorsitzenden nicht rebellieren.

Für Rösler ist die Situation jetzt sogar schlimmer als für Westerwelle vor genau zwei Jahren. Sollte sich der Entmachtungsprozess erst einmal beschleunigen, wird er kaum im Bundeskabinett zu halten sein. Er stünde mindestens bis zur Bundestagswahl im Herbst vor dem Nichts. Eine Anschlussverwendung ist in der Zwischenzeit nicht in Sicht.

Er hat es nicht vermocht, die Liberalen inhaltlich neu aufzustellen. Der „mitfühlende Liberalismus“ ist längst in der Mottenkiste verschwunden, vielmehr setzt er hilflos auf marktradikale Rezepte. In den Weihnachtstagen lancierte er als Bundeswirtschaftsminister ein Papier, staatliche Einrichtungen zu privatisieren.

Rösler wird die Liberalen weder programmatisch noch strategisch zu neuen Ufern führen können. Er gehört als Zwischenepisode an der FDP-Spitze jetzt schon der Vergangenheit an. Es wird letztlich auf Christian Lindner ankommen, die FDP neu aufzustellen. Er hat die inhaltliche Kraft die FDP in einen neuen Diskurs zu führen. Sie muss ihr Verhältnis zum Staat überdenken. Sicherlich ist das Dreikönigstreffen Folklore, bei der die urliberale Seele gestreichelt wird: weniger staatliche Gängelung mehr individuelle Glückseligkeit.

Und dennoch spiegelt sich dieser einseitige Freiheitsbegriff im Regierungshandeln wider. Dieser Habitus resultiert immer noch aus einem Staatsbild des ausgehenden 19. Jahrhunderts, als ein autoritärer Staat seine Bürger wirklich noch gängelte, maßregelte und schikanierte. Inzwischen haben sich in Deutschland Staat und Gesellschaft in mehrerer Hinsicht emanzipiert. Vom demokratischen Staat geht nicht mehr die Bedrohung aus, wie sie die FDP-Granden gern zeichnen wollen. Sie hängen einer verfehlten Freiheitsromantik hinterher, welche die FDP behindert, ihr Verhältnis zum Staat in der europäischen Schuldenkrise im 21. Jahrhundert neu zu bestimmen. So taumeln die Liberalen am Rande der Regierungsunfähigkeit.

Die Liberalen drohen so an den Rand gedrängt zu werden. In einer schwarz-rot-grünen Großkoalition spielen sie in der Eurokrise faktisch keine Rolle mehr. Ohne personelle und vor allem inhaltliche Neuausrichtung wird die FDP lediglich mit einer Portion Glück wieder in den Bundestag einziehen, liberale Gestaltungsmacht allerdings nicht mehr entfalten.

Dabei gilt der nächste Satz, den Willy Brandt in seiner Bundestagsrede am 1. Oktober 1982 sprach umso mehr: „Wahrhaft Freie Demokraten kann es, egal in welcher Partei, gar nicht genug geben in diesem Haus und in dieser Bundesrepublik.“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Daniel Martienssen

Enttarnung durch Analyse: ein privates Blog zu Demokratie und Rechtsstaat, Soziales und ein bisschen Kultur.

Daniel Martienssen

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