Im Sommer nichts Neues

Gesellschaft Im Vakuum des Sommers verschoben sich in den letzten Jahren die Koordinaten der Gesellschaft und im Sommer 2013 gab die westliche Welt die Demokratie auf

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Schmelzende Strukturen
Schmelzende Strukturen

Foto: JOHN MACDOUGALL/ AFP/ Getty Images

Die ersten drei Sommer des zweiten Jahrzehnts im 21. Jahrhundert haben eines gemeinsam: Sie sind unheimlich - einer mehr als der andere.

Der Sommer 2011 nagte an der Bastion Europa, an der alten Ordnung. Am Ende dieses Sommers war Europa so labil wie die Vereinigten Staaten von Amerika bereits seit längerem. In den Sommermonaten 2011 überschlugen sich die Kommentatoren, wann der Euro begraben würde. In Brüssel jagte ein Krisentreffen das nächste. In dieser eigentlich nachrichtenarmen Zeit wurde für jedermann offensichtlich, dass sich die Koordinaten für alle Zeiten verschieben sollten. 2011 war ein Wendejahr und markierte die Zäsur zwischen alter und neuer Welt.

Im darauffolgenden Sommer wurde es keineswegs besser. Der Sommer 2012 legte offen, dass das Recht gegen ökonomisch-soziale Umwälzungen vollkommen machtlos war. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble drohte dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein Verfassungsreferendum. Das Verhältnis ist bis heute zerrüttet.

Überhaupt schmolz im Sommer jenes Jahres die bundesdeutsche Staatsorganisation vollends dahin. Es wurde offenbar, dass die Bundestagsabgeordneten die Fülle an Akten, die die Eurokrise lösen sollten, in einer so raschen Zeit nicht bewältigen konnten.

Zwar stemmte sich Karlsruhe noch mit einem Urteil zu den Informationsrechten für den Bundestag gegen den Trend, aber eigentlich machte dieses Urteil lediglich sichtbar, dass die direkt gewählte Volksvertretung, der Deutsche Bundestag, in der Eurokrise nur noch als Statist dem großen Schauspiel der Bundeskanzlerin Angela Merkel beiwohnen darf.

Im September 2012 gab Karlsruhe dem ESM grundsätzlich grünes Licht. Damit verabschiedete sich das letzte Kontrollorgan aus seiner Hauptrolle und reihte sich als Statist neben dem Bundestag ein.

Während sich die Sommer 2011 und 2012 fest in der Hand der Eurokrise befanden und eine erste Krise des Rechts heraufbeschworen, sind im Sommer 2013 in der westlichen Welt die Masken gefallen:

Ein Friedensnobelpreisträger jagt einen mutmaßlichen Terroristen, weil dieser von seiner inneren Moral getrieben die unerhörte Abhörpraxis der westlichen Nachrichtendienste offenbart hat. Die überwiegende Mehrheit macht sich allerdings nicht viel aus der Totalüberwachung. Die westlichen Volksvertreter können oder wollen an der Sicherheitsarchitektur der USA und der Europäischen Union nichts mehr ändern.

In den USA droht einem Angehörigen der US-Armee eine Haftstrafe von bis zu 136 Jahren, weil auch er seinem Gewissen gefolgt ist und massenhaft Dokumente an eine weitere Person weitergegeben hat, die wiederum auf unbestimmte Zeit in einer südamerikanischen Botschaft in London verweilen muss.

Und lediglich ein versprengter Haufen von ca. 10.000 Menschen in Deutschland demonstriert gegen die flächendeckende Überwachung. So opfern die westlichen Bevölkerungen und ihre Repräsentanten im Sommer 2013 die Demokratie und den Rechtsstaat - einfach so.

Sie nehmen gemeinsam die schöne neue Welt hin und die Überwachung wird Normalität. So wird der Sommer 2013 ein Sommer, der die westlichen Gesellschaften implodieren lässt, ein Sommer, der die Menschen ermatten lässt. Es ist schließlich der dritte prekäre Sommer in Folge.

Das hält keiner aus. Diese Hitze, die die alte Ordnung schmelzen lässt. Die meisten Menschen flüchten in eine scheinbare Normalität. Dort, wo vieles noch ist, wie es vorher war. Dort, wo man einfach leben kann. So springt die Demokratie, ja die Freiheit über die Klinge, weil sie nicht genügend Menschen verteidigen wollen.

"Postdemokratie" schreit es ehedem seit Jahren aus den USA. Colin Crouch schreibt dazu: "In der öffentlichen Debatte spielt die Mehrheit der Bürger eine passive, schweigende, sogar apathische Rolle, sie reagiert nur auf Signale, die man ihnen gibt."

Die Politik wird von den politischen Entscheidungsträgern und der ökonomischen Elite "hinter verschlossenen Türen" gemacht. Der Bürger, der Souverän bleibt außen vor. Er ist ehedem nur noch Souverän auf dem Papier.

Das ist vielleicht die Erkenntnis des Sommers 2013: Die Westlichen Werte existieren wohl nur noch auf dem Papier.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Daniel Martienssen

Enttarnung durch Analyse: ein privates Blog zu Demokratie und Rechtsstaat, Soziales und ein bisschen Kultur.

Daniel Martienssen

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