Jogis Jungs als trojanisches Pferd

#Gauchogate Die DFB-Auswahl hat unverkrampft Fußball-Deutschland in Brasilien repräsentiert – weltoffen und modern. Die Gaucho-Nummer zeigt indes: Es war alles nur schöner Schein

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Überflüssiger Hohn: Der "Gaucho-Dance" wird von der Presse fast einhellig als "Schnappsidee" bezeichnet
Überflüssiger Hohn: Der "Gaucho-Dance" wird von der Presse fast einhellig als "Schnappsidee" bezeichnet

Foto: Alex Grimm/ AFP/ Getty Images

"Wer die Gaucho-Nummer kritisiert, war noch nie im Fußballstadion", so die häufigste Kritik von echten, hartgesottenen Fußballfans. Ja, klar möchte man gutmütig antworten. Spieler wie André Schürrle, der Torschütze im Finale, Mario Götze, und der liebvoll genannte Opa der DFB-Auswahl, Miroslav Klose, führen ein gängigen Schmähgesang in deutschen Stadien auf, bei dem sie in gebückter Haltung den Verlierer des Finales, die Argentinier, verhöhnen und sich selbst umso begeisterter feiern.

Ein Spaß. Nach diesem anstrengenden Finale einfach mal mit hunderttausenden Fans die Sau rauslassen, sich mit den Fans verbrüdern, mit ihnen auf dieselbe Ebene kommen – mehr ist es doch wirklich nicht gewesen. Jetzt kann man mal Fünfe gerade sein lassen.

Jogis Jungs, Lahm, Schweinsteiger, Neuer, Kramer, Götze, Boateng und all die anderen haben alles in allem ein glänzendes Turnier gespielt, haben beigetragen, dass sich Deutschland in den Reigen der Fußballnationen wie selbstverständlich eingefunden hat. Dass man, nun ja, für die DFB-Auswahl mitfiebert. Für Deutschland zu sein klingt auch im Jahr 2014 irgendwie schräg – zu viel nationaler Pathos.

Da ist aber dieses unverkrampfte Deutschland in Brasilien gewesen, eine Mannschaft eigentlich, die bisher nicht über die Maßen die deutsche Nation hat raushängen lassen: Ein Mario Götze, der Kopfhörer eines afroamerikanischen Rappers trägt, Schweinsteiger und Podolski, die gemeinsam mit Rihanna den Siegesrausch feiern: Weltoffene Mannschaft - weltoffenes Land. Schland halt.

Aber nun entpuppt sich ausgerechnet die DFB-Auswahl, die Jungs, die im Halbfinale und im Finale so sehr begeistert haben, als trojanisches Pferd: Auf einmal stürmt es heraus: die deutsche nationale Überlegenheit, "die Deutschen die geh'n so".

Die Fußballspieler, die eben noch in Brasilien so wunderbar unaufgeregt Fußball gespielt haben, auf die man stolz ob des Fußballspielens gewesen ist, ausgerechnet sie haben dieses moderne Nationenmarginalisierende abgestreift und sich den einfachen, tumben Deutschland-Fans an den Hals geworfen.

Die Spieler führen die Fans nicht in die Moderne – sondern der tumbe Deutschland-Fan die Spieler am Nasenring durch die Manege zurück ins 20. Jahrhundert.

Wer 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges die deutsche Nation durch vermeintliche Überlegenheit – und sei es auch nur spielerisch – wiederbeleben will, sollte lieber einen Blick in die darauffolgende Geschichte werfen, statt den Schmähgesang in deutschen Fußballstadien zu internationalisieren.

Das moderne Deutschland war also nur ein trojanisches Pferd – schade Jungs!

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Geschrieben von

Daniel Martienssen

Enttarnung durch Analyse: ein privates Blog zu Demokratie und Rechtsstaat, Soziales und ein bisschen Kultur.

Daniel Martienssen

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