Medial ist das Interview, dass Marietta Slomka im ZDF-heute journal mit Sigmar Gabriel am 28. November 2013 geführt hat, natürlich unterhaltsam, fallen beide Akteure doch aus ihren gewohnten Rollen heraus.
Zunächst sieht alles nach einem Interview der üblichen Art und Güte aus, indem der Interviewende versucht den Politiker mit kritischen Fragen aus seinem eingefahrenen Konzept zu bringen. Der Politiker versucht hingegen alle kritischen Fragen zu zerstreuen.
Dann jedoch fragt Marietta Slomka, ob sich die SPD verfassungsrechtliche Gedanken zu diesem Mitgliedervotum gemacht habe und bricht damit ganz scheinbar die Strukturen zwischen dem Journalisten und Politiker auf. Von da an wird das Gespräch ruppig und unterhaltsam, weil beide die gewohnte Linie verlassen.
Aber bei aller Unterhaltung muss man fragen, wie viel Substanz die Fragen nach einem verfassungsmäßigen Mitgliedervotum in sich tragen. Es gibt tatsächlich den Artikel 38 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz, der garantiert, dass Abgeordnete an Aufträge und Weisungen nicht gebunden sind und nur ihrem Gewissen unterworfen sind.
Ein imperatives Mandat sieht das Grundgesetz damit in der Parteiendemokratie nicht vor. Ein imperatives Mandat liegt vor, wenn Parteien auf Parteitagen Sachfragen in politische Beschlüsse gießen und die Abgeordneten dieser Partei im Parlament ihr Abstimmungsverhalten peinlichst genau an dem Parteitagsbeschluss anpassen muss.
Letztlich sind solche Mechanismen wie der Fraktionszwang längst gelebte Parlamentspraxis und eine sanfte Art des imperativen Mandats. Solange das Pendel nicht zu stark ausschlägt, wird es auch aus Karlsruhe toleriert.
Im Fraktionszwang münden letztlich Parteitagsbeschlüsse hinein. Moralische Fragen zu Gesetzen, wie dem Beschneidungsgesetz oder dem Embryonenschutzgesetz, werden von den Fraktionen als Gewissensfragen freigegeben.
Die Grünen haben indes versucht das imperative Mandat in ihren Anfangsjahren bis ins Exzessive zu praktizieren. Das Bundesverfassungsgericht hat über diesen Fall allerdings nicht entscheiden müssen, weil das imperative Mandat schon an der mangelnden Mobilisierung der Basis gescheitert ist. Die grüne Basis hätte jeden Tag zu Sachfragen Stellung nehmen und konrekte Weisungen an die Abgeordneten erteilen müssen -eben ein Stück Räterepublik.
Jetzt drängt sich die Frage auf, ob das SPD-Mitgliedervotum einem imperativen Mandat gleichkommt. Es ist ein Werkzeug der Parteien Handlungen der Parteiführung festzulegen. In diesem Fall hat die SPD-Führung mit der CDU-Führung und der CSU-Führung einen Koalitionsvertrag ausgehandelt, der Grundlage der drei Parteien sein soll, vier Jahre gemeinsam zu regieren.
Dieser Sachverhalt wäre dann gegeben, wenn die SPD-Basis gefragt würde, ob sie wollen, dass die Abgeordneten der SPD-Bundestagsfraktion Angela Merkel in eine dritte Amtszeit wählen sollen. Die SPD-Basis wird aber zu einem Koalitionsvertrag, einem Regierungsprogramm, befragt, das sich eben drei Parteien gegeben haben.
Die SPD-Basis entscheidet also gerade keine Frage, die Abgeordnete direkt in ihrer parlamentarischen Entscheidungsfreiheit beeinflussen, sondern über einen Vertrag zwischen politischen Parteien.
Nun kann man spitzfindig dazu kommen, dass dieses Votum mittelbar die Kanzlerwahl beeinflusst. Denn nehmen wir nur mal an, die SPD-Basis stimmt gegen den Koalitionsvertrag, dann werden die SPD-Abgeordneten am 17. Dezember Angela Merkel nicht noch einmal zur Bundeskanzlerin wählen.
Und trotz dieser mittelbaren Folge kann in diesem Votum eben gerade kein imperatives Mandat auf die Abgeordneten im Bundestag gesehen werden. Wenn das Ergebnis dieses Votums am 14. Dezember feststeht, hat Bundespräsident Joachim Gauck noch lange nicht Angela Merkel als Kandidatin für die Kanzlerwahl im Bundestag vorgeschlagen. Die Kanzlerwahl, die Besetzung der Ausschüsse, all das wird erst nach diesem Votum durchgeführt. Sie können daher schon denknotwendig nicht Gegenstand des Mitgliedervotums werden.
So kann dieses Votum schon formal staatsrechtlich kein imperatives Mandat auf die SPD-Abgeordneten sein. Es steht statutenrechtlich auf einer Stufe mit einem kleinen oder einem großen Parteitag, auf denen ein Koalitionsvertrag theoretisch ebenfalls abgelehnt werden kann. Die CSU beruft sogar nur den Parteivorstand ein, um den Koalitionsvertrag abzusegnen. Aber selbst da kann dieser theoretisch durchfallen. Hier hat noch nie irgend jemand "imperatives Mandat" gerufen.
Insofern liegt Sigmar Gabriel richtig, wenn er Marietta Slomka aufruft: "Tun Sie mir ein Gefallen. Lassen Sie uns diesen Quatsch beenden."
Dass das Mitgliedervotum aber imperative Wirkung hat, ist unbestritten. Es verpflichtet den SPD-Vorstand sich nach dem Votum der SPD-Basis zu richten. Das ist verfassungsrechtlich nicht bedenklich, sondern innerparteiliche Demokratie.
Kommentare 31
Oje. Das ist genau die Überschrift, der klassische Fall von kurz gegriffen!!
Verfassungsrechtliche Bedenken sind kein Quatsch, sondern nur diese ART. Verfassungsrechtliche Bedenken waren und sind sogar sehr am Platz: die Autoren der Verfassung haben offenkundig nicht damit gerechnet, dass es einst eine Regierungsmehrheit geben könnte, die Untersuchungsausschüsse und die Anrufung des BVerfG verhindern könnte. DAS aber ist dann genau so.
Und die einzigen, die das noch verhindern könnten, SIND gerade die SPD-Mitglieder.
Verkehrte Welt!
Es geradezu töricht die Befragung der Parteibasis eher als imperatives Mandat zu verstehen als die Entscheidung der Parteielite hinter verschlossenen Türen, die dann ex post facto nur noch verlautbart wird. De facto funktioniert die parlamentarische Demokratie über die Funktionsdynamik der Fraktionsdisziplin, die Kanzlerwahl ist von so wenig gewissensfreiheitlicher Prägung bestimmt, wie die Abstimmung über den nächsten Haushalt.
Nun wagt die SPD den gewiss nicht risikofreien Schritt der Mitgliederbefragung, versucht sich gar an einem Mehr an innerparteilicher Demokratie und wird nunmehr dafür heftigst von irgendwelchen rückwärtsgewandten Verfassungstheoretikern kritisiert. Sicherlich wird der Druck auf dieParlamentarier durch eine breit angelegtes Mitgliedervotum verstärkt, aber erreicht genauso wenig den kritischen Punkt zum Imperativ, wie die klassische Willensbildung im Vorfeld der Kanzlerwahl!
Schon interessant, dass sich selbst "Verfassungsrechtler" nicht entblöden, ein mögliches Mitgliedervotum so verhindern zu wollen. Die gleichen Herrschaften sollten sich eher um den KO-Vertrag kümmern, wo an einer Stelle formuliert ist, dass die Mitglieder dieser "Koalition" in keinem Fall abweichend abstimmen dürfen. Kommt das nicht eher ein Zwang zum Imperativen Mandat gleich.
Wenn man bösartig interpretiert, müßte unterstellt werden, dass genau diese Formulierung an Bestechungsversuche heranreicht, zumal -Münte läßt grüßen- der/die dem nicht folgt um seine Wiederaufstellung zum Bundestagskandidaten fürchten muss.
Sollte man diese Regierung, wenn sie denn zustande kommt, nicht richtiger Weise eine Ermächtigungsregierung nennen?
P.S.:
Und zwar ermächtigt durch die Partei und nicht gewählt durch das Volk.
Es ist schon sehr interessant. Da macht eine Journalistin mal ihren Job, hakt nach, stellt unangenehme Fragen, und schon steht die (digitale) Zeitungswelt Kopf. Mal ganz abgesehen davon was von den Bedenken der Verfassungsschutzrechtler zu halten ist, Frau Slomka greift Stimmen der Öffentlichen Meinung auf und konfrontiert damit einen Politiker und ausnahmsweise lässt sie sich nicht mit Plattitüden abspeisen. Gabriel wird biestig, da nicht darauf eingestellt. Das mag unterhaltsam sein. Letztendlich ist das die Aufgabe der Presse, nachzuhaken, Fragen aufwerfen und sich nicht mit der ersten Antwort abspeisen lassen. Ob einem das inhaltlich passt steht auf einem anderen Blatt.
Erschreckend ist, dass so ein Interview nicht Status Quo ist und solch ein Aufsehen erregt.
@ GEBE
Nein, das Volk wählt lediglich den Bundestag und hat damit auch indirekt Einfluss auf die Regierungsbildung. Wie die Regierung letztlich aussieht entscheidet die Parlamentsmehrheit. Die Abgeordneten können selbst entscheiden, ob sie Merkel wählen oder nicht. Sie sind nicht an dem Beschluss der Parteibasis gebunden.
Ermächtigungsregierung erinnert an das Ermächtigungsgesetz. Ich glaube Du stimmst mir zu, dass ein solcher Vergleich nicht statthaft ist.
"Nein, das Volk wählt lediglich den Bundestag ..."
Haben Sie tatsächlich den Bundestag gewählt? - Oder haben Sie doch nur ein Kreuzchen bei einer Partei gemacht?
"... Ermächtigungsgesetz"
Sie können assoziieren was Sie wollen. Auch können Sie gerne Ihre eigenen Assoziationen zudem als "nicht statthaft" bezeichnen. Als Tatsache bleibt, daß durch die Befragung der sogenannten Basis eine Sonderermächtigung - und zwar nach der Wahl(!), eingeholt wird! Und das kommt nunmal einer Graduierung von Wählerstimmen gleich.
(Orwell läßt grüßen: Alle Tiere sind gleich, ...)
P.S.: Eine Bitte: Ich würde es übrigens begrüßen, wenn Sie das duzen unterlassen würden.
Haben Sie tatsächlich den Bundestag gewählt? - Oder haben Sie doch nur ein Kreuzchen bei einer Partei gemacht?
Mit dem Kreuz nimmt man an der Bundestgswahl teil. Es bleibt dabei: Die Abgeordneten sind in ihrer Wahl frei.
Als Tatsache bleibt, daß durch die Befragung der sogenannten Basis eine Sonderermächtigung
Das hört sich doch schon ganz anders an.
Eine Bitte: Ich würde es übrigens begrüßen, wenn Sie das duzen unterlassen würden.
Es ist im Internet nun mal üblich, dass man sich duzt. Ab er wenn es Sie sonst keine Probleme haben, bitte schön.
Wie seit 1949?
Was wollten Sie jetzt mitgeteilt haben?
Vielleicht, daß sich Unrecht zu Recht wird, wenn es sich nur lang genug behauptet hat? Oiojojojoi.
@ Daniel Martienssen:
Also, auch der Fraktionszwang gehört wie das imperative Mandat zu den gesetzeswidrigen Mitteln. Was Sie meinen, was noch mit dem BVerfG auf Linie ist, ist die Fraktionsdisziplin. Und die Übergänge sind da recht fließend.
Meiner Meinung nach ist der Grund für die "Ausfälle" der Frau Slomka ein sehr banaler:
Ich denke, die Slomka wollte etwas mehr Öffentlichkeit für sich, damit sie wieder vermehrt für die Moderation von Firmenveranstaltungen gebucht wird.
Sie haben vollkommen recht. Es ist abwegig von einem imperativen Mandat zu sprechen und aus dem Mund eines Staatsrechtsprofessors ist es geradezu bizarr. Als wäre es legal verbindlich für die SPD-Abgeordneten, was die Basis von einer politischen Vereinbarung mit den Abgeordneten der Union so denkt... Als verstieße es gegen ein Gesetz oder auch nur gegendie Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, wenn die Abgeordneten der SPD ihrer Basis beide Mittelfinger zeigen und trotzdem Groko machen.
Dass sie es nicht tun, ist freiwillig. Und ihr gutes Recht.
Was allerdings stimmt, ist dass das Wort "Stimmvieh" inzwischen mehr auf den Durchschnittsabgeordneten zutrifft als auf seinen Wähler. Aber auch das ist das Recht des Abgeordneten. Und es ist das Recht des Wählers, solche Abgeordneten zu wählen und keine anderen.
@ Daniel Martienssen:
"Dass das Mitgliedervotum aber imperative Wirkung hat, ist unbestritten. Es verpflichtet den SPD-Vorstand sich nach dem Votum der SPD-Basis zu richten. Das ist verfassungsrechtlich nicht bedenklich, sondern innerparteiliche Demokratie."
Wenn diese Abstimmung irgend einen Sinn haben soll aus Sicht der SPD, verpflichtet das Votum der Basis nicht nur den Vorstand, sondern alle Abgeordneten, entsprechend im Bundestag zu wählen.
Und wenn dann Gauck Merkel als Kanzlerin vorgeschlagen hat, dann sollen die per Basis-Entscheidung verpflichteten Abgeordnenten für oder gegen sie und damit auch für oder gegen die Koalition/den Koalitionsvertrag stimmen.
In dem von Ihnen verlinkte Spiegel-Artikel lässt sich zum Problem des imperativen Mandats bereits 1983 sehr schön lesen (und da hatten nicht nur die Grünen ein Problem mit):
"Im Spannungsverhältnis von Artikel 21 GG zu Artikel 38 GG - "dieser durch nichts auszuräumende Widerspruch" (Leibholz) - wurde der an Weisungen und Aufträge nicht gebundene, nur seinem Gewissen unterworfene Abgeordnete ein ziemlich seltenes Exemplar.
Schon der Wunsch, wiederaufgestellt zu werden, verleitet häufig zur Anpassung an die Stimmungslage von Parteigrößen und -gremien. Fraktionszwang und Koalitionsfestlegung vor Wahlen, Rechtfertigungspflicht auf Parteitagen und -versammlungen sowie Konsultationspflicht von Abgeordneten und Regierungsmitgliedern vor anstehenden Sachentscheidungen sind weitere Stufen weg vom freien Mandat."
[...]
Der Kieler Politikwissenschaftler Werner Kaltefleiter, CDU-Mitglied, hat schon vor Jahr und Tag diesen Mechanismus aufgezeigt. Er hat "eine Vielzahl von Parteiaktivitäten" beobachtet, die "in 'Richtung' auf ein imperatives Mandat zielen, ohne freilich den Definitionskriterien des imperativen Mandats im juristischen Sinne vollständig zu entsprechen, die aber andererseits die Entscheidungsfreiheit des gewählten Abgeordneten zum Teil entscheidend begrenzen". "Die Verfassungswirklichkeit" in der Bundesrepublik sei durch eine "Grauzone zwischen den Idealtypen des freien und des imperativen Mandats gekennzeichnet".
Die Gleichung Politische Willensbildung = Partei bzw. Fraktion ist schon so selbstverständlich, dass man fast gar nicht mehr weiß, dass es auch anders sein kann (und dafür muss man die Parteien nicht gleich abschaffen, irgendwas dazwischen geht auch).
Die Parteien sollen nicht der Nabel der Welt sein, wenn es um politische Willensbildung geht.
Halte zu Gnaden euer Ehren (Steigerung von Sie): Wahrscheinlich wollte ich sagen, dass der von dero Gnaden behauptete Fakt (Wahl der Regierung durch die Abgeordneten von Parteien) schon länger besteht, vielleicht auch, dass im Angesicht der konkreten Fragestellung dero Gnaden Post damit nicht wirklich erkenntnissteigernd oder zielführend ist. Vielleicht.
Ist es denn etwa zielführend, diesen Umstand als länger schon bestehend nur zu konstatieren, ohne etwa zu berücksichtigen, daß die Zeit eine andere und in ihr die Menschen andere geworden sind; daß es nämlich heute Menschen sind, die ihre Bedürfnisse an die Organisation eines Gemeinlebens anders wollen als diejenigen, die zu dem Zeitpunkte der Gründung des Bestehenden mehrheitlich diesem nichts entgegengesetzt haben, weil sie erstens durch das verklebt sein mit Obrigkeitsstrukturen und insbesondere durch ein kollektives Trauma sich das eigene Wollen dazu selbst abgesprochen haben, und daß die heutigen Menschen, persönlich frei von diesem Trauma zurecht kritisch einfordern die Umsetzung z.B. des Art. 20 GG und damit endlich die Umsetzung dieser Form des staatlichen Miteinanders begehren? Was in Ihrem Kommentar: oi250329.11.2013 | 17:57 mitschwingt ist lediglich ohnmächtige Spießbürgermentalität nach dem Motto: es war ja schon immer so. Das allerding ist keineswegs progressiv zielführend, nicht einmal klar einen Standpunkt konstatierend.
Ich fand endlich mal etwas Würze - in den schon so oft langweiligen geplapperte… Frau Slomka und Herr Gabriel haben sich wie zwei Eheleute gestritten über das richtige Kochrezept zum Braten! Mir hat das gefallen!
Verfassungsrechtliche Bedenken sind kein Quatsch...,
Quatsch nicht, aber sie können schon sehr abwegig sein, was im juristischen Sprachgebrauch nur ein anderes Wort für Quatsch ist. Frau Slomka und der von ihr namentlich nicht genannte Verfassungsrechtler Degenhardt haben die Ebenen vermischt. Die Frage, was die Partei will, hat nichts damit zu tun, was der/die einzelne Abgeordnete tun oder lassen darf oder muss. Es ist im Vereinsrecht - und Parteien sind Vereine - absolut üblich, in wichtigen Fragen die Mitglieder entscheiden zu lassen. Maßgeblich ist § 32 BGB. Dieser lautet:
(1) Die Angelegenheiten des Vereins werden, soweit sie nicht von dem Vorstand oder einem anderen Vereinsorgan zu besorgen sind, durch Beschlussfassung in einer Versammlung der Mitglieder geordnet. Zur Gültigkeit des Beschlusses ist erforderlich, dass der Gegenstand bei der Berufung bezeichnet wird. Bei der Beschlussfassung entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen.
(2) Auch ohne Versammlung der Mitglieder ist ein Beschluss gültig, wenn alle Mitglieder ihre Zustimmung zu dem Beschluss schriftlich erklären.
Danach ist der Mitgliederentscheid sogar das Grundmodell der Entscheidungsfindung. Das kann zwar im Rahmen der Vereinsautonomie in der Parteisatzung geändert werden, z.B. in der Weise, dass die Vorstandsentscheidung die Regel und die Entscheidung der Mitgliederversammlung die Ausnahme ist, was aber nichts daran ändert, dass Entscheidungen durch die Mitglieder möglich bleiben, weil dies, wie gesagt, sogar das Grundmodell bei der Entscheidungsfindung ist. Deshalb ist überhaupt nichts dagegen einzuwenden, dass die Satzung der SPD den Mitgliederentscheid ausdrücklich als Variante der innerparteilichen Entscheidungsfindung vorsieht (§ 13 der Satzung).
Daraus folgt: Frau Slomka hätte nicht so abwegig fragen sollen - was sie übrigens öfter tut und gerne süffisant - und Gabriel hätte gut daran getan, das Wort "Quatsch" durch das Wort "abwegig" zu ersetzen. Aber ich kann schon verstehen, dass ihm der Kragen platzte. Denn vor einem Millionenpublikum viel- und nichtssagend mit "verfassungsrechtlichen Bedenken" zu hantieren, wie es Frau Slomka für richtig hielt, dient in jedem Falle der Verunsicherung. Und die kann die SPD momentan nicht brauchen.
seriousguy47 30.11.2013 | 13:35
Das ist ja schon eine etwas seltsame Debatte, die da in der Öffentlichkeit geführt wird. Das fängt schon bei den Begriffen an. Mitgliederentscheid und Mitgliederbefragung werden synonym benutzt und beliebig durcheinender geworfen.
In der Satzung der SPD habe ich allerdings nur den Begriff "Mitgliederentscheid" gefunden. Und dessen Ergebnis ist für die betroffenen Parteiorgane bindend, sofern mindestens ein Drittel der Stimmberechtigten für oder gegen den Entscheidungsgegenstand gestimmt hat.
http://spdnet.sozi.info/bayern/oberpfalz/dl/Satzung_SPD.pdf
Allerdings ist die SPD-Fraktion des Bundestages kein Parteiorgan. Eine Ablehnung des Koalitionsvertrages hat also mit den Abstimmungen im Bundestages gar nichts zu tun. Damit ist denn auch die Frage eines Imperativen Mandates erledigt.
Dies ist in der SPD-Satzung auch ausdrücklich fomuliert:
"(2) Gegenstand eines Entscheids können nur solche Beschlüsse sein, die nicht durch Parteigesetz oder durch andere Gesetze ausschließlich einem Organ vorbehalten sind...."
Im Bundestag wird auch nicht über Koalitionsverträge abgestimmt, sondern über den/die/das Kanzler, über Gesetze, Vorlagen von Regierung und Opposition usw.
Als Beispiel formuliert: die SPD-Mitglieder haben zwar Scharping zum Kanzlerkandidaten gewählt, Kanzler aber wurde er nicht. Weder durch die Wählermehrheit noch im Bundestag.
Die SPD könnte also bei Ablehnung des Koalitionsvertrages sehr wohl eine Regierung mit der CDU/CSU bilden oder eine Minderheitsregierung von CDU/CSU dulden/ punktuell unterstützen. Nur dann eben ohne vorherigen Koalitionsvertrag.
Jedenfalls ist eine solche Entscheidung - ob als Entscheid oder Befragung - für die Bundestagsabgeordneten nicht bindend. Und deren Abstimmungsverhalten ist auch im einzelnen nicht nachprüfbar, da Kanzler geheim gewählt werden.
http://www.bundestag.de/service/glossar/G/geh_abst.html
Erst danach wird öffentlich einsehbar, wer Minister/-in wird und wer welchen Dingen zustimmt oder nicht. Und abgerechnet wird, wenn überhaupt, erst bei den Kandidatenaufstellungen zur nächsten Wahl. Und bis dahin kann sich die Stimmung längst umgekehrt haben.
Bei Ablehnung des Koalitionsvertrages könnte also z.B. nachverhandelt werden, CDU/CSU und Grüne könnten verhandeln, Gauck könnte Merkel als Kanzlerin vorschlagen und der Bundestag könnte sie wählen. Danach könnte sie weiter über eine Regierungsbildung verhandeln.........Oder man würde eben Neuwahlen machen.
Der SPD-Mitgliederentscheid ist also vor allem Psychologie, Druckmittel gegen die CDU/CSU und innerparteilicher Machtkampf der Basis gegen die Führung. Und ein Mittel der Führung, der Basis Mitbestimmung vorzugaukeln.
Die Bundestagsabgeordneten verpflichtet er zu gar nichts.
http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_38.html
Sie haben das sehr schön und richtig ausgeführt - die Abwegigkeit DIESER verfassungsrechtlichen Scheindebatte.
Aber Sie haben meinen Kommentar nicht zu Ende gelesen: ich halte eine andere Artverfassungsrechtlicher Problematik nicht für Quatsch (nach der besagte Dame nicht gefragt hat): nämlich die einer so überragenden Regierungsmehrheit, dass Kontrollmechanismen aus dem Parlament nicht mehr greifen. Dabei geht es allerdings mehr um das in der Verfassung nicht vorgesehene als um das dort geregelte.
>>...die Autoren der Verfassung haben offenkundig nicht damit gerechnet, dass es einst eine Regierungsmehrheit geben könnte, die Untersuchungsausschüsse und die Anrufung des BVerfG verhindern könnte.
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Verkehrte Welt!<<
Es gibt im "provisorischen Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland" einen Passus, dessen Anwendung die verkehrte Welt vom autoritären Kopf auf demokratische Beine stellen kann:
Artikel 20, Absatz 4
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
Natürlich haben die üblichen Verdächtigen "verfassungsrechtliche" Bedenken gegen die Anwendung von GG 20.4 .
Ich habe sie nicht.
Nein, Bedenken sind kein Quatsch, sondern vielmehr sehr angebracht. Die Grundordnung der BRD ist die repräsentative Demokratie.
Hätte die Befragung der SPD Mitglieder VOR Koalitionsverhandlungen gelegen wäre sie ein basisdemokratisches Element in der innerparteilichen Demokratie gewesen und hätte das Prinzip der Repräsentation nicht berührt.
Da sie aber NACH einer allgemeinen Wahl und NACH einer Entscheidung der innerparteilich gewählten Vertreter (für eine Koalition) durchgeführt wird, bricht die Befragung das Prinzip der Repräsentation. Eine Gruppe nicht gewählter, nicht legitimierter Bürger entscheidet. Es ist auch dann ein Problem, wenn die Bundestagsabgeordneten nicht an diese Entscheidung gebunden sind.
Schön, meinen oben genannten Gedanken dazu, auch hier bei Ihnen zu finden.
So klappt es nun hoffentlich mit dem link.
Große Politik ist das SPD-Mitgliedervotum nicht, eher viel Getue um nichts. Die verfassungsrechtlichen Bedenken sind tatsächlich Quatsch und belanglos.
Wirklich unerträglich ist ein ganz anderer Quatsch.
Und dieser Quatsch betrifft alle Menschen in unserer Gesellschaft und natürlich auch die SPD-Mitglieder: Es geht um die Haltung der SPD als Erfinderin der Hartz4-Strukturen und es geht um
die Justiz, die dieses Unrecht "ignoriert" und nicht handelt!
Der soziale Rechtsstaat wird mit dieser Politik mittels geballten Rechtsbeugungen so nachhaltig beschädigt, dass viele Menschen am Rande unserer Gesellschaft den Unrechtsstaat fühlen und Widerstand gegen diese Strukturen staatlicher Gewalt leisten.
Eine SPD für mehr Demokratie und Freiheit ohne Angst - das wäre notwendig und - kein Quatsch.
Halten wir fest, die SPD fragt bei ihren Mitgliedern nach, ob sie dem Koalitionsvertrag zustimmen möchte, den die Parteioberen (gerne halbe Nächte durch) ausgeklüngelt haben und Frau Slomka plappert davon, dass dadurch die Verfassung, sprich die Demokratie, ausgehebelt wird (oder - wegen mir - ausgehebelt werden könnte).
Das ist kein "Quatsch".
Nein, das ist es nicht: Das ist ausgemachter Schwachsinn!
Langsam frage ich mich wirklich, was das für Dummköpfe sind, die die öffentliche Debatte in diesem Land bestimmen.
Dass es dann hier im Forum noch welche gibt, die an der Slomka (oder ihren Argumenten) noch was finden (wollen), wundert mich schon gar nicht mehr ...
Ich hege keine Sympathie große für Gabriel, doch dass da einer bei solchen Hirnlosigkeiten die Welt nicht mehr versteht - das kann ich nun wirklich gut nachvollziehen.
GG Artikel 21:
(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.
>Politische Willensbildung< untersucht man am besten an einem akuten Problem:
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/so-wird-demokratie-geschreddert
Vor der Wahl haben die Parteien darüber entschieden, ob das Volk einen politischen Willen pro oder contra „TAFTA“ entwickeln soll. Das heisst, sie hätten darüber informieren können, was das „Freihandelsabkommen“ konkret bedeutet und selber dazu Stellung nehmen können. Dann hätten die Wähler Befürworter oder Gegner in das Parlament wählen können. Sie haben das nicht getan und so an der Willensbildung pro „TAFTA“ mitgewirkt.
>Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen.<
Nach der Wahl kann eine Partei per Mitgliederentscheid darüber bestimmen, ob „TAFTA“ von einer formalen Koalition befürwortet wird, in der alle beteiligten Parteien Ministerposten besetzen. Oder ob von einer informellen Koalition darüber entschieden wird, in der nur eine Partei alle Ministerposten besetzt (im vorliegenden Falle "Minderheitsregierung" genannt).
Für das Volk hat diese Formalie keine Auswirkungen: Parlamentsentscheidungen sind wirksam, egal ob ausschliesslich von Abgeordneten einer Regierungspartei oder auch von Abgeordneten einer Nichtregierungspartei entschieden wurde.
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Etwas Anderes ist GG Artikel 20, der in Absatz 4 sagt:
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
Wenn eine Zweidrittelmehrheit des Bundestages Eingriffe in das GG zum Nachteil des Volkes beschliesst, dann werden gesetzestreue Bürger zweifellos ihre Widerstandsmittel, z.B Arbeitsstreik, Konsumstreik etc. dagegen einsetzen, oder? Weil ja parlamentarische Abhilfe nicht mehr möglich ist.
Das könnte zum Beispiel dann der Fall sein, wenn ein Passus von „TAFTA“ nicht mit GG Artikel 14.2 vereinbar ist.
Marietta-dicht-daneben-ist-auch-vorbei-Slomka war mal wieder echt göttlich. Ich habe mich voll amüsiert.
Sigi hätte sich einfach etwas entspannen sollen. Das unerträgliche ZDF – mit seiner als Journalismus getarnten, unverholenen Regierungsnähe kann man wirklich nicht mehr ernst nehmen. Das beste am ZDF ist inzwischen echt die Heute-Show.
Egal ob jetzt Slomka, Bettina Schausten oder Thomas Walde, in buchstäblich allen Interviews mit Oppositionsführern wurde entweder – wie jetzt bei Slomka – schlecht recherchierte Materie als Fakt dargestellt. Oder, besser noch – wie bei Walde mit Kipping – lies man den Interviewpartner gleich gar nicht zu Wort kommen.
Das ist kein Journalismus: Das ist Douchebaggery! Alle Subventionen streichen, alle entlassen, ZDF dichtmachen. Braucht kein Mensch mehr.
Wenn Marietta-dicht-daneben-ist-auch-vorbei-Slomka hätte ihren Job machen – und über Verfassungswidrigkeiten im Zusammenhang mit der GroKo berichten wollen –, dann hätte sie, wenn sie denn mal den Koalitionsvertrag gelesen hätte *heul, schnüff*, auch etwas entdecken können, das tatsächlich sehr bedenklich ist. Allerdings nicht den Mitgliederentscheid. Sondern sie hätte fast ganz am Ende auf Seite 184 lesen können:
„Im Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab. Das gilt auch für Fragen, die nicht Gegenstand der vereinbarten Politik sind. Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlossen.“
Darüber hätte man reden können. Kam aber keiner drauf. Schlecht, schlechter, doppelt schlecht ...
Christph Leusch hat dazu einen großartigen Blog hier laufen: "Koalitionsvertrag verfassungswidrig? Superdemokratie"
Im Nachhinein betrachtet hat Frau Slomka Herrn Gabriel ein riesen Gefallen getan. Jeder, der das Interview von der SPD-Parteibasis gesehen hat und bislang dem Koalitionsvertrag skeptisch gegenüber stand, wird sich jetzt eher zustimmend verhalten.
Es tritt ein so genannter Solidarisierungseffekt mit Gabriel ein, weil Frau Slomka im Prinzip das Mitgliedervotum der Parteibasis als verfassungsschädlich hinstellt, was im Übrigen nicht stimmt. An mehreren Stellen wird zudem die Pateibasis in toto angegriffen, wie es denn angehen könnte, dass 470 000 Parteimitglieder über das Schicksal Deutschlands entscheiden können und nicht etwa das Wahlvolk mit über 60 Mio. Wahlberechtigten.
Gabriel verliert in dem Interview zwar etwas die Contenance, das schadet ihm parteiintern überhaupt nicht, weil er sich quasi schützend vor die Pateibasis stellt. Die weitaus für die Abstimmung relevante Frage nach der Nichtbekanntgabe der Kabinettsbesetzung trat in dem Interview völlig in den Hintergrund.
Nachdem jedermann weiß, dass Frau Slomka eher dem CDU-Lager zuzuordnen ist - ihr Vater ist CDU-Mitglied - stellt sich die Frage, ob hinter diesem Interview nicht ganz andere Interessen stehen und der Schlagabtausch wohl kalkuliert war. Insofern wären die Verbindungslinien zwischen dem Regierungssprecher Steffen Seibert und der Heute-Redaktion genauer unter die Lupe zu nehmen. Das umso mehr, nachdem Seehofer sich ebenfalls schützend vor Gabriel gestellt hat und die Interviewführung Slomkas öffentlich kritisiert hat.
Ein Schelm, der dabei Böses denkt.
Im Nachhinein betrachtet hat Frau Slomka Herrn Gabriel ein riesen Gefallen getan. Jeder, der das Interview von der SPD-Parteibasis gesehen hat und bislang dem Koalitionsvertrag skeptisch gegenüber stand, wird sich jetzt eher zustimmend verhalten.
Es tritt ein so genannter Solidarisierungseffekt mit Gabriel ein, weil Frau Slomka im Prinzip das Mitgliedervotum der Parteibasis als verfassungsschädlich hinstellt, was im Übrigen nicht stimmt. An mehreren Stellen wird zudem die Pateibasis in toto angegriffen, wie es denn angehen könnte, dass 470 000 Parteimitglieder über das Schicksal Deutschlands entscheiden können und nicht etwa das Wahlvolk mit über 60 Mio. Wahlberechtigten.
Gabriel verliert in dem Interview zwar etwas die Contenance, das schadet ihm parteiintern überhaupt nicht, weil er sich quasi schützend vor die Pateibasis stellt. Die weitaus für die Abstimmung relevante Frage nach der Nichtbekanntgabe der Kabinettsbesetzung trat in dem Interview völlig in den Hintergrund.
Nachdem jedermann weiß, dass Frau Slomka eher dem CDU-Lager zuzuordnen ist - ihr Vater ist CDU-Mitglied - stellt sich die Frage, ob hinter diesem Interview nicht ganz andere Interessen stehen und der Schlagabtausch wohl kalkuliert war. Insofern wären die Verbindungslinien zwischen dem Regierungssprecher Steffen Seibert und der Heute-Redaktion genauer unter die Lupe zu nehmen. Das umso mehr, nachdem Seehofer sich ebenfalls schützend vor Gabriel gestellt hat und die Interviewführung Slomkas öffentlich kritisiert hat.
Ein Schelm, der dabei Böses denkt.