Wähler mit Protesthintergrund: Wohin geht es Piratenpartei?

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Die Bundesgeschäftsführerin der Piratenpartei, Marina Weisband, zu Gast im Freitagsalon: Ihre teils kluge Analyse über das typisch Deutsche und ihr Ansatz vom Politischen wird überschattet von der zunehmenden Kultivierung und Inszenierung des Seichten und Trivialen. Die Zweifel wachsen.

Marina Weisband ist eine zierliche Person, sie droht von der schwarzen Schlucht des Studios vom Maxim Gorki-Theater in Berlin verschluckt zu werden. Jakob Augstein hingegen wirkt als Gegengewicht auf der Bühne, als derjenige, der das unvermeidliche aufzuhalten vermag.

Vom äußeren Bild unbeeindruckt schafft es Frau Weisband jedoch rasch sich in eine Sicherheit und in eine Position mit gefestigten Standpunkt zu hieven, jedenfalls dann, wenn sie prägnant als eine von außen nach Deutschland immigrierte Person die deutsche Befindlichkeit, die deutsche Seele beschreibt.

So berichtet sie in einer Anekdote über einen Wettbewerb, an dem sie als Schülerin teilgenommen hat und der zur Aufgabe stellte, ein deutsches Charakteristikum zu benennen. Viele Teilnehmer hätten Eichenblätter und ähnliches mitgebracht, sie aber habe eine Hausordnung bei sich gehabt, um den deutschen Charakter ein Bild zu geben.

Die Bundesgeschäftsführerin der inzwischen aufstrebenden Zwölf-Prozent-Partei hat selten zuvor ihre bis in die Gegenwart hinreichende Rolle als Außenstehende so hervorgehoben. Dieser erfrischend realistische Blick auf das Deutsche ist der Part des Gesprächs, in dem Frau Weisband brilliert, in der ihre kluge Analyse hervorsticht.

Piraten als Protestbecken?

Eine erste Keule der politischen Mitbewerber und Teilen der Medienlandschaft, lediglich Partei für Protestwähler zu sein, pariert Weisband, indem sie den Protestwähler als denjenigen ausmacht, der mit den etablierten Parteien unzufrieden sei und deswegen zurecht bei der Piratenpartei Alternativen finden könne.

Ein Wermutstropfen an diesem Abend ist die Niederlage des Bundesvorstands vom heutigen Tag vor dem Bundesschiedsgericht der Partei hinsichtlich des beantragten Parteiausschlussverfahrens von Bodo Thiesen, der mit rechtsradikalen Äußerungen von sich reden gemacht hat und nun weiterhin Parteimitglied sein darf.

Die Frage drängt sich unweigerlich auf, ob der von Frau Weisband beschriebene Wertekanon ihrer Partei nicht doch noch zu undefiniert ist, so dass auch Meinungen am äußersten rechten Rand Platz finden können. Hier zeigt sich eine deutliche Schwachstelle der Partei, die sich mittelfristig durch zunehmende Popularität und politischer Beobachtung in ein ausgewachsenes Problem verwandeln wird.

Die Erfindung eines eigenen Begriffsystems

Als Augstein sie zum Politikansatz der Piratenpartei, zu ihrem persönlichen Politikansatz befragt, wartet Frau Weisband mit eigenen Definitionen und Begrifflichkeiten auf, die sich schnell von hergebrachten politikwissenschaftlichen Ansätzen lösen, nachdem sie jedoch -wohl auch inspiriert durch einen Blogbeitrag aus der Freitags-Community- die Piratenpartei als die Bewegung der Informations- und Kommunikationswelle seit Beginn der 1990er Jahre kennzeichnet.

Ihrer Ansicht nach, führe mehr Kommunikation im Internet zu einem generellen Verwerfen vom Herrschaftsbegriff und mehr Macht für den Einzelnen. Das Internet sei bisher ein Raum der Freiheitsentfaltung und mehr als nur ein bloßes Medium für Informationsaufnahme.

Frau Weisband führt hier mit aller Chuzpé ohne weitere Erläuterung ein eigenes Deutungs- und Begriffssystem ein, das der Realität in einigen Facetten nicht standhalten kann.

Dass sich der Herrschaftsbegriff auch im Informationszeitalter gerade nicht erledigt hat, beweist Frau Weisband an anderer Stelle unfreiwillig selbst. Bei der Vorstellung des basisdemokratischen Konzepts "Liquid Democracy" wird deutlich, dass die repräsentative Demokratie im Miniformat durch die Hintertür wieder eingeführt wird. So ist es in diesem Partizipationsforum möglich, dass die Partizipierenden ihre Stimme in Einzelfallentscheidungen oder auch permanent an andere Teilnehmer übertragen können.

Mein Name ist Haase und ich weiß von allem

Weisband berichtet, dass ein gewisser Martin Haase, seines Zeichens Romanistik-Professor an der Universität Bamberg, ein solches Vertrauen unter den Partizipierenden in seine Expertise genießt, dass er bei Abstimmungen über "Liquid Feedback" weit über 150 Stimmen auf sich vereinigen kann.

Auch hier kommt die direkte Demokratie doch nicht ohne Repräsentation im Miniformat aus und Augstein grätscht spitzfindig dazwischen, ob es nicht auch Absprachen mit diesen Personen gebe, nach dem Motto: "Mensch, du vereinigst so viele Sitmmen auf dich, könntest du nicht mal..."

Liquid Feedback und Liquid Democracy werden zur parteiinternen Willensbildung bereits eingesetzt und sollen durchaus auch als gesamtgesellschaftliches Modell zur Willensbildung ausgebaut werden. Ein Ansatz, der lohnt diskutiert zu werden.

Die Utopie: Internet ohne Schranken

Augstein ist kurz vor Ende der Diskussion daran gelegen, das für die Piratenpartei leidige Thema "Urheberrecht" auf die Agenda zu setzen. Auf fast keinem Feld ist das Einfallstor für Kritik größer als hier. Weisband schafft es, durchaus engagiert ihre Utopie von der Informationsweitergabe, vom Potential der grenzenlosen Flut an Information in Form einer Datei darzulegen. Wenngleich hier die Keule der Umsonst-Mentalität im Raume schwingt, versucht sie auch Realitätsverzerrungen gerade zu rücken und keineswegs das Zerrbild vom Urheberrechtsvernichter aufrechtzuerhalten.

Vielleicht erscheint es sinnvoller an dieser Stelle das Dilemma von der Umsonst-Mentalität auf der einen Seite, sobald man für die Legalisierung von Internet-Tauschbörsen eintritt und der hohen Eingriffsintensität in die Internetfreiheit, sobald man Schranken in den Datenverkehr installieren würde, deutlich herauszustellen. Lösungsansätze sind dann das Kerngeschäft der Piratenpartei.

Die digitale Bohème wendet sich ab: die Kultivierung des Seichten

Das Etikett der Anti-Intellektuellen-Partei geistert seit einiger Zeit durch die Medienlandschaft und zum Ende der Veranstaltung, als die Diskussion für das Publikum geöffnet wird, bricht sich der Frust eines offensichtlich digital-affinen Zuschauers Bahn.

Mit harschen Worten kritisiert er in der Piratenpartei eine Kultvierung des Seichten und Trivialen, in der seine Motivation in dieser politischen Bewegung zu partizipieren gegen Null tendiert. Er kritisiert, die Partei bestehe seit über fünf Jahren, ohne dass nennenswerte Entwicklungsstufen genommen worden sind.

Zu Recht drängt sich zunehmend der Verdacht auf, dass das Amateurhafte zur Masche wird, das Understatement zum System. Wenn das so ist, dann ist die Perfidie, mit der diese Partei den Politikbetrieb derzeit aufmischt durch keine etablierte Partei zu überbieten.

Noch überwiegt jedoch der Kredit in ihre Anliegen diesen Zweifeln.

Ein ausführlicher Bericht über den Freitagsalon mit Marina Weisband von Juliane Löffler findet sich hier

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Daniel Martienssen

Enttarnung durch Analyse: ein privates Blog zu Demokratie und Rechtsstaat, Soziales und ein bisschen Kultur.

Daniel Martienssen

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