Der deutsche Demokrat?

Gesellschaft Die Debatte um Mesut Özil zeigt, wie wenig wir in den letzten Jahren über erfolgreiche Integration gesprochen haben. Ein Appell

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"Der Streit um Özil zeigt uns, dass in vielen Köpfen „Deutschsein“ noch immer über eine ethische Checkliste funktioniert"
"Der Streit um Özil zeigt uns, dass in vielen Köpfen „Deutschsein“ noch immer über eine ethische Checkliste funktioniert"

Foto: Catherine Ivill/Getty Images

„Heulsuse“, „Diktatorenfan“ und „Türkensau“ klingt es von der einen Seite, „Rassismus“ und „Hetze“ schallt es von der anderen. Die Debatte um Mesut Özil polarisiert: Während die einen ihn für sein Foto mit Erdogan – und seine mittelmäßige Performance bei der Weltmeisterschaft – scharf angreifen, verteidigen ihn andere als ein Opfer und scharfsinnigen Kritiker von Rassismus,. Es scheint, wie auch Jakob Augstein im Spiegel attestiert, ein neuer Hunger auf aggressive Diskussionen erwacht zu sein. Bild-Chef Julian Reichelt war lange Kriegsreporter und wähnt sich offenbar immer noch auf dem Schlachtfeld. Sein Frontalangriff auf Özil kommt aggressiv oder gar ungehörig daher. Ob Özil, Flüchtlingsdebatte oder AfD: Wer nicht schreit, wird kaum gehört.

Dabei ist der Fall Özil eigentlich keine Frage des „Entweder-oder“, sondern des „Sowohl-als auch“. Er kann als deutscher Staatsbürger sowohl Opfer von Rassismus sein, als auch für seine Wahlkampfhilfe für einen proto-diktatorischen Staatspräsidenten heftig kritisiert werden. Es sollte doch eigentlich logisch sein: Wer ihn für seine Missachtung der demokratischen Werte kritisieren will, sollte dabei selbst auf dem Boden ebenjener Grundwerte stehen – Rassismus und Hetze untergräbt hier eindeutig jedes sinnvolle Argument.

In vielen Fällen kann eine konfrontative Debatte, solange sie sachlich bleibt, aber durchaus Themen neu beleben. Özils Ausspruch „Wenn ich gewinne, bin ich Deutscher; wenn ich verliere, bin ich Immigrant“ etwa hat ein großes Problem wieder in die Öffentlichkeit gerückt: Integration. Die Frage, warum ein deutscher Bürger mit Migrationshintergrund in einigen Köpfen nur dann als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft wahrgenommen wird, wenn er erfolgreicher Fußballer, Künstler, Unternehmer oder Politiker ist, stellt uns vor eine unangenehme Feststellung: Wir haben in den letzten Jahren zwar viel über Zuwanderung diskutiert, dabei aber die Frage nach der richtigen Integration aus den Augen verloren.

Der Streit um Özil zeigt uns, dass in vielen Köpfen „Deutschsein“ noch immer über eine ethische Checkliste funktioniert: Wer spricht Deutsch, wer hat deutsche Vorfahren und lebt die deutsche Kultur. Zur Checkliste gehören inzwischen aber auch immer öfter staatsbürgerliche Pflichten: Wer unterstützt den deutschen Bundespräsidenten, das deutsche Grundgesetz und die deutsche freiheitlich-demokratische Grundordnung.

Oft fließen beide Verständnisse vom Deutschsein in der Debatte zusammen. Doch die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund sollte hauptsächlich vom institutionell-demokratischen Verständnis vom „Deutschsein“ geprägt sein. Den Anfang könnte ein neues Einwanderungsgesetz machen, das auch Hubertus Heil in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gefordert hat. Nach dem kanadischen Vorbild sollen Punkte vergeben werden, darin sind sich alle Parteien einig. Die Frage ist nur, nach welchen Kriterien?

Eine hohe Priorität sollte sicherlich die Integration in den Arbeitsmarkt haben: Wer im Job täglich mit deutschen Mitbürgern zu tun hat, fügt sich schneller in die Gesellschaft ein. Aber auch Bildung ist zentral, um Menschen mit Migrationshintergrund in den Geist unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu integrieren.

Bei den beschlossen Investitionen ins Bildungssystem sollten wir die Integration von Schülern mit Migrationshintergrund nicht bloß als Randthema, sondern essentielle Aufgabe verstehen. Die Generation der gegenwärtigen Schüler und Studenten wird Deutschland in Zukunft gestalten und prägen. Konkret bedeutet das – neben Deutschkursen – zum Beispiel auch mehr Ausflüge an deutsche politische Institutionen, eine Förderung zivilgesellschaftlicher Gruppen an Schulen oder mehr politische AGs. Dafür bräuchte die Regierung nicht einmal neue Gelder freizumachen. Die Bundesregierung hat den gesteckten Rahmen für Bildungsausgaben noch lange nicht ausgeschöpft: Anstatt der geplanten zehn Prozent der Wirtschaftsleistung sind es neun Prozent. Und ein Prozent macht immerhin 30,4 Milliarden Euro aus.

Die Bundesrepublik Deutschland ist seit jeher ein Einwanderungsland. Bis heute baut die deutsche Wirtschaft auf das Wirtschafswunder der 1950er und 1960er Jahre, dass von den damaligen „Gastarbeitern“ mitermöglicht wurde. Unsere Kultur, die Politik und der Sport sind geprägt vom Austausch deutscher Staatsbürger mit vollkommen verschiedenen Hintergründen. Kermani, Özdemir und ja, auch Özil. Es wäre fatal, das nicht zu erkennen – und noch verhängnisvoller, nichts daraus zu lernen. Ein neuer Verfassungspatriotismus, der Deutsche als diejenigen versteht, die sich zu unserem Grundgesetz bekennen und für seine Werte eintreten, sollte im Kern des Projekts „Integration“ stehen. Ein solches Konzept der Integration über ein Einwanderungsgesetz hinaus kann unser Land nur vorwärts bringen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Daniel Stich

Generalsekretär und Landesgeschäftsführer der SPD Rheinland-Pfalz

Daniel Stich

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