"Prognosen sind äußerst schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen"
Dieses schöne Zitat wird immer mal wieder jemandem anderen zugeschrieben, mal Mark Twain, mal Winston Churchill, und mal Kurt Tucholsky...
Im aktuellen FREITAG hat Uwe Kühnert unter dem Titel: "Die Geschichte vom leeren Osten. Glaskugel. Prognosen darüber, wie wenig Menschen in 50 Jahren in Ostdeutschland leben, verändern die Politik. Fragt sich nur, in wessen Interesse?" einen Beitrag verfaßt, der - wie ich meine - doch ein paar Anmerkungen verdient hat.
Der erste Abschnitt widmet sich ein wenig polemisch der Frage, inwieweit Prognosen verläßlich sind, um zu dem Schluß zu kommen: sie sind es nicht. Nun ja, sie sind schwierig, aber nicht ganz unmöglich, und wenn man sich ein wenig mit der Bevölkerungsentwicklung im Osten Deutschlands beschäftigt, dann können zumindest ein paar Annahmen, die Zukunft betreffend, mit einer Sicherheit gemacht werden:
1. Der Bevölkerungsrückgang hat zwei Ursachen. Zum einen der starke Geburtenrückgang, und zum anderen die Abwanderung. Die im Jahr 1990 einbrechenden Geburtenzahlen, die seitdem nicht wieder gestiegen sind, haben dafür gesorgt, daß die Generation der jetzt bis 20jährigen nur etwas mehr als halb so groß ist wie die vorhergehende. Blieben all diese jungen Erwachsenen in ihrer Heimat und bekäme jede Frau 2 Kinder, dann würde die Bevölkerung immer noch schrumpfen. Denn die Alten, die sich nicht mehr fortpflanzen, stürben ja nach und nach, bis die Bevölkerung in Ostdeutschland in etwa 50 Jahren bei 60 % der derzeitigen Population sich stabilisierte. Das gälte bei einem ausgeglichenen Wanderungssaldo.
Die Abwanderung aber findet nach wie vor statt. Und es gehen vor allem junge Frauen. Derzeit kommen im Osten Deutschlands in der Gruppe der 18- bis 40-jährigen auf 100 Männer etwa 85 Frauen. das heißt, würde die Abwanderung von heute auf morgen gestoppt werden, und bekämen alle junge Frauen im Schnitt zwei Kinder, dann würde sich - siehe oben - die Bevölkerung in etwa 50 Jahren nur auf die Hälfte der derzeitigen Population einpendeln.
Aber viele junge Frauen, die zum Beispiel zum Studium in den Osten kommen und dafür sorgen, daß die Geschlechterverhältnisse in den Großstädten in etwa ausgeglichen sind, gehen nach ihrem Abschluß in den Westen, weil sie im Osten weniger berufliche Möglichkeiten haben. Und viele ihrer ostdeutschen Geschlechtergenossinnen tun es ihnen, haben sie ihren Abschluß in der Tasche, gleich.
Soweit die derzeitige Situation. Natürlich können Prognosen nicht viel mehr, als derzeitige Annahmen hochzurechnen und in die Zukunft verlängern. Das ist - zugegebenermaßen - ein problematischer Ansatz. Aber einen anderen haben wir nicht.
Was man mit diesen Erkenntnissen nun tut, das steht auf einem ganz anderen Blatt. Regionen aufgeben, das kann und darf nicht die Lösung sein. Und an den sogenannten Leuchttürmen Hoffnung schöpfen, das ist auch nur ein Pfeifen im dunklen Wald, das die Berichte zum Stand der deutschen Einheit alljährlich wieder zelebrieren.
Was wir brauchen, sind innovative Ansätze, die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens beispielsweise, vielleicht probeweise in einem Landkreis in Sachsen-Anhalt zum Beispiel? Namibia hat in Otjivero vorgemacht, was eine solche Grundsicherung erreichen kann. Versuchen wir es doch mal hier bei uns, sonst macht tatsächlich irgendwann der letzte das Licht aus.
Kommentare 5
gelesen,
bin mit gesamter Familie abgewandert, besser weggezogen
Vielleicht versuche ich es doch mal in Namibia, schön warm, teilweise deutsche Sprache.
BGE ist wie billiger Fusel für intelligentere Menschen; die meisten Menschen wollen normal arbeiten und dafür richtig entlohnt werden. Vergiss mal nicht den sozialen Charakter und Funktionalitäten von Arbeitsverhältnissen im Vergleich zum BGE.
Bedingugsloses Grundeinkommen suggeriert, dass jeder so viel Einkommen hat, dass er davon sein Leben finanzieren kann. Klingt gut, nur hat Arbeit mehr als nur den Sinn, Geld zu verdienen. Sie hat kommunikativen Sinn, stärkt das Selbstbewusstsein, gibt dem eigenen Leben wichtigen Sinn. Nun kommt sicherlich der Einwand, es gibt nicht für jeden Arbeit. Doch die gibt es , wenn wir , entgegen vieler Kritiken, einen öffentlichen Beschäftigungssektor für nicht profitbringende Arbeiten in der Altenbetreuung, im sozialen Bereich haben. Das würde Menschen wieder eine Perspektive geben, es würde notwendige Arbeiten nicht liegenlassen, die profitorientierte Unternehmen nicht anpacken und es würde den Menschern ein Einkommen bescheren, für das sie etwas leisten müssen. Das wäre mehr wert, als nur ein BGE, weil es eine sozial und psychisch wichtige Komponente mit einschließen würde.
Ich möchte weder den sozialen Charakter von Arbeit vergessen, noch glaube ich, daß mit dem BGE weniger gearbeitet würde als derzeit.
Das Grundeinkommen aber wäre die Grundlage, auf der ein menschenwürdiges Leben stattfinden könnte. Und all die Produkte und Dienstleistungen, die wir konsumieren, müßten ja schließlich auch weiterhin hergestellt werden. Ich wundere mich immer wieder, daß das BGE als "billiger Fusel" oder Ähnliches bezeichnet wird. Gerade die Erfahrungen in Otjivero, in dem zweijährigen von Studien begleiteten Versuch, zeigen, daß ganz im Gegenteil das Grundeinkommen aktiviert und motiviert, daß Arbeit, Bildung und Einkommen zunimmt.
Zudem muß unter den derzeitigen Bedingungen immer mehr Arbeit mit Zuschüssen gefördert werden. Keine Industrieansiedlung, die nicht gewaltige Subventionen abschöpft. Wäre es nicht sinnvoller, den Menschen direkt das Geld zu geben, anstatt große Konzerne zu fördern? Dann gäbe es keine Bettler und Obdachlosen mehr, und keine Ausbeutung mit einer Entlohnung von unter 5 € pro Stunde. Denn eine solche Arbeit, die gerade einmal zum Leben reicht, oder noch nicht einmal reicht, bei der Vollzeitarbeiter noch mit Hartz IV aufstocken müssen, ist ganz sicher nicht sinnstiftend für ein Leben.
@Daniel
"...Zudem muß unter den derzeitigen Bedingungen immer mehr Arbeit mit Zuschüssen gefördert werden. Keine Industrieansiedlung, die nicht gewaltige Subventionen abschöpft. Wäre es nicht sinnvoller, den Menschen direkt das Geld zu geben, anstatt große Konzerne zu fördern? Dann gäbe es keine Bettler und Obdachlosen mehr, und keine Ausbeutung mit einer Entlohnung von unter 5 € pro Stunde. Denn eine solche Arbeit, die gerade einmal zum Leben reicht, oder noch nicht einmal reicht, bei der Vollzeitarbeiter noch mit Hartz IV aufstocken müssen, ist ganz sicher nicht sinnstiftend für ein Leben..."
Das ist jetzt nicht dein Ernst. z.B. BGE zur Verhinderung von Bettlern und Obdachlosen. Und Ausbeutung gibt es auch bei einem Stundenlohn von 15,- Euro, da kannst du dem ollen Marx glauben.
Doch, na klar, das ist mein voller Ernst! :o)
Ich will aber nicht Bettler und Obdachlose verhindern, sondern Obdachlosigkeit und extreme Armut. Beides würde, gäbe es das BGE, nicht mehr existieren.
Doch eigentlich war der Gedanke im Text, ein Grundeinkommen einzuführen, ja auch nur eine Möglichkeit, auf die veränderten demographischen Bedingungen im Osten Deutschlands zu reagieren. Und ich hatte - da ich zwar meine Annahmen habe, die ja auch keinesfalls richtig sein müssen - vorgeschlagen, darüber nachzudenken, ob man nicht vielleicht probeweise, in einem Landkreis, das BGE einführen sollte. Dann könnte überprüft werden, ob meine Vorstellungen unrealistisch sind oder nicht, oder ob Du vielleicht recht hast. Denn natürlich kann man die Erfahrungen aus Otjivero, so ermutigend sie auch waren, nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen. Doch da sich der Pudding bekanntlich beim Essen erweist, denke ich: Pobieren wir es aus, wir haben nichts zu verlieren!