Der Linken fehlt es an Visionen

Kommentar Der Linken fehlen progressive politische Projekte und Möglichkeiten, eine Gegenöffentlichkeit aufzubauen

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Junge Politikerinnen wie Alexandria Ocasio-Cortez und die Kampagne von Bernie Sanders zeigen, wie progressive Politik Wähler erreichen kann
Junge Politikerinnen wie Alexandria Ocasio-Cortez und die Kampagne von Bernie Sanders zeigen, wie progressive Politik Wähler erreichen kann

Foto: Alex Wong/Getty Images

Sieger der Europawahlen waren Parteien, die zumindest vorgeben, Lösungen für die derzeitigen Probleme zu haben. Auf der einen Seite Grüne Parteien, die die bevorstehende Klimakatastrophe ernst nehmen und dadurch eine erfolgreiche Mobilisierung ihrer Wählerschaft erreicht haben. Sie stehen für eine klar umrissene Politik auf einem der wichtigsten Politikfelder unserer Zeit. Auf der anderen Seite die Rechtspopulisten, die es wieder einmal geschafft haben, aus der traditionell linken Frage nach sozialer Gerechtigkeit eine Frage rechter Identitätspolitik zu machen. Anstatt "Arm" gegen "Reich" heißt es "Wir" gegen die "Anderen".

Raus aus der Defensive!

Die internationale Linke ist dahingegen gespalten. Man weiß nicht, wie man mit Europa umgehen soll. Sollte man die EU demokratisieren oder verlassen? Was genau wären denn Maßnahmen für ein demokratisches und soziales Europa? Dass die wichtige Frage jedoch nicht "Europa ja oder nein?" war, wird darin deutlich, dass die Gewinner der Wahl eben eine pro-europäische und eine anti-europäische Bewegung waren.

Währenddessen wurde ein defensiver Wahlkampf gegen den Rechtsruck geführt. Anstatt Visionen für eine bessere Zukunft, wurde gegen eine Zukunft eines erneuerten Natioanlismus gekämpft. Dabei sollte mittlerweile jedem klar sein, dass die rechtspopulistischen Parteien nicht wegen, sondern trotz ihrem offenen Rassismus gewählt werden. Das beste Mittel gegen Rassismus ist immer noch alternative Deutungsmuster aufzuzeigen, die auf Solidarität statt auf Ausgrenzung fußen. Zur Zeit gelingt es der Rechten erfolgreich, die Klasse der Beherrschten zu spalten, um dann neoliberale Politiken für die Herrschenden umzusetzen.

Von der amerikanischen Linken lernen

Wir befinden uns in einer ähnlichen Situation wie die progressiven Kräfte in den USA. Auch dort musste man schmerzlich feststellen, dass es nicht genügt, Donald Trump und seine Wähler als dumm darzustellen und lächerlich zu machen. Ähnlich heterogen wie die Wählerschaft Trumps dürfte auch die Wählerschaft der Rechtpopulisten in Europa sein. Und wer Wählerinnen Dummheit vorwirft, der braucht nicht zu erwarten, dass sie sich von den eigenen Ideen überzeugen lassen.

Doch wir können auch von der USA lernen. Dort erfährt eine progressive Linke nämlich gerade einen Aufschwung. Junge Politikerinnen wie Alexandria Ocasio-Cortez und die Kampagne von Bernie Sanders zeigen, wie progressive Politik Wähler erreichen kann. Mit ihren Forderungen wie zum Beispiel "Medicare For All" greifen sie soziale Probleme auf, von dem so gut wie alle Bevölkerungsgruppen betroffen sind. Dabei ist die Forderung nach einem Gesundheitssystem, wie es in vielen anderen Ländern selbstverständlich ist, nicht besonders radikal. Allerdings ist es eine Forderung, die an den Grundprinzipien neoliberaler Politik in den USA rüttelt. Ähnlich verhält es sich mit dem Vorschlag eines Green New Deal. Dabei handelt es sich um ein Konzept zum ökologischgen Umbau der Industriegesellschaft und eine der medienwirksamen Forderungen der amerikanischen Linken im Umfeld Bernie Sanders. Aufgegriffen wurde die Idee in Deutschland jedoch lediglich von den Grünen und DiEM25, die als Bewegung jedoch nicht genügend Mitstreiterinnen hinter sich vereinen konnte. Das Ziel progressiver Politik muss sein: Politische Projekte finden, die die Lebensqualität eines Großteils der Bevölkerung sichtlich verbessern würden und die gleichzeitig die Stützen des neoliberalen, neokonservativen Konsens ansägen.

Das Netz gehört der Neuen Rechten

Gleichzeitig muss es auch darum gehen, eine kritische Gegenöffentlichkeit aufzubauen. Auch hier kann man von den USA lernen. Da es in den USA besonders schwierig ist mit progressiver Politik in den Mainstreammedien unter zu kommen, sprießen überall Websites, Internetshows und Podcasts aus dem Boden, die die Hintergründe rechter Politiken analysieren und progressive Alternativen vermitteln. Die Internetshow The Young Turks, die täglich auf Youtube läuft, hat mittlerweile über 4,3 Mio. Abonennten und gilt als Aushängeschild linker, unabhängiger Berichterstattung in Amerika. (Das ist nur ein Beispiel unter den vielen linken Podcasts und Internetshows im englischsprachigen Raum.) Dass das Früchte trägt, zeigen nicht nur die Umfragewerte für Sanders und der Einzug junger Politikerinnen wie Ocasio-Cortez ins Repräsentantenhaus, sondern auch Berichte, dass 40% der Amerikaner eine Form von Sozialismus für gut heißen.

Währenddessen wird hierzulande immer noch darüber diskutiert, ob man die Positionen von AfD und Co. überhaupt diskutieren sollte. Das Argument lautet, man wolle der Partei keine Plattform bieten. Dabei wird übersehen, dass die Neue Rechte ihre eigenen Plattformen bereits besitzt und bedient. Wer zum Beispiel auf Youtube nach politischen Kanälen sucht, wird mit Videos der AfD bombardiert. Viele Kanäle stehen sogar noch rechts von der AfD. Linke politische Analysen oder Nachrichten? Fehlanzeige. Linke Podcasts? Einige wenige wie zum Beispiel der Dissens Podcast. Das Internet und die sozialen Medien sind zur Zeit das Hoheitsgebiet der Neuen Rechten. Es brauchte erst einen Musikyoutuber wie Rezo, damit überhaupt politischer Inhalt jenseits der Rechten auf Youtube stattfindet.

Die Vorzeichen haben sich geändert

Es fehlt der Linken an progressiven Projekten und an Mitteln eine Gegenöffentlichkeit aufzubauen. Umso stärker die Rechte wird, desto schwieriger wird es den neokonservativen Mainstream noch zu durchbrechen. Mittlerweile sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir sogar Errungenschaften der bürgerlichen Revolutionen wie Meinungs- und Religionsfreiheit verteidigen müssen, bevor wir radikalere Forderungen überhaupt erst daran anknüpfen lassen können. Während die Linke zum Beispiel in der Mitte des letzten Jahrhunderts zu Recht die Wissenschaft und deren Verflechtungen mit Militär und Wirtschaft kritisiert hat, muss man sie in Anbetracht der steigenden Wissenschaftskepsis und der drohenden Klimakatastrophe verteidigen. Die Vorzeichen haben sich geändert, neue Strategien sind gefragt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Danny Krämer

Philosoph, Blogger und Journalist.

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