Der antiquierte Kapitalismus von heute

Deutschland: Der Kapitalismus verdrängte einst die Herrschaft des alten ostelbischen Adels - Doch ist dieser Kapitalismus nicht inzwischen selbst antiquiert?

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Deutschland, Ende des 19. Jahrhunderts:

Die Revolution liegt annähernd 50 Jahre zurück und auch wenn sie gescheitert ist und der deutsche Nationalstaat von „oben“ und nicht von „unten“ erschaffen wurde, haben die liberalen Ideen die Zeit stark geprägt.
Trotzdem, der ostelbische Adel kontrolliert weite Teile der deutschen Bürokratie, obwohl das Bürgertum unlängst ein eigenständiges soziales Profil, sowie ein kulturelles Selbstverständnis erlangen konnte. Der ostelbische Adel passt nicht mehr in die Zeit, er steht im krassen Widerspruch zu der kapitalistisch-bürgerlichen Gesellschaft.
Dennoch hält der Adel die politischen Strippen fest in der Hand.

In dieser Zeit formuliert Theodor Fontane, gegenüber seinem Freund Georg Friedländer, seine Sicht auf die Dinge folgendermaßen:

„[…]ich habe nichts gegen das Alte, wenn man es innerhalb seiner Zeit lässt und aus dieser Heraus beurteilt; der sogenannte altpreußische Beamte, der Perückengelehrte des vorigen Jahrhunderts,[…] der mehrere Stunden Zeit brauchte, eh er sich durch sein eigenes Körpergewicht in seine nassen ledernen Hosen hineinzwängte, die Oberrechenkammer in Potsdam, der an seine Gottesgnadenschaft glaubende Junker, der Orthodoxe, der mit dem lutherschen Glaubensbekenntnis steht und fällt – all diese Personen und Institutionen finde ich novellistisch und in einem „Zeitbilde“ wundervoll, räume auch ein, dass sie sämtlich ihr Gutes und zum Teil Großes gewirkt haben, aber diese toten Seifensieder immer noch als tonangebende Kräfte bewundern zu sollen, während ihre Hinfälligkeit […] mit jedem Jahre wachsend, bewiesen worden ist, das ist eine furchtbare Zumutung. […] Sie müssen alle geschmort werden. Alles antiquiert!.„

Nun, über 100 Jahre später sieht die Welt ein wenig anders aus.
Aber ist dies wirklich so? Ist nicht an die Stelle des ostelbischen, die Politik steuernden Adels, etwas neues, nämlich ein >ganze Staaten in Bedrängnis bringender<Heuschrecken-Kapitalismus getreten? Ist es nicht so, dass wenige, sehr einflussreiche Firmen, Banken und Großkapitalisten die Strippen in der Politik zu ziehen vermögen und mit effektiver Lobbyarbeit und machtpolitischen Gebaren ihre egozentrischen Komplexe befriedigen können?

Sicherlich stimmt es, und da könnte ich Theodor Fontane fast 1:1 kopieren: Diese Subjekte wirken heute alle antiquiert. Sie haben bewiesen, dass ungezügelter, jeglicher staatlicher Kontrolle entzogener Kapitalismus nichts bringt, außer Leid und Armut für die nicht an der Macht partizipierenden Massen. Selbst wenn der Großkapitalismus seine Zeit hatte und sicherlich nicht nur schlecht war, heute wirkt er dekadent, veraltet und hinfällig - man könnte mit Fontanes Worten sagen:
Wie eine „furchtbare Zumutung".

Die Welt hat sich weiterbewegt, neoliberale, ausbeuterische Zeiten müssen vorbei sein. Die Verantwortung für unsere Mitmenschen, unseren Planeten und unsere Kinder muss nun in den Mittelpunkt treten. Der demokratische Mensch hat längst dieses neue soziale Selbstverständnis erlangt. Wir sind bereit etwas zu ändern, sind bereit zu verzichten und bereit einander zu helfen!
Jedoch, und das haben wir gerade festgestellt: Da wo damals der ostelbische Adel stand, stehen heute die sich an die Macht klammernden Großkapitalisten und bestimmen den politischen Kurs unseres Landes:

„Sie müssen alle geschmort werden. Alles antiquiert!“

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