Hüte dich vor den Unfähigen

Postapokalyptische Szenarien In "Tigerbucht" beschreibt der Portugiese Pedro Rosa Mendes seine Reise nach Angola und Mosambik

Was treibt einen angesehenen Journalisten wie den Portugiesen Pedro Rosa Mendes, der mit Mitte 30 bereits etliche Preise erhielt - darunter zweimal den Feature of the Year-Preis und den des portugiesischen PEN-Clubs - dazu, sich auf eine über einjährige Reise 10.000 Kilometer quer durch Afrika, von Angola nach Mosambik, zu begeben und dabei das eigene Leben zu riskieren? "Der Grund für ein solches Vorhaben hätte nicht nobler sein können", so Mendes in einer kurzen Vorbemerkung zu seinem faszinierenden Buch Tigerbucht, "mit anderen Worten, einen bestimmten Grund gab es nicht". Die pure Neugier, Menschen zu begegnen und ihren Geschichten zu lauschen, brachte Mendes zu dieser Odyssee, die ihn hungern ließ, in Gefangenschaft brachte und immer wieder an sich und seinem Vorhaben zweifeln ließ. Eine Reise durch eine Region, in der seit über zwei Jahrzehnten Krieg herrscht, in der mehr Minen als Menschen zu finden sind und in der sich die lokalen Repräsentanten der sich bekriegenden Mächte kaum unterscheiden, wo Fürsten in zerbombten Landschaften und zerstörten Ansiedlungen über Menschen herrschen, deren Leben und Sterben vom Krieg gekennzeichnet ist, in dem sie wie eine Glasmurmel einen Berg hinunterfallen, bis sie zerschellen. Weite Regionen, die Mendes auf seiner Reise durchquert, sind nicht einmal kartographiert, und die Szenerie erinnert an postapokalyptische Filme wie Mad Max. Junge Erwachsene erschrecken beim Anblick von fließend Wasser, da die in den verfallenen Häusern verlegten Wasserleitungen schon vor ihrer Geburt aufgehört haben, das kühle Nass auszuspucken, ganze Dörfer, die mehrheitlich aus Menschen bestehen, denen der Krieg die Gliedmaßen, das Augenlicht, die Vernunft oder gleich alles zusammen geraubt hat. Ganze Landstriche, die vermint sind, immer wieder Minen, neben den Straßen, auf den Wegen und den Feldern, sogar in den Häusern und den Furten der Flüsse (die meisten Brücken sind ohnehin seit langem gesprengt). Doch auch hier gibt es Hoffnungen und sogar Lachen. "Die Beziehung zu Afrika ist emotionell besonders stark, weil ich dort menschliche Qualitäten vorgefunden habe, die andernorts schwer oder gar nicht anzutreffen sind", so Mendes.

Doch auf seiner Reise ist Pedro Rosa Mendes auch immer wieder der "Macht der Unfähigen" ausgesetzt, wie Major Espinosa, ein aus Uruguay stammender Offizier der in Angola stationierten UNO-Truppen UNAVEM, die Willkür beschreibt, mit der lokale Statthalter, seien sie von der Regierung oder der gegnerischen UNITA, Regeln auslegen und erfinden, in ihrem kleinen Machtbereich wie allmächtige Warlords herrschen. Sie verkörpern, "was wir in Uruguay die Macht der Unfähigen nennen. Die Macht der Fähigen muß man nie fürchten. Ist ein Mensch intelligent, weiß er, wie er mit seiner Macht umzugehen hat. Entweder er setzt sie ein oder nicht. Deshalb sage ich dir, hüte dich vor den Unfähigen an der Macht. Die sind gefährlich, Junge", so Espinosa, sekundiert von seinem brasilianischen Kollegen: "In Brasilien sagen wir immer, irgendwann gehört die Welt den Unfähigen. Sie sind nun mal in der Überzahl".

Nach seinen ausgiebigen Tätigkeiten als Kriegsberichterstatter in Afrika und Afghanistan geht es dem Autor in Tigerbucht nicht darum, die Region politisch zu erklären, sondern ihre Menschen darzustellen, individuelle Geschichten und Schicksale, die nicht als repräsentativ dargestellt werden und häufig doch mehr über das Leben in den seit Jahrzehnten vom Krieg zerrütteten Regionen aussagen als jede politische Analyse, und für Millionen anderer Menschen stehen. Für den Autor Mendes spielt Hautfarbe keine Rolle. Sie findet keinerlei Erwähnung, niemals, weder in Beschreibung noch in Charakterisierung. Er taucht den Leser in eine Welt, die sich den Menschen jenseits dieser Oberflächlichkeit nähert.

Tigerbucht ist Roman, Reisebericht, Traumerzählung, Geschichtsbuch, Film, Interview, Oral History und Poesie zugleich. In einer wunderbaren Sprache (ein besonderes Lob gilt an dieser Stelle auch der Übersetzerin aus dem Portugiesischen, Inés Koebel, die das Buch auch mit wertvollen Anmerkungen versehen hat) berichtet Mendes von seinen Erlebnissen, lässt Menschen, die zwischen Kontinenten und manchmal auch nur zwischen zwei in Trümmern liegenden Stadtteilen hin und her geworfen sind, zu Wort kommen, webt Geschichten aus der Kolonialzeit ein und berichtet über untergegangene Königreiche, die portugiesische Diktatur und die enttäuschten Hoffnungen vieler in die Revolution, persönliche, manchmal verquere und manchmal lustige persönliche Interpretationen seiner Gesprächspartner vermischen sich mit aufwendig recherchierten Rekonstruktionen der Verbrechen der portugiesischen Kolonialverwaltung, der verschiedenen Kriegsfraktionen und Darlegung der sozialen Verhältnisse. In den einzelnen Geschichten, Gedichten, historischen Schnipseln und Sachberichten, die sich wie kleine Steinchen zu einem Mosaik zusammen fügen, das dennoch kein Ganzes sein will, erlangen Menschen Gestalt, deren Leben "wo Raum und Zeit Koordinaten sind, die am meisten Lügen" oftmals daraus besteht dem Tod zu entkommen. Tigerbucht ist ein Stück Suche nach etwas, das alle Menschen suchen, ohne zu wissen, was es ist, und ohne es jemals zu finden, und Tigerbucht ist der Name einer Bucht im Süden Angolas an der Grenze zu Namibia. Seit dreißig Jahren ist sie auf dem Landweg unerreichbar - eine Folge des Bürgerkriegs. "Auch mir ist es nicht gelungen, bis dorthin vorzudringen, daher habe ich mein Buch so benannt", so Pedro Rosa Mendes über sein erstes literarisches Werk, das über vierhundert Seiten hinweg lebendig und faszinierend bleibt.

Pedro Rosa Mendes: Tigerbucht. Angola sehen und überleben. Stimmen aus dem Staub des Krieges. Merdiane 37. Aus dem Portugiesischen von Ines Knoebel. Ammann-Verlag, Zürich 2001, 416 S., 44.- DM

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