Populisten treiben an, spitzen zu, radikalisieren, wo Ausgleich vonnöten wäre, reißen Löcher in die zivilisierte Debatte, vergiften mitunter das politische Klima. Und eines ist klar: Wenn Populisten erfolgreich werden, ist das ein Grund zur Beunruhigung. Dann herrschen unruhige, möglicherweise gar bedrohliche Zustände, brechen Zeiten an, in denen sich manches in falsche Bahnen verlagern kann.
Nur in falsche Bahnen? Könnte es nicht sein, dass Populismus auch Chancen bereithält, gerade für eine selbstbewusste Linke? Folgt man dem Historiker Heinrich August Winkler, ist das ausgeschlossen. Mit dem Missbehagen gegenüber der EU und dem Gefühl, laschen demokratischen Institutionen ausgesetzt zu sein, nennt er in der Zeit zwar triftige Gründe für das Erstarken der Populisten. Dennoch sollte man ihnen widerstehen.
Schreckliche Vereinfacher
So belegen die „populistische“ griechische Regierungskoalition und ihre europäischen Unterstützer für Winkler nur, dass sich die rechten und linken Extreme berühren. Schließlich lehne man gemeinsam „die“ Globalisierung ab, halte die USA für ein Verhängnis und sage Nein zu mehr Europa. Bei alledem stärkt Populismus am Ende die Falschen. So sei die von Syriza geführte Koalition schlicht der „bislang größte Erfolg“ von Putin. Winklers Rat: die „schrecklichen Vereinfacher“ schwächen, die „komplexe repräsentative Demokratie“ stärken.
Dabei geht es Winkler gar nicht um „den“ Populismus, sondern um eine bewusste Verzeichnung vor allem linker Politikinhalte, die vermeintlich einem Muster folgen: Wer als Populist das Geschäft der schrecklichen Vereinfachung betreibt, treibt in unheilige, Querfront-ähnliche Allianzen, schließlich in den Untergang, da er von den reaktionären Geistern, die man rief, weggefegt wird. „Populismus“ ist polemisch gesehen nur eine Chiffre für eine Austauschbarkeit von Links und Rechts. Inwiefern sich linke und rechte Akteure gerade in ihrer Gegnerschaft gegen europäische Integrationsmaßnahmen oder die Globalisierung unterscheiden, muss dann nicht mehr gefragt werden.
Es fällt dann auch unter den Tisch, dass Syriza tätig mithalf, die soziale Grundversorgung, die der Staat nicht mehr leisten konnte, wenigstens halbwegs zu ersetzen. All dies geschah, wie man so schön sagt, „von unten“, über kleinteilige kommunale Arbeit in Solidaritätsnetzwerken.
Wer soziale Not durch gelebte Solidarität lindern will, klingt dann gar nicht mehr nach schrecklicher Vereinfachung, sondern nach übergroßer Schwierigkeit. Um es in der Sprache des Populismus selbst zu sagen: Ein anderer Begriff von Populismus ist möglich. Populismus ist, etwas vorurteilsfreier gesehen, erst einmal der kleinste gemeinsame Nenner verschiedener Parteien und Bewegungen, ihr ideologisches Minimum sozusagen, ist der trotzige Underdog, aus dem etwa auch Fußballvereine und Fans eine positive Identität schöpfen. Populismus geht dahin, wo sich eine Kluft zwischen dem Volk und der Elite öffnet, spricht für den „kleinen Mann“ und gegen die da oben, die Korrupten, Abgehobenen.
Braucht es einen Charismatiker zu seiner Durchsetzung? Einen wie Alexis Tsipras? Wahr ist, dass an der Spitze einer populistischen Kraft oft eine ambivalente Gestalt steht, die früher selbst zum Establishment gehörte, sich von diesem entfremdete und dessen (laut-)stärkster Gegner geworden ist. So ist es beim ehemaligen CDU-Mitglied Bernd Lucke, und vor allem auch beim früheren SPD-Finanzminister Oskar Lafontaine, dessen Charisma die Linke ihre Etablierung verdankt.
Nun ist die Geschichte, die deutsche zumal, voll von Beispielen, in denen die Frontstellung zwischen Volk und Elite in einen perversen Überschwang mit katastrophalen Folgen kippte. Genau hier liegt dann auch der gute Grund für die Kritik am Populismus, wie sie ein Winkler als Historiker erhebt. Und dennoch sollten gerade Linke die Konsequenzen, die hieraus gezogen werden, nicht allzu umfassend auf sich projizieren. Dass sie es weitgehend tun, ist wohl einer der Gründe für den Stillstand, in dem sich linke Politik in Deutschland seit Jahren, nein, Jahrzehnten befindet.
Im Patt eingerichtet
Vor lauter Angst, den dunklen Mächten in die Hände zu spielen – in Winklers Perspektive ist dies Russland –, geht es dann nämlich nur noch darum, Zurückhaltung zu üben. Nur ja keine zu scharfen Töne gegen die Ermattung des parlamentarischen Systems, schon gar nicht gegen seine grundsätzlichen Konstruktionsmängel oder die Unmenschlichkeiten kapitalistischer Ökonomien wettern. Wirkliche lebenswerte Verbesserungen, die den Kleinen, Überflüssigen und Ausgeschlossenen helfen könnten – ein Schuldenschnitt, mehr staatliche Investitionen, höhere Mindestlöhne oder bezahlbare Mieten etwa –, gelten so im Handumdrehen als schlechte populistische Losungen.
Leider hat diese Vermeidungsstrategie häufig Erfolg. Man könnte sogar einen Schritt weitergehen und behaupten, dass die repräsentativen Demokratien der westlichen Staaten, um nicht zu stark von links unter Druck zu geraten, sich hin und wieder einen rechten Populismus leisten müssen. Denn während – und da liegen zumindest in Deutschland die Unterschiede zwischen den Lagern – aufseiten der Rechten die populistische AfD mit Schmackes gegen die „Altparteien“ holzt, Berufspolitiker schalt und die Abgehobenheit der Eliten anprangert, führt die inner- und außerparlamentarische Linke häufig Abwehrkämpfe gegen eben diese rechten Populisten und geriert sich in staatstragender Zurückhaltung.
Dabei wäre die Partei Die Linke prädestiniert in die Lücken zu preschen. Allerdings kokelt einzig Sahra Wagenknecht, etwa in Fragen der Euro-Rettung, hin und wieder ein wenig mit dem populistischen Feuer. Das Standbein fest im Parlament verankert, lähmt das Gespenst des Populismus schließlich auch das Spielbein der Linken, von den Grünen ganz zu schweigen.
Dieses Zaudern geht möglicherweise auch darauf zurück, dass die zeitgenössische Linke die „Mentalität von Besiegten hat“, wie der österreichische Publizist und Freitag-Autor Robert Misik vor kurzem erkannte. Indes: Es sollte anders sein, denn eine Linke, die sich aus lauter Angst im Patt einrichtet, verspielt nicht nur Kredit, sondern zerstört ihr Fundament an den Stellen, an denen sie wirklich gebraucht wird.
Das zeigt das Beispiel Syriza, die sich vom Vorwurf der korrupten etablierten Parteien, man würde das Staatswohl gefährden, nicht ins Bockshorn hat jagen lassen. Mutig wurde man zur wählbaren Alternative für die Menschen, die von den Unerbittlichkeiten einer Wettbewerbsökonomie geschlagen wurden. In vielen anderen europäischen Staaten sind jene „kleinen Leute“ längst zu Parteigängern der rechtspopulistischen Parteien geworden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der AfD hierzulande Ähnliches gelingen könnte.
Wer glaubt, dass der deutschen Linken mehr Populismus – verstanden als Einsatz für die „kleinen Leute“ – guttun würde, kann sich darum auch eher der Realpolitik denn linksradikaler Kraftmeierei verpflichtet fühlen. Wer die Lücke zwischen Repräsentanten und Bevölkerung, gewissermaßen zwischen „politischer“ und „arbeitender“ Klasse, aufreißen und zurückerobern will, ist kein Rechter.
Deshalb: Mehr Mut zum Populismus! Mehr Einfachheit anstelle hochdifferenzierter Analysen, mehr Medienmacht – und warum auch nicht gegen die häufig genug allzu ähnlich wirkende Berichterstattung. All dies waren selbstverständliche linke Losungen, warum sollte man sie nun der rechtspopulistischen AfD überlassen?
Zurück zum Anfang. Ja, eine Sache verbindet Rechtspopulisten tatsächlich mit der echten Linken. Es ist die Erkenntnis, dass unsere Demokratien in der Sackgasse stecken, das Begehren nach vitalen Demokratien aber weiterlebt. Für die Etablierten mag dies ein Schrecken sein – für eine selbstbewusste Linke aber könnte es eine Chance bedeuten.
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