AfD in Ostdeutschland im Umfragen-Hoch: Über die Normalisierung rechter Politik

Meinung Mindestens 20 Prozent Zuspruch erhält die AfD aktuellen Umfragen zufolge in Ostdeutschland. Doch die Wählerschaft der Partei ist fragil. Wie sich die Normalisierung rechter Politik noch aufhalten lässt
Die Prozente steigen, die Haare fallen
Die Prozente steigen, die Haare fallen

Foto: Hendrik Schmid / picture alliance/ dpa

In den Wahlumfragen steigt die Zustimmung für die AfD in Ostdeutschland wieder einmal an. Zwischen 26 und 28 Prozent der ostdeutschen Wahlbevölkerung können sich vorstellen, die AfD zu wählen. Bei einer statistischen Schwankungsbreite zwischen zwei und vier Prozent liegt die Partei damit im Osten konstant bei zwanzig Prozent plus X.

Die Reaktionen auf das Umfragehoch der AfD in sozialen Medien sind vorhersehbar und reichen von Polemik à la „Baut die Mauer wieder auf“ bis zur allfälligen kulturellen Ethnisierung des hässlichen Sachsen und der Forderung, den Ostdeutschen eine Umerziehung angedeihen zu lassen. Diese Reaktionen spiegeln neben Ohnmacht und Wut über den Umfrageerfolg der AfD, die Ressentiments gegenüber den Ostdeutschen. Diese wiederum sind die Währung, in der Autoren wie Dirk Oschmann mit seinem Bestseller „Die Ostdeutschen, eine westdeutsche Erfindung“ gutes Geld verdienen, und den ignoranten Wessis die Schuld daran zuschieben, dass es nach der Wiedervereinigung im Osten lief, wie es lief: angeblich zum bis heute anhaltenden Nachteil der Ostdeutschen.

Das AfD-Hoch im Osten kann getrost auch als eine Folge der Aktualisierung der regressiv autoritären Variante ostdeutscher Identitätsdebatten gelesen werden, die sich mit in Verantwortungsabwehr dafür üben, wie die vergangenen 30 Jahre in der ostdeutschen Gesellschaft verliefen. Wer begeistert zu Büchern greift, in denen die Ostdeutschen nur als Opfer der Umstände und Turbulenzen der Transformationsjahre vorkommen, will nur jenen Teil der Zeitgeschichte wahrnehmen, in der dominante Westdeutsche den Takt vorgaben, nicht aber den Umstand zur Kenntnis nehmen, diesem Takt gefolgt zu sein. Im Osten hat die AfD die Rhetorik von der Anerkennung der Lebensleistung der Ostdeutschen inzwischen erfolgreich mit einem regional-nationalistischen Stolz-Diskurs verknüpft, dessen Ausdrucksform eine aggressive Unduldsamkeit gegenüber jeder Form von gesellschaftlicher Inhomogenität ist: wo es an Migranten fehlt, redet man sich gegen andere Minderheiten in Rage.

Björn Höcke möchte die AfD zur Volkspartei im Osten machen

Auf dem Landesparteitag der Thüringer AfD Anfang Mai meldete Björn Höcke den Anspruch an, seine Partei wolle bei den Landtagswahlen 2024 in Thüringen mehr als 33 Prozent holen. Schon lange fabuliert Björn Höcke davon, die AfD müsse im Osten Volkspartei werden und zugleich Bewegungspartei bleiben. Manche Beobachter lassen sich von der Hybris der AfD im Osten blenden, und verlieren aus dem Blick, dass die Stabilität der Wählerschaft der AfD soziologisch äußerst fragil zusammengesetzt ist, und sich nicht unwesentlich aus dem Milieu der Nicht-Wähler speist. Deren Mobilisierung ist auch für die AfD kein Selbstläufer, weil die Partei immer wieder auf Themen so Zugriff nehmen muss, dass die vorhandenen regressiven Einstellungen auch wirklich mobilisiert werden. Es ist an den anderen demokratischen Parteien, gerade den Nicht-Wählern ein Politikangebot zu unterbreiten, in dem die politische Selbstwirksamkeit der Menschen nicht über rechte und autoritäre Krisenlösungsmuster realisiert wird.

Deshalb muss in Erinnerung gerufen werden, dass es keinen Automatismus gibt, nach welchem die AfD von Erfolg zu Erfolg eilt. Wer den Zeitverlauf der Umfragen betrachtet, kann erkennen, dass die Partei nach ihrem Corona Tief wieder das Niveau von 2019 erreicht hat. Dies festzustellen, beschönigt nichts, bewahrt aber vor Panik.

Die Erwartung, die Einstufung der AfD als rechtsextrem durch den Verfassungsschutz werde im Osten eine abschreckende Wirkung entfalten, ist naiv. Längst ist der Prozess der Normalisierung rechter Politik in- und außerhalb der Parlamente im Osten abgeschlossen. Daran ändert auch der verspätete Mahnruf des selbst ernannten Frühwarnsystems mit Namen Verfassungsschutz nichts.

So funktioniert Normalisierung rechter Politik

Die in der Tat eklatanten Provokationen und Tabubrüche etwa des sachsen-anhaltinischen AfD Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider auf den Marktplätzen und im Parlament in Magdeburg erfahren nur noch ausnahmsweise eine detaillierte politische Auseinandersetzung oder Analyse. Tillschneiders rhetorisches Wüten steht Höckes politischen Weltanschauungsansprachen in ideologischer Hinsicht in nichts nach. Doch anders als im Falle Höcke macht sich kaum jemand die Mühe, dessen Reden auf ihren offen rechtsextremen Kern zurückzuführen. So rutschen knallharte ideologische Aussagen auf dem Marktplatz von Querfurt schon mal durch. Und so funktioniert Normalisierung.

Damit einen Umgang zu findet bedeutet, die AfD weder zu verharmlosen noch in dem Sinne zu dämonisieren, als stünde sie kurz vor der Machtübernahme. An die Stelle der Empörung über Umfrageergebnisse der AfD oder politische Aussagen ihr Mandatsträger könnte die Thematisierung ihrer Schwächen und inneren politischen Widersprüche, etwa in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik stehen, die auch Menschen erreicht, die nicht täglich zwei Tageszeitungen lesen.

Zuweilen scheint es, die AfD habe im Osten ein unbezwingliches Antlitz angenommen. Von diesem Schein sollte sich niemand blenden lassen.

David Begrich ist Mitarbeiter der Arbeitsstelle Rechtsextremismus bei Miteinander e.V. in Magdeburg.

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