Eskalationsstufe

AfD Marcus Pretzell, AfD-Vorstandsbeisitzer und EU-Abgeordneter, spricht von Schüssen auf Flüchtlinge. Ein Test, ob die Wähler schon reif sind für die nächste Phase der AfD?

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Marcus Pretzell, bis vor kurzem hauptsächlich bekannt als „der Neue“ von Frauke Petry, Jurist und Beisitzer im AfD-Vorstand, sprach Sonntag von dem Undenkbaren: Schusswaffeneinsatz gegen Flüchtlinge. Zwar ruderte er sofort zurück und bezeichnete es als eine „Ultima Ratio“, doch hat er die Idee in die Welt gesetzt – und das mit großer Wahrscheinlichkeit kalkuliert. Nicht nur ließ er es über die Deutsche Presseagentur (dpa) an die gesamten deutschen Medien verlauten, sondern hatte sich laut Rheinischer Post während einer Parteiveranstaltung einige Tage zuvor ähnlich geäußert. Die Beteuerungen, zuvor stünden Polizeipräsenz, Wasserwerfer oder Tränengas zur Verfügung, um Einreisewillige am Grenzübertritt zu hindern, sind blanker Hohn: Tränengas auf Menschen, die hunderte, tausende Kilometer zu Fuß und unter widrigsten Umständen hinter sich haben, hungrig, ausgemerzt und am Ende ihrer Kräfte. Auf Kinder. Auf Unbewaffnete.

Mit dem Satz „Verteidigung der Grenzen sei eine Selbstverständlichkeit“ setzt er Hilfesuchende mit einer aggressiven Invasionsarmee gleich und bedient die widerlichsten Abgründe rechten Denkens: was hier passiert, so scheint es manchen, sei die Neuauflage eines „Rassenkrieges“. Dass er da selbst noch von „Flüchtlingen“ spricht, ist Zynismus. Marcus Pretzell, verklausuliert an der Volksverhetzung vorbei und dennoch verständlich, hat es ausgesprochen. Es ist eine Tuchfühlung; ein Test, wie weit die Partei gehen kann. Denn, nach einer Emnid-Umfrage vom Sonntag, holt sie trotz ihrem Königsmord und den doch noch andauernden Revolten auf allen Ebenen, acht Prozent bei der Sonntagsfrage. Akzeptieren diese acht Prozent Pretzells „Schießbefehl“, kann nach der Transformation der AfD von einer nationalliberalen zu einer nationalkonservativen Partei der nächste Schritt erfolgen: hin zu einer offen nationalistischen.

Womit es Deutschland zu tun bekommt, sind nicht irgendwelche Wirrköpfe. Es sind keine Einzelschicksale, die sich in der AfD zufällig zusammengefunden haben – und vor allem sind es keine flachen Populisten, die von einer zufälligen Stimmungswoge so schnell in den Politzirkus geschwemmt werden, wie sie dort auch wieder versickern. Die Vorsitzende Petry: promovierte Chemikerin, noch Gattin eines lutherischen Pfarrers. Pretzell: in Heidelberg studierter Jurist, Mitglied einer pflichtschlagenden Abteilung der ominösen Burschenschaften, dieser geheimnisumwitterten, männerbündelnder Alumni- und Studentenverbindungen, die ihren Mitgliedern auf Vereinskosten erst eine exzellente Ausbildung ermöglichen und sich dann über ihr deutschlandweites Netzwerk Posten in Politik, Wirtschaft und Justizwesen zuschanzen. Beatrix von Storch, ebenfalls Juristin, studiert in Heidelberg und Lausanne, Lobbyisitin mit besten Kontakten in deutsche wie vor allem auch europäische Wirtschafts- und erzkonservative Kirchenkreise. Keine saufenden Proleten, keine Hools, sondern Intellektuelle mit längst der Vergangenheit übergeben geglaubten Wert-, Familien- und Gesellschaftsvorstellungen, die in Kategorien von "Volkstum" und "Rasse" denken, Gewalt für richtig aber die Schwulenehe für falsch halten. Menschen, die in Talkrunden rhetorisch bestehen, wenn die Vertreter der "Altparteien" ihre inhaltslosen PR-Slogans vortragen. Sie sind vielleicht erst die Vorhut einer breiten, auf bedachte Vorsicht, bedeckte Unauffälligkeit und eine langfristige Strategie achtenden, bestens organisierten Gruppe aus den oberen und obersten Schichten der Bundesrepublik. 2016, das Jahr, in dem Bashar al-Assad mit Moskauer Hilfe sein Regime blutig restauriert; wenn eine Flüchtlingsflut aus dem Land brechen könnte, mit der verglichen die diesjähre als laues Rinnsal erscheint - 2016 wird spannend.

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Geschrieben von

David Danys

Pfarrers Kind und Müllers Vieh, // Gedeihen selten oder nie.

David Danys

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