Das Hotel der Hoffnung

Athen Einst galt das City Plaza Hotel als Symbol der Krise, seit seiner Besetzung ist es für viele Menschen das einzige Zeichen der Hoffnung. Ein Ortsbesuch

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Eine junger Geflüchteter im Athener City Plaza Hotel
Eine junger Geflüchteter im Athener City Plaza Hotel

Bild: LOUISA GOULIAMAKI/AFP/Getty Images

Mehr als sieben Jahre sind vergangen, als sich das City Plaza in Athen zuletzt großer Beliebtheit sicher sein konnte. Damals waren die Zimmer gefüllt mit Gruppen, die zwischen Akropolis und Lycabettus Geschichte und Sonnenstrahlen tankten. Trotzdem ist das Hotel, mitten im Herzen der griechischen Hauptstadt, unweit des Nationalmuseums und beliebten Viertels Exarcheia gelegen, zu einem Symbol der Krise geworden. Beinahe parallel mit den fallenden Kursen und ausbleibenden Gästen, hatte sich der Eigentümer mit sämtlichen ausstehenden Löhnen und Sozialabgaben im Gepäck verabschiedet.

Heute ist der schlafende Riese wieder erwacht. Denn sie sind zurück, die vielen Familien, die hunderte Zimmer belegen und sich pünktlich zum Frühstück in der Lobby einfinden. Jahre nach der Schließung sind die Tische nun besetzter denn je. Doch die neuen Gäste sind keine serbischen, französischen oder russischen Reisenden, sondern Menschen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak.

Wenige Monate zuvor, im April des laufenden Jahres, hatten Aktivist*innen das leerstehende 3-Sterne-Hotel gestürmt und es kurzerhand zur besetzten Zone erklärt. Mit der Systemfrage im Rucksack organisierten sie die spektakulärste Wiedereröffnung, die Athen bisher zu sehen bekam. Denn was gilt es mehr zu schützen? Ungenutztes Privateigentum oder das Leben von Geflüchteten, die zu tausenden die Straßen bevölkern?

Entstanden ist dabei ein Hotel ganz ohne Sterne, Pool und Room-Service. Und doch das beste Hotel Europas. Eine Unterkunft, in der die Gäste mit Dankbarkeit statt Scheinen bezahlen. Vielen von ihnen drohte die Abschiebung, der Großteil verweilte monatelang auf Matten und harten Parkbänken. Betritt man das City Plaza ist diese Dankbarkeit unweigerlich zu spüren. Ob durch die 180 Kinder, die wieder Leichtigkeit versprühen, wenn sie in den Gängen toben und an die Wand geworfene Zeichentrickfilme schauen, oder durch ihre Mütter und Väter, die sich in die alltäglichen Aufgaben einbringen.

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Bei meinem Besuch der Unterkunft lerne ich Yasin und seine Familie kennen. Offen berichtet er mir von dem mickrigen Boot, in dem er die Überfahrt ins Ungewisse wagte. Auf der Insel Lesbos gestrandet, konnte er sich erst nach wochenlangem Ausharren mit der nachgereisten Familie vereinen und den schrecklichen Lebensbedingungen der Aufnahmestellen entkommen. Heute ist er glücklich endlich angekommen zu sein. Auf dem gemeinsamen Rundgang mit Yasin wirkt es, als sei kein Platz der Stadt besser geeignet, um Menschen wie ihm die nötige Sicherheit und Privatsphäre zu bieten. Hier hat jede Familie ein eigenes Zimmer mit Bad und jede Menge Möglichkeiten sich in das Stadtleben zu integrieren. Die vor knapp 12 Jahren renovierten Hotelanlagen sind noch immer in einem guten Zustand, wenn auch die Aufzüge stehen und der Brunnen im Foyer mit Schulbeuteln statt Wasser gefüllt ist.

Doch was die Unterkunft der knapp 400 Menschen auszeichnet, ist die vor Ort gelebte Gemeinsamkeit. Gemeinschaft wird hier groß geschrieben, wie niemand müde wird zu betonen. Ob beim stets zusammen zubereitetem Mittags- und Abenmahl oder beim Schlichten von Streitigkeiten: Die Gemeinschaft hält zusammen.

Letzteres gibt es laut der Gäste äußerst selten, wohl auch weil das Gesamtgefüge funktioniert. Angefangen bei Sprachkursen, gespendeten Lebensmitteln und Medikamenten, kostenloser Rechtsberatung bis hin zu einem hauseigenen Friseur. Möglich gemacht durch ein buntes Team von ärztlichen Hilfskräften, Psycholog*innen und kochenden, spielenden sowie putzenden Händen. Es sind die rund 150 freiwilligen Helfer aus der direkten Nachbarschaft sowie aus Spanien, Deutschland, der Schweiz und England, die den Hotelbetrieb am Laufen halten – gänzlich ohne staatliche Unterstützung. Spricht man mit den Freiwilligen, wird deutlich, dass sich niemand Hilfe von der Regierung erwartet. Stattdessen verlässt sich die Initiative auf Privatspenden und Organisationen wie welcome to stay, medico international und welcome to europe. Von der Regierung erhoffen sie sich nur, dass diese nicht, wie andernorts bereits geschehen, Räumungen veranlasst.

Entscheidungen treffen die Helfenden stets im gemeinsamen Plenum, ganz wie es die alten Athener Dichter und Denker einst skizzierten. Denn im City Plaza wird die Richtung wie selbstverständlich gemeinsam mit der Nachbarschaft und allen Gästen des besetzten Hauses bestimmt – vom Speise- über den Putzplan bis hin zur Verteilung von Kursplätzen und Spenden.

Im Anschluss an eine dieser regelmäßigen Sitzungen lerne ich eine junge Griechin kennen. Während der Krise hat sie wie so viele Menschen erst den Arbeitsplatz und dann ihr Hab und Gut verloren. Ohne die Solidarität ihrer Nächsten, wäre sie wohl selbst am Straßenrand gelandet. Umso glücklicher macht es sie, dass sie nun wertvolle Arbeit leisten und anderen Menschen in ihrer Not beiseite stehen kann.

Eine bezahlte Arbeit ist nicht in Sicht, zu sehr hat die umstrittene Troika auf Einsparungen im Staatsbetrieb gedrängt. Neuen Mut schöpft die Athenerin trotzdem, zeigt ihr doch der alltägliche Gang in die Familienzimmer, dass es Menschen gibt, die auf sie warten. Erst kürzlich erlebte sie, wie das erste City-Plaza-Baby das Licht der Welt erblickte. Eine von vielen Begegnungen im selbstverwalteten Hotel, die Hoffnungen nährt. Die gemeinsam geteilte Hoffnung auf ein besseres Morgen.

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Dank einem Reisestipendium der Schwarzkopf-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Kreuzberger Kinderstiftung befinde ich mich im laufenden Sommer in Griechenland, der Türkei und mehreren osteuropäischen Staaten. Im Blog von "Der Freitag" berichte ich.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

David Gutensohn

Wurde an der Deutschen Journalistenschule ausgebildet und war freier Autor u.a. für Der Freitag. Heute arbeitet er als Redakteur bei ZEIT ONLINE

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