Hartz IV sanktionsfrei hacken

Sanktionen Eine neue Initiative plant den Widerstand: Mit einer Online-Plattform, die nach dem Crowdfunding-Prinzip Erwerbslose berät und vor ausgehängten Sanktionen schützt

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Über ihre Arbeit muss diskutiert werden: Jobcenter
Über ihre Arbeit muss diskutiert werden: Jobcenter

Bild: Imago/Revierfoto

Über 6 Millionen Menschen erhalten Hartz IV. Viele von ihnen werden mit sinnlosen Maßnahmen, unwürdigen Ein-Euro-Jobs und Sanktionen drangsaliert. Denn seit nun mehr als zehn Jahren können Arbeitsvermittler*innen unter dem Motto des "Fördern und Forderns" Erwerbslosen das Existenzminimum kürzen. Egal ob für versäumte Termine, Fristen oder die Ablehnung eines beliebigen Jobangebots. Schrittweise ist dadurch ein System des Misstrauens, der Überwachung und Bevormundung entstanden.

Jährlich werden eine Million Sanktionen ausgesprochen, davon auch einige hundertprozentige Kürzungen, wie der Fall des Aktivisten Ralph Boes zeigt. Ein Großteil der verhängten Strafen verstößt dabei gegen geltende Rechtslagen: 40 Prozent aller Klagen und Widersprüche sind erfolgreich – doch nur 5 Prozent der Betroffenen wehren sich gegen Sanktionen und den faktischen Arbeitszwang.

Eine neue Initiative will nun Jobcentern und der Politik den Kampf ansagen und das Machtungleichgewicht zwischen Mensch und Behörde ausgleichen. Nach dem Crowd-Funding-Prinzip soll sanktionierten Personen künftig mit Darlehen aus einem Solidarfonds das Existenzminimum gesichert und ihnen das Klagen und Widersprechen ermöglicht werden.

Nach den Vorschlägen der Initiator*innen soll der gesamte Briefverkehr mit den Jobcentern mit entsprechenden Datenschutzvorkehrungen über die Plattform verlaufen - inklusive einer kostenfreien und kompetenten Rechtsberatung einer engagierten Anwaltschaft. Briefe der Jobcenter sollen in einfacher Sprache erklärt und Begleitpersonen für Ämtergänge organisiert werden, sodass Betroffene von der Antragsstellung über Terminverschiebungen bis hin zu Klagen nicht auf sich allein gestellt sind.

"Wir übernehmen die Rolle des Querulanten und lassen nicht locker", fasst Helena Sophia Steinhaus das Vorhaben zusammen. Gemeinsam mit Vertreter*innen der erfolgreichen Kampagne von "Mein Grundeinkommen" bis hin zur der als "Hartz-IV-Rebellin" bekannt gewordenen Inge Hannemann möchte sie innerhalb von 6 Monaten eine dafür nötige Plattform erschaffen.

Über 94.000 Unterschriften konnte eben jene Frau 2014 in Form einer Petition zur Abschaffung der Sanktionen an den Bundestagsausschuss übergeben. Seither hat sich in der deutschen Debatte sichtlich etwas getan. Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens findet schrittweise mehr Anklang.

Mit Sanktionsfrei scheint nun ein weiteres Mittel gefunden, um Jobcenter und die Politik unter Druck zu setzen und eine Diskussion auszulösen. Unterstützt werden kann die Initiative ab sofort über die Crowdfunding-Plattform Startnext.

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Geschrieben von

David Gutensohn

Wurde an der Deutschen Journalistenschule ausgebildet und war freier Autor u.a. für Der Freitag. Heute arbeitet er als Redakteur bei ZEIT ONLINE

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