Labour steuert links

Jeremy Corbyn Die Linkswende der britischen Sozialdemokratie ist unaufhaltbar. Der heute gescheiterte Putschversuch wird den Sozialisten Corbyn dauerhaft stärken

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Jeremy Corbyn dankt seinen Unterstützern. Aus dieser Abstimmung wird er gestärkt hervorgehen
Jeremy Corbyn dankt seinen Unterstützern. Aus dieser Abstimmung wird er gestärkt hervorgehen

Foto: Christopher Furlong/Getty Images

Seit Jeremy Corbyn das Steuer des sinkenden Schiffes namens Labour Party übernommen hat, ist er stets heftigem Gegenwind ausgesetzt. Von Beginn an arbeiteten Medien und Parteielite an der Demontage des linken Politikers. Mit äußerst fragwürdigen Mitteln setzen sie alles daran, die neue Bewegung zu stoppen - und sind damit am heutigen Samstag ein weiteres Mal baden gegangen.

Die Chronologie des Scheiterns beginnt am 12.September 2015, dem Tag, an dem Jeremy Corbyn zum Vorsitzenden der "Arbeiterpartei" gewählt wurde. Noch kurz zuvor galt seine Wahl als unmöglich, war er doch nur wenige Minuten vor Ablauf der Anmeldefrist auf die Kandidaturliste gesetzt worden, um die Debatte zu beleben. Mit dem Ziel einer vielfältigen Auswahl wurde auf diesem Wege eine kleine politische Revolution angestoßen, die dem Establishment einen Strich durch die Rechnung machte.

Denn im Gegensatz zur mal mehr, mal weniger konservativen Konkurrenz, stellte Corbyn für hunderttausende die einzige echte Alternative dar. Ein Kurswechsel, den die Partei nach unzägligen Niederlagen bitter nötig hatte, schien nur mit ihm möglich, hatte er sich seine Glaubwürdigkeit doch in über 33 Jahren im britischen Parlament erarbeitet. Konsequent stimmte der seit 1983 im Abgeordnetenhaus vertretene bekennende Sozialist stets gegen Spardiktate, Privatisierungen und Kriegseinsätze. Über viele Jahre hinweg votierte er dabei in mehr als 400 Fällen entgegen der eigenen Parteilinie. Als Gewerkschafter, Mitglied der Anti-Apartheid-Bewegung und gern gesehener Gast bei Demonstrationen galt er als stetiger Gegenspieler von Akteuren wie Tony Blair. In seinem mittlerweile zum Internethit gewordenen Schlagabtausch mit der eisernen Lady Thatcher bekannte er sich schon früh zum Kampf gegen Sozialkürzungen.

Gerade in Zeiten wie diesen, in denen Konservative wieder Sparprogramm für Sparprogramm verabschiedeten, schien niemand die Opposition besser vertreten zu können als Corbyn. So geschah es, dass sich über 400.000 Menschen zum Eintritt in die Partei bewegten, nie zuvor hatte es eine größere Eintrittswelle gegeben. Darunter viele Aktive aus Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen oder gar der Parteikonkurrenz. Viele begeisterte Rückkehrer und unzählige neupolitisierte junge Menschen fanden den Weg in die Partei. Gemeinsam schufen sie Momentum, eine landesweite Graswurzelbewegung, die Corbyns Kampagne von unten unterstützte und ihn letztendlich vom Außenseiter zum mächtigsten Mann der Partei küren sollte. Mit starken 59,5 Prozent der Mitgliederbefragung setzte er sich infolge dessen gegen Andy Burnham, Yvette Cooper und Liz Kendall durch.

Jetzt, nur ein Jahr nach dem Wahltriumph des Sozialisten, musste er sich erneut einem Wettstreit stellen, anstatt sich in der schwierigen Post-Brexit-Debatte um Probleme und effektive Gegenwehr zu sorgen. Selbstbeschäftigung statt Oppositionsarbeit hieß die Devise des Sommers 2016, was sich auch in desaströsen Umfragewerten widerspiegelt. Kurz vor dem Brexit-Votum stellte die Partei Corbyns gar die stärkste Kraft in Umfragen und konnte in Kommunalwahlen neben enttäuschenden Ergebnissen Oldham gewinnen und den Londoner Bürgermeisterposten erobern. Nichtsdestotrotz gilt Corbyn in Medien und der Parteielite als unfähig zum siegen.

Die Presselandschaft hat es ohnehin in besonderer Weise auf den linken Kandidaten abgesehen, wie nun auch wissenschaftliche Untersuchungen belegen. Ihr Resultat: in britischen Medien herrscht eine unausgewogene Balance, die zur Gefahr für den demokratischen Prozess werden könnte. 75 % der Berichterstattung strotzt nur so vor Voreingenommenheit gegenüber Corbyn, so der Politikprofessor und Direktor der London School of Economics and Political Science. Während Jeremy Corbyn mit wenig Sendezeit auskommen muss, können sich seine Kritiker kaum vor medialer Aufmerksamkeit retten. Laut Studien der University of London kann dies selbst bei der staatlichen Sendergruppe BBC beobachtet werden. Gegen letztere bereitet das Media Resarch Center gar eine Klage wegen Verletzung der Unparteilichkeit vor.

Sicherlich gibt es an Corbyn Punkte, die zur berechtigten Kritik an ihm und der gesamten Linken Großbritanniens einladen, wie das englische Verhältnis zum Israel-Palästina-Konflikt und der Europäischen Union. Doch all diese Argumente spielen in den britischen Massenmedien und der Parteidebatte keine Rolle. Stattdessen erzwang der rechte Flügel einen erneuten Machtkampf um den Vorsitz, um eigene Pfründe und Posten zu sichern und den linken Kurs der Corbynisten zu verhindern.

Den Höhepunkt der Angriffe erreichte die Debatte im Zuge der Brexit-Abstimmung. Corbyns Kampagne sei gescheitert und ohnehin war er nie ein überzeugter Europäer gewesen, so die kritischen Stimmen aus dem Parlament. Dass zwei Drittel aller Labour-Wähler für den EU-Verbleib gestimmt hatten, ignorieren sie. Angela Merkel würde von postfaktischen Debatten sprechen.

Seit der Brexit-Entscheidung drohen prominente Parteigrößen offen mit der Spaltung der Partei und werfen Corbyn mangelnde Führungsstärke vor. Er sei unfähig die Partei zu einen, klagen jene Abgeordneten, die ihm seit Monaten die Gefolgschaft verweigern. Diese setzt wiederum alle Kräfte in Bewegung, um die Wiederwahl Corbyns zu verhindern. An vorderster Front: der Waliser Owen Smith, der sich nun dem Wettstreit um die Spitze stellte und anfangs gar die Aufstellung Corbyns zur Wahl verhindern wollte. Nur dank einer knappen Entscheidung des Parteigremiums NEC wurde sichergestellt, dass der Parteivorsitzende automatisch auf dem Wahlzettel erscheint. Die Parlamentsfraktion hätte ihm die nötigen Stimmen zur Aufstellung wohl entzogen.

Doch damit nicht genug. Im Anschluss an diesen Versuch beschloss die Parteielite allen in den letzten 6 Monaten beigetretenen Mitgliedern das Simmrecht zu enziehen, schließlich rechnete man damit, dass sie größtenteils Corbyn unterstützen würden. 5 der knapp 130.000 von der Wahl ausgeschlossenen Mitglieder starteten daraufhin eine Kampagne, sammelten kurzerhand 93.000 Pfund via Crowdfunding und scheiterten vor Gericht. Im finalen Versuch Corbyn-Unterstützer von der Urne fernzuhalten einigte sich die Parteiführung auf einen engen Registrierungsprozess und eine Steuer von 25 Pfund pro Stimme. Im Jahr zuvor hatte man es allen britischen Staatsbürgern ermöglicht für 3 Pfund den kommenden Vorsitzenden der Partei mitzuwählen, jetzt sollten möglichst viele Studierende und Menschen mit niedrigen Einkommen abgehalten werden. Schnell sorgte der Hashtag #LabourCoup im Netz für Furore, hatte man doch offensichtlich alle Spielregeln ausgenutzt, um den linken Kandidaten zu schwächen.

Doch entgegen aller Widerstände setzte Momentum erneut eine Kampange im Stile von Bernie Sanders in Gang. Ein Sommer voller Massenkundgebungen, starker Präsenz in sozialen Medien und einem spendenfinanzierten Wahlkampf. Dabei stellte sich Corbyns Glaubwürdigkeit erneut als Trumpf heraus. Die Mitglieder honorierten es trotz schwieriger Zeiten mit seiner erneuten Wahl, 62 Prozent und 60.000 Stimmen mehr als im Jahr zuvor. Die rasante Fahrt des Wandels innerhalb der Labour-Party ist nicht mehr aufzuhalten. Auch Gordon Brown, Premierminister und Unterstützer des Misstrauensvotums gegen Corbyn, scheint dies begriffen zu haben. Vor wenigen Tagen sprach er sich erstmals für eine geeinte Partei hinter dem linken Vorsitz aus. Es wird Zeit, dass ihm nun auch der Rest der alten Garde folgt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

David Gutensohn

Wurde an der Deutschen Journalistenschule ausgebildet und war freier Autor u.a. für Der Freitag. Heute arbeitet er als Redakteur bei ZEIT ONLINE

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