Sieben Tage anonym im Netz

Tor Project Wie kein anderes Medium zuvor verspricht der Browser Tor Project Anonymität im Internet. Doch das hat Konsequenzen. Ein Selbstversuch.

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Es ist nun auf den Tag genau zwei Jahre her, dass Edward Snowdens geleakte Informationen erstmals in der Washington Post und auf den Titelseiten des Guardian erschienen. Kurz zuvor hatte sich der bekannteste Whistleblower der Zeitgeschichte nach Hongkong abgesetzt, um die Überwachung von Millionen Menschen rund um den Planeten publik zu machen.

Noch heute beherrschen die durch ihn bekanntgewordenen Überwachungsskandale die Debatten. Ob in den Vereinigten Staaten, in denen gar der Patriot Act ausgesetzt und eine NSA-Reform verabschiedet wurde, oder hierzulande, wo der Bundesnachrichtendienst und selbst die Regierung Merkel in Kritik stehen müssen. Selten haben Enthüllungen und ihre Nachwirkungen einen so langen Atem.

Zumindest kann ich für mich sprechen, wenn ich sage, dass mein Bewusstsein für den Umgang mit meinen Daten in der Pre-Snowden-Ära so gut wie kaum vorhanden war. Heute nutze ich Startpage statt Google, versende verschlüsselte E-Mails, verwende Open-Source-Projekte und suche stets nach Alternativen zu gängigen Diensten.

Mit Sätzen wie "Wenn du meinst, Privatsphäre ist dir egal, nur weil du nichts zu verbergen hast, kannst du genauso behaupten, Redefreiheit ist dir egal, weil du nichts zu sagen hast", hat Snowden mich zum Umdenken und die Netzpolitik auf meine Tagesordnung gebracht. Themen, wie die Vorratsdatenspeicherung oder Netzneutralität sind zur Selbstverständlichkeit geworden. So auch mein Besuch auf der diesjährigen re:publica, auf der mich eine besonders unterhaltsame Diskussionsrunde mit Jacob Appelbaum auf das Tor Project aufmerksam machte.

Unter Tor versteht man einen Internet-Browser, der größtmögliche Anonymität verspricht. Und das nach einem einfachen Prinzip: Wer das Anonymisierungsnetzwerk nutzt, sendet seine Seitenaufrufe nicht mehr per IP-Adresse an den Anbieter, sondern wird über mehrere weltweit verteilte Rechner geleitet und verschlüsselt. Erst der letzte Rechner in der Kette, der sogenannte Exit-Node, ruft dann die gewünschte Seite ab. Im Nu wird es nur durch die Nutzung eines anderen Browers sehr schwer die ursprünglichen SucherInnen zurückzuverfolgen.

Klingt einfach und revolutionär zugleich. Doch wie gestaltet sich der Alltag in der völligen Anonymität? Um dies herauszufinden, startete ich einen Selbstversuch: eine Woche Tor, sieben Tage anonym im Netz.

Startet man den Browser, wird man meist über Verbindungsslots aus Schweden, Frankreich, Dänemark, den Niederlanden oder Amerika verbunden. Denn die Idee des Netzwerks ist es, dass jede/r NutzerIn auch gleichzeitig zu einem Verbindungsknoten für andere UserInnen werden kann, was nicht zuletzt auch dazu führt, dass Geheimdienste einen dieser Schaltpunkte stellen können. Tor ist also nur sicherer, nicht aber volkommen sicher vor Überwachungsapparaten.

Nach einer kurzen Aufbauphase ist man Teil dieses Netzwerks, das jedoch schon an meinem ersten Versuchstag aufzeigt, weshalb es ein Nischenprodukt ist. Öffnet man YouTube oder Mediatheken, scheitert man an nicht-installierbaren Plugins. Ebenso ergeht es einigen Seiten und Grafiken, die auf Javascript oder Flash beruhen. Als ein auf Schnelligkeit und Komfort konditionierter Nutzer, gerate ich dabei früh an meine Grenzen. Denn nach nur wenigen Tagen wird deutlich: Tor nutzen heißt verzichten. Verzichten auf Geschwindigkeit, gespeicherte Passwörter, Streamingseiten oder Startseiten.

Die totale Anonymität hat eben ihren Preis. Einen, den die breite Masse der NutzerInnen wohl nie bereit sein wird zu zahlen. So wird das Netzwerk eine Nische für Geeks und Nerds bleiben. Eines, dass nur wenig mit der Lebensrealität der modernen NutzerInnen zu tun hat. Tor macht einmal mehr deutlich, dass es Alternativen braucht. Doch diese liegen wohl eher in politische Reformen und Regulierungen als in einem Netzwerk, dass jeglichen Komfort opfert. Ich persönlich kann auf letzteren nicht vollständig verzichten, sodass Tor von mir in Zukunft wohl nur bei Recherchen und heiklen Suchanfragen Verwendung finden wird.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

David Gutensohn

Wurde an der Deutschen Journalistenschule ausgebildet und war freier Autor u.a. für Der Freitag. Heute arbeitet er als Redakteur bei ZEIT ONLINE

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