Wie die Yes Men lügend die Wahrheit erklären

Freitag-Salon Im gestrigen Salon traf Jakob Augstein auf eine Aktivistengruppe, die wie wohl keine zweite Unterhaltung, Humor und bittere Realität miteinander verbindet. Ein Rückblick

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Die Köpfe der Kommunikationsguerilla-Truppe „Andy Bichlbaum“ und „Mike Bonanno“
Die Köpfe der Kommunikationsguerilla-Truppe „Andy Bichlbaum“ und „Mike Bonanno“

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Maxim-Gorki-Theater. An keinem geringeren Ort als diesem trifft der Freitag-Verleger und Journalist Jakob Augstein regelmäßig Gäste und ihre Geschichten. Doch wohl keiner seiner bisherigen Gesprächspartner passte besser an den Ort des Geschehens als jene, die Augstein am letzten Sonntag begrüßte. Immerhin ist das Gorki-Theater über Berliner Grenzen hinweg bekannt für seine kritischen Aufführungen und als Platz des politischen Aktivismus. Wer erinnert sich nicht an das vom Theater unterstützte Zentrum für politische Schönheit, das am Jubiläumstag des Mauerfalls mit gestohlenen Mauerkreuzen zu Europas scharf bewachten Grenzen reiste, um die Asylpolitik anzuprangern?

Am gestrigen Sonntag lud Augstein nun folgerichtig die Aktivistengruppe "The Yes Men" ein. Und mit ihnen zwei Frontcharaktere, die schon seit Jahren mit der simplen Idee "to make fake announcements, that say what we all know needs to happen" international für Aufsehen sorgen. Ihre Mission: Sich als angebliche Vertreter von Wirtschaftsunternehmen und Regierungen auf Pressekonferenzen, Tagungen oder Messen zu schleusen und der Welt mal eben das zu verkünden, was eigentlich verkündet werden sollte.

3,2,1...und action!

Angefangen hatte alles mit den Vorkomnissen in Seattle, als 1999 zehntausende Demonstranten die Tagung deer Konferenz der Welthandelsorganisation verhinderten. Kurze Zeit später kam den Yes Men die Idee, worauf ihr erster Film folgte, in welchem sie sich eben als angebliche Vertreter eben jener WTO ausgaben. So sorgten sie jahrelang für witzige und nachdenklich stimmende Aktionen, ehe sie ihr zweites Werk "The Yes Men Fix the World" im Jahre 2009 endgültig auf alle Bildschirme brachte. Den dazugehörigen fiktionalen Dokumentarfilm, in der Fachsprache Mockumentary genannt, bietet die Gruppe nun übrigens als kostenlosen Download an.

Für Aufsehen sorgten die Aktivisten darin beispielsweise indem sie als "Verteter von Dow Chemical", dem für die Bhopal-Katastrophe verantwortlichen Konzern, in einem Live-Interview der BBC verkündeten, dass der Chemie-Gigant nun volle Verantwortung übernehmen wolle. Die Familien der Opfer und auch die 120.000 Menschen, die bis heute Medikamente brauchen, sollten endlich entschädigt werden, so der angebliche Pressesprecher. In der Folge stürzten die Aktienkurse des Unternehmens um 2 Millionen US-Dollar und mit einem Nu wurde alle Aufmerksamkeit zurück auf die seit 20 Jahren ignorierten Opfer von damals gelenkt. Das Ziel der Yes Men war erreicht.

Denn genau diese Art von Entblößung ist es, welche die selbsternannte "Kommunikationsguerilla" rund um die an diesem Sonntag anwesenden Charaktere Mike Bonanno und Andy Bichlbaum antreibt. So auch, wenn sie als Sprecher von Wohnungsbaukonzernen das Ende der Sozialbaukürzungen bekanntgaben oder kurz nach der Wahl Obamas hundertausende Exemplare einer falschen New York Times mit Schlagzeilen, die in einem idealen Amerika geschrieben würden, in Umlauf brachten.

The next Generation

Doch handelt es sich bei dieser besonderen Art Protest eigentlich um effektiven Aktivismus? Kann man so das System verändern? Bei Augsteins berechtigten Fragen bemerkte man schnell, dass die Ja-Männer eine andere Aufassung haben. Eine, die vielleicht sogar weniger ambitioniert ist als man erwartet hätte.

In die Politik wollen sie definitiv nicht, denn die Demokraten und Republikaner sind ihnen zu "fucked up". Die Green Party hingegen trifft ihren Kern, wird jedoch nie etwas bewegen können, so Bichelbaum. Und einen weiteren Sonneborn, von dem Augstein übrigens sonderlich wenig hält, wollen sie auch nicht geben. Denn ihnen geht es, das wird an diesem Sonntag immer wieder deutlich, um den direkten Einfluss, denn sie durch ihre Aktionen auf einzelne Individuen und Gruppen haben. Dieser ist nicht konkret bestimmbar - und doch spornen die vielen Reaktionen rund um den Globus sie an. Insbesondere die Occupy-Bewegung zeigt, dass vor allem in der jungen Generation ein Umdenken stattfindet, so die Aktivisten. Denn "even when this movement didnt changed the system, it clearly changed the thoughts of many americans", so Bonanno. Denn seit der Bewegung wird lebendig über Kapitalismus und Ungleichheit gesprochen, was vor der Krise undenkbar war.

Mit ihrem neusten Streifen, der aktuell Premiere auf der Berlinale feiert, wollen sie zum weiteren Aufblühen dieser Debatte beitragen und ebenso den Klimawandel noch stärker in den Fokus rücken. Dazu finanzierten sie das Filmprojekt über die Crowd-Funding-Plattform Kickstarter und sammelten auf diese Weise knap 150.000 US-Dollar. Neben Spenden, ihrem persönliches Engagement und der neu ins Leben gerufenen Akademie names Yes-Lab, in dem sie Vorträge und Schulungen anbieten, hatten sie damit genug für ihre nächsten Projekte am Start.

In der Folge enstand "The Yes Men are revolting", indem sie unter anderem auf dem "Homeland Security Congress" verkünden, dass die USA bis 2030 zu 100 Prozent aus Erneuerbaren Energien Strom gewinnen wollen und bis zum Dementi ein riesiges Presserauschen auslösten. Von jener Aktion und viele anderen, wie dem "Crashen" von Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP und der Zusammenarbeit mit Greenpeace und Wikileaks wird der neue Film erzählen und gleichzeitig aufklären.

Doch neben den politischen Inhalten möchte die Mockumentary und auch der Auftritt im Freitag-Salon vor allem eines sein: Ein Aufruf. Nicht umsonst macht dies schon der Kinotrailer mit "Join us . Please try it at home!" deutlich. An diesem Sonntagmorgen ist man gar zu einem "Warum eigentlich nicht?" geneigt. Denn mehr solcher Aktionen, die Augen öffnen und zeigen, dass nichts in dieser Welt alternativlos ist, wären definitiv wünschenswert. Dass die Aktivisten auch tatsächlich Nachahmer finden, machte ihr Besuch im Gorki-Theater deutlich. Denn überraschenderweise meldeten sich in der Diskussion junge Deutsche zu Wort, die unter dem Namen "Peng! Collective" bereits Konzerne wie Google und Shell mit ähnlichen Aktionen straften - und "noch viel Größeres in diesem Jahr" planen. Noch bekommen sie damit nur wenige Themen auf die Tagesordnung der gesellschaftlichen Debatte. Vielleicht wird aber die geheime Aktion, welche die Yes-Men in Berlin in den kommenden Tagen umsetzen wollen auch ihnen neuen Antrieb geben. Man darf gespannt sein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

David Gutensohn

Wurde an der Deutschen Journalistenschule ausgebildet und war freier Autor u.a. für Der Freitag. Heute arbeitet er als Redakteur bei ZEIT ONLINE

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