Die Idee stammt aus einer anderen Epoche: Als das 21. Jahrhundert noch in der Zukunft lag, das Thema "Nachhaltigkeit" noch nicht hinter Aktienrausch und Terror-Paranoia verblasst war, die gemeinsam zupackende Bürgergesellschaft und nicht die "Ich AG" als Modell der Stunde galt. Das war vor zehn Jahren. In Kapitel 28 ihres Abschlussdokuments entwarf die Rio-Konferenz mit der Agenda 21 (LA21) damals das politische Instrument zum Slogan global denken, lokal handeln. "Jede Kommunalverwaltung soll in einen Dialog mit ihren Bürgern, örtlichen Organisationen und der Privatwirtschaft eintreten und eine Kommunale Agenda 21 beschließen", hieß es dort spröde - also Ökologie, Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit in Einklang bringen.
Ahmedabad, Shengyang, C
Ahmedabad, Shengyang, Cajamarca ... Auch wenn nicht jede Kommune dieses Planeten seither ihre eigene Agenda aufstellen wollte, es hat durchaus Bewegung gegeben. Knapp 6.400 Städte oder Gemeinden in 113 Ländern zählt der aktuelle LA21-Überblick des Internationalen Rates für lokale Umweltinitiativen (ICLEI/*). Allein in Deutschland sind rund 2.000 Kommunen beteiligt. Zwar nur 16 Prozent aller deutschen Gemeinden, sie schließen aber einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung ein, weil fast alle größeren Städte dabei sind. Sicher, die Zielformulierung ist schwammig: Konkrete Vorgaben wie x Prozent Emissionssenkungen bis zum Jahr y fehlen. Doch gerade deshalb konnte das Konzept ein Kaleidoskop von Projekten hervorbringen, die kein Masterplan zur Nachhaltigkeit je hätte erfassen können. In der indischen Industriestadt Ahmedabad wurden unter dem Banner der Agenda die städtischen Finanzen saniert, was wiederum eine verbesserte Trinkwasserversorgung überhaupt erst bezahlbar machte. Im chinesischen Shengyang schloss man 1999 den größten Arbeitgeber der Stadt, ein Stahlwerk, weil es ökologisch inakzeptabel geworden war. Im Johannesburger Quartier Midrand stand der Bau umweltgerechter, bezahlbarer Wohnviertel im Mittelpunkt, und im nordperuanischen Cajamarca ging es darum, eine eigenständige kommunale Verwaltung aufzubauen. Allen Projekten ist gemeinsam, dass die Bürger in vorher nicht gekanntem Ausmaß am Umbau ihrer Kommune teilnehmen konnten. Da wurden Runde Tische gebildet, an denen Politiker und Verwaltungsbeamte mit der "Bevölkerung" zusammentrafen. "Eine enorme Innovation", findet Edgar Göll vom Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung in Berlin, der den LA21-Prozess von Anfang an begleitet. In Entwicklungsländern war diese neue Möglichkeit politischer Partizipation angesichts autokratischer, zentralisierter oder verfilzter Verwaltungen eine der wichtigsten Errungenschaften von LA21-Prozessen überhaupt. Die reicheren, demokratisch verfassten Gemeinden des Westens konzentrierten sich eher auf Umweltprobleme. Konsequenz: Die Koordinierung der Agenda wurde gern den kommunalen Umweltbeauftragten "übertragen", die neue Bürgermitarbeit drang nicht ins Herz der Verwaltung vor. "Die Lokale Agenda war hier anfangs kein Knüller. Wir machen doch schon Umweltschutz, wiegelten Bürgermeister ab", erinnert sich Stefan Kuhn, der den LA21-Bereich von ICLEI Europa leitet. Doch der Vorsprung ist zerronnen: Kommunen in Ländern, die beim Umweltschutz anfänglich zurück lagen und noch ihre Verwaltung reformieren mussten, hätten einen viel größeren Sprung, ein "leapfrogging" Richtung 21. Jahrhundert gemacht, glaubt Kuhn. So habe Großbritannien die unter Margaret Thatcher zerstörte Kommunalverwaltung reanimiert und dabei in jeder Gemeinde gleich einen LA21-Verantwortlichen installiert. Doch der Wandel bleibt schwerfällig: "Gemessen an dem wahnsinnig hohen Anspruch der Lokalen Agenda quält man sich jetzt durch die Mühen der Ebene", beschreibt Edgar Göll die Lage. Unternehmen und frustrierte Bürger beklagen "endlose Laberrunden", und sollten die durchgestanden sein, komme der Tag, an dem jede Idee Geld kostet, und die Kassen der Kommunen seien leerer denn je. "Die Gemeinden ziehen sich auf ihre Kernaufgaben zurück", bedauert Göll. Local Action 21 Zu dieser Malaise hat auch die rot-grüne Regierung mit ihrer Steuerreform beigetragen, obwohl sie laut Koalitionsvertrag den Agenda-Prozess eigentlich unterstützen wollte. Erst Anfang August wurde - immerhin - die Bundesweite Servicestelle für die Lokale Agenda 21 in Bonn eröffnet. Das dazugehörige Portal im Internet soll Anfang Oktober online gehen (www.agendaservice.de). Aber nicht nur Geld und eine zielorientierte Kommunikation fehlen dem Agenda-Prozess in der Bundesrepublik. "Die Entwicklungszusammenarbeit mit Kommunen in anderen Erdteilen steckt noch in den Kinderschuhen", so Cornelia Rösler, LA21-Expertin am Deutschen Institut für Urbanistik in Köln. Und: "Schwierig ist auch die Kooperation mit der Wirtschaft. Wo Öko-Audits gefördert werden, sind die Betriebe allerdings interessiert." So berät die Stadt München seit 1998 Unternehmen nach dem österreichischen Ökoprofit-Modell, wie sie auf eine ressourcen-schonende Produktion umstellen können. Das senkt Kosten und bringt Verwaltung und Wirtschaft in ein konstruktives Gespräch. Weil diese Komplexität - Ökologie, Wirtschaft und Soziales sollen gleichzeitig aufeinander abgestimmt werden - manche Gemeinde überfordert, wird nun in Johannesburg eine zweite, pragmatischere Phase eingeläutet: die Local Action 21. (**) Deren Philosophie besagt, wenn einer Stadt der Verkehrsinfarkt drohe, solle sie erst einmal diesen anpacken und nicht alle Nachhaltigkeitsprobleme auf einmal. Stefan Kuhn von ICLEI Europa: "Auf der lokalen Ebene wird in Sachen Nachhaltigkeit im Moment am meisten bewegt. Da wollen wir jetzt noch einmal eine Aufbruchstimmung erzeugen."(*) Den Report gibt es als PDF-Datei auf www.iclei.org.