Die asiatische Omertà

Verbrechen Warum gibt es nur Schweigen nach dem Mord an zwei britischen Urlaubern auf der thailändischen Ferieninsel Koh Tao?

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Koh Tao bei Nacht. Junge Rucksackreisende strömen in die Bars am Sairee-Beach. Während sich hier tagsüber alles rund ums Tauchen dreht, verwandelt sich die kleine Nachbarinsel von Koh Phangan nachts in eine große Partymeile. Sie alle tanzen, trinken und feiern. Etwa in Bans Tauchschule, die um diese Uhrzeit als Bar und Club fungiert. Oder in der nahen »Bar Next 2«, die mit Feuerspucker-Shows und Lachgas aus dem Ballon wirbt.

Wer danach noch nicht genug hat, zieht weiter in die AC Bar, wo die Cocktails noch stärker und die thailändischen Prostituierten noch leichter bekleidet sind. Die Bar am südlichen Ende des Strandes war auch der Ort, an dem Hannah W. (23) und David M. (24) am Montagmorgen der vergangenen Woche zuletzt gesehen wurden. Stunden später waren die beiden britischen Touristen tot. Ihre Leichen fand ein Angestellter eines Resorts am Morgen des 15. Septembers zwischen Felsen am Strand.

Seitdem sucht eine ganze Insel nach den Mördern. Doch immer mehr wird deutlich: Selbst wer etwas weiß, schweigt lieber.

Fünf Familien kontrollieren Koh Tao

Andy Lines ist Reporter beim englischen »Daily Mirror« und stellt ernüchternd fest, dass fast niemand mit den Journalisten vor Ort reden wolle. Insbesondere Einheimische verweigern jedes Statement. Kein Wunder, wie der neuseeländische Blogger Michael Earley meint, der selbst jahrelang auf der Insel gelebt hat. »Die Insel wird von fünf Familien kontrolliert«, sagt er. Wer ein Geschäft auf Koh Tao betreiben wolle, müsse an mindestens eine der Familien entsprechende Gelder abführen. Und das, obwohl das Land offiziell nicht den Familien, sondern dem thailändischen Königshaus gehöre. »Das sind Mafia-artige Strukturen. Die Leute haben Angst.«

Aber nicht nur Einheimische schweigen. Auch viele Westler ziehen es vor, sich nicht zu äußern. Eine englische Kellnerin arbeitete auch in der Nacht in der Bar, in der Hannah und David dort Abend gegessen und danach ein Fußballspiel angesehen haben. Sie beharrt darauf, dass niemand etwas über die beiden wisse oder sich an sie erinnere. »Wir sind doch nur einfache Bar-Angestellte«, sagt sie der britischen Zeitung »The Telegraph«. Andere geben zwar mehr Auskunft, aber wollen auf keinen Fall, dass ihr Name in den Medien auftaucht.

Angst vor Einbruch des Tourismusgeschäfts

Ein nicht ungewöhnliches Verhalten sagt Earley. »Es gibt eine Wand des Schweigens. Entweder, weil man Angst um die eigene Sicherheit hat, oder weil man Angst um das Geschäft hat.« Schließlich lebe die Insel in erster Linie vom Tourismus.

Das zeigt sich auch am Beispiel einer Facebook-Gruppe, die von westlichen Auswanderern betrieben wird, die auf Koh Tao leben und arbeiten. Nach Bekanntwerden des Mordes wurde auch hier zunächst eifrig diskutiert. Nicht so sehr über den Mord selbst und wer dafür wohl verantwortlich sein könnte, sondern mehr darüber, was man jetzt wohl den ganzen Journalisten sagen soll.

Schnell war klar: am besten gar nichts. Ein Entwurf einer Pressemitteilung machte die Runde, in dem es hieß, dass Expats sich zum Verbrechen nicht äußern könnten, weil sie die Opfer gar nicht kannten. Schwer vorstellbar angesichts der Größe der Insel und dem Umstand, dass David M. bis zum 15. September bereits seit fast drei Wochen mit seinen Freunden zusammen auf Koh Tao den Urlaub verbrachte. Dass keiner der westlichen Barangestellten oder Tauchlehrer ihn kannte, ist somit fast ausgeschlossen.

Illegale haben Angst vor Entdeckung

Weitaus aufgeregter als über das Verbrechen selbst, wurde in der Facebook-Gruppe aber über dessen mittelbare Folgen diskutiert. Hastig wurden Beiträge verfasst, als die thailändische Ausländerbehörde plötzlich damit begann, die westlichen Angestellten und deren Visa zu überprüfen. Immer neue Meldungen tauchten auf, wo die Kontrollen zurzeit stattfinden und was genau geschieht.

»Oft haben westliche Angestellte kein gültiges Visum oder nur ein Touristen-Visum, mit dem sie eigentlich gar nicht in Thailand arbeiten dürfen«, erklärt Blogger Michael Earley. Daher sei es verständlich, dass polizeiliche Nachforschungen viele hier noch nervöser machten. »Niemand möchte schließlich geschnappt und ausgewiesen werden.«

Wenn jemand aus diesen Strukturen ausbrechen will, wird das häufig als Angriff auf die gesamte Expat-Community gesehen. So wie im Fall eines schottischen Backpackers, der den Inhaber der AC Bar beschuldigte, die genaueren Umstände des Verbrechens zu kennen. In der Gruppe gab es daraufhin kein Halten mehr. Einige Mitglieder versuchten den Schotten zu diskreditieren und stellten ihn als geltungssüchtigen Alkoholiker und Drogenabhängigen dar. Es hieß, man kenne den Bar-Besitzer und traue ihm eine solche Tat nicht zu.

»Wir vergessen, dass das hier nicht unser Land und unsere Kultur ist.«

Das war den Moderatoren der Gruppe dann wohl doch irgendwann zu viel. Einer davon ist selbst Engländer und arbeitet seit 2005 als Geschäftsführer für den einzigen Freizeitpark auf der Insel. Er löschte fast alle Beiträge im Forum und schrieb: »Wir müssen vorsichtig sein, was wir hier sagen. Egal, ob jemand erst ein Jahr, fünf Jahre oder schon 20 Jahre auf Koh Tao lebt, wir sind immer noch nur Besucher in Thailand.« Grundsätzlich sollten Statements erst gemacht werden, nachdem man einen Einheimischen, »der die entsprechende Autorität besitzt«, gefragt habe, ob man etwas veröffentlichen dürfe. Andere pflichteten ihm bei: »Wir vergessen manchmal, dass das hier nicht unser Land und unsere Kultur ist.«

Doch dass auch Residenten sich nicht offen zu Verbrechen oder den Mafia-ähnlichen Strukturen in Thailand äußern wollen, ist keine Seltenheit. Das zeigte sich auch bei der Ermordung von Volker Sch. Der 46-jährige Deutsche aus Düsseldorf, der mit seiner thailändischen Verlobten eine Bar auf Koh Phangan betrieb, wurde Mitte August von Jugendlichen erstochen. Vorausgegangen war ein Streit um einen Motorroller. Fast keiner der anderen Residenten wollte sich zu dem Fall äußern, und wenn sie es doch taten, wurde so getan, als sei das Opfer selbst schuld. »Seine laute Schnauze besiegelte sein Schicksal«, sagte etwa ein auf der Insel lebender Deutscher, wie die Zeitung »Der Farang« berichtet.

Das Leben geht weiter

Zwar wird in Expat-Internetforen viel über die thailändische Polizei gelästert und diese als inkompetent dargestellt. Doch wenn es um Verbrechen geht, die im eigenen Wirkungskreis begangen wurden, wird trotzdem geschwiegen. Im Fall des Düsseldorfer Barbesitzers gab es dann auch kaum Beileidsbekundungen oder Hilfsangebote von anderen Auswanderern. »Urlaubsorte wie Koh Samui bieten selten Platz für echte Freundschaften oder Sentimentalitäten«, meint der »Farang«-Autor Sam Gruber.

Und so werden sich auch heute wieder nach Einbruch der Dunkelheit die Bars und Clubs auf Koh Tao mit jungen Backpackern füllen, die die Nacht durchfeiern wollen. Die Betreiber der AC Bar schreiben dazu auf ihrer Facebook-Seite: »Life must go on!«

Mehr zum Thema:

Michael Earley: The dark side of Thailand's island paradise

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Geschrieben von

David Scheibler

Freier Journalist. Berichte, Reportagen und Porträts aus Südostasien, Australien und Neuseeland.

David Scheibler

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